Das BESSY und die Kunst

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"Das Verfahren eignet sich vor allem für Gegenstände, die aus mehreren Lagen aufgebaut sind", erläutert Oliver Hahn, Leiter der Arbeitsgruppe Kunst- und Kulturgutanalyse bei der BAM. Der Physikochemiker hat mit der 3D-Technik beispielsweise mittelalterliche Glasmalereien in Augenschein genommen. Mit der Zeit beginnt sich deren Farbe in der Regel zu lösen, die Bilder zerfallen. Hahn fand heraus, dass an den betroffenen Stellen bestimmte Elemente wie etwa Calcium und Kalium aus dem Glas in den Farbüberzug wandern und dabei zwischen Glas und Bemalung eine Art Störschicht bilden, die zum Abblättern der Farben führt. Mit diesem Wissen können Restauratoren nun Rezepte entwickeln, um die zersetzende Schicht unschädlich zu machen.

Bei komplexeren Themen sei eine Lösung indes oft schwieriger zu finden, sagt Oliver Hahn, der während seiner Promotion in physikalischer Chemie auch Kunstgeschichte studiert hat, da brauche es meist viele verschiedene Messungen. So läuft am BESSY seit mehreren Jahren ein umfangreiches Projekt zur Erforschung der Qumran-Rollen, einer Sammlung alter Pergamentschriften, die zu den wichtigsten archäologischen Funden des letzten Jahrhunderts zählt. Die erste Rolle aus dem Bestand entdeckten Beduinen 1947 zufällig in einer Felshöhle am Toten Meer, als sie einer entlaufenen Ziege hinterherkletterten. In der Folgezeit wurden aus den Höhlen rund um die Ruinenstadt Qumran mehr als 900 weitere Manuskripte geborgen.

Archäologen wissen mittlerweile: Die Texte stammen aus der Zeit zwischen 200 vor und 68 nach Christi Geburt, sind in hebräischer, aramäischer und griechischer Sprache verfasst und enthalten unter anderem Urtexte des Alten Testaments sowie Kommentare zu biblischen Schriften. Doch wer hat die Rollen hergestellt? Weshalb lagern sie in den Höhlen? Und woher kommen sie? Eindeutige Antworten auf diese Fragen gibt es noch nicht. Manche Historiker glauben, dass die Manuskripte von Mitgliedern einer jüdischen Sekte niedergeschrieben wurden, den Essenern, die in der Siedlung von Qumran gelebt haben sollen.

Vielzahl und Vielfalt der Rollen lassen aber ebenso gut die Vermutung zu, dass die Höhlen als eine Art Bibliothek fungierten, in der man Schriftstücke aus verschiedenen Landesregionen sammelte. "Natürlich können wir zu einem so weiten Streitgebiet am BESSY auch kein endgültiges Urteil abgeben", sagt Oliver Hahn. "Aber mit der Synchrotronstrahlung sind wir zumindest in der Lage, ein bisschen Ordnung in die vielen schwer einsortierbaren Fragmente der Rollen zu bringen."

Bei einem Manuskript ist das bereits gelungen. Das Dokument war aus zwei Teilen zusammengesetzt – Grafologen nahmen an, dass die beiden Bruchstücke zusammengehörten. Der dreidimensionale Röntgenblick auf die verschiedenen Schichten des Pergaments widersprach ihrer Einschätzung jedoch. Denn die Tuschezeichen auf beiden Fragmenten unterschieden sich chemisch stark voneinander. "Daraufhin mussten die Schriftexperten ihre Textinterpretation für dieses Dokument revidieren", erzählt Ira Rabin, Physikochemikerin und Restauratorin am Israelischen Nationalmuseum und internationale Koordinatorin des Qumran-Projekts.

Ähnliche Aufschlüsse könnte die Röntgenanalyse den "Schriftgelehrten" auch über den Herkunftsort der Rollen geben. Die Tuschen jener Zeit wurden nämlich mit Wasser angerührt. Und das Wasser in der Umgebung Qumrans weist eine Besonderheit auf: Es enthält mehr Brom und weniger Chlor als bei Wasser sonst üblich. "Ein Glücksfall für die Forschung", befindet Ira Rabin. In ein paar kleineren Pergamentschnipseln hat die Forscherin das regionaltypische Chlor-zu-Brom-Verhältnis bereits nachgewiesen. Liefern die nächsten Fragmente das gleiche Resultat, spricht einiges dafür, dass die Rollen in Qumran hergestellt wurden.

"Um wirklich verlässliche Aussagen zu bekommen, müssen wir allerdings noch weitere Faktoren berücksichtigen, etwa die Lagerungsbedingungen", gibt Rabin zu bedenken. Von mehr als der Hälfte aller Rollen sei nicht dokumentiert, in welcher Höhle sie gefunden und wie sie dort aufbewahrt wurden. Doch erst wenn die Forscher wissen, unter welchen Umständen die Schriftstücke Jahrtausende überdauert haben, welche Verunreinigungen und Materialveränderungen mit der Lagerung einhergegangen sein könnten, sind sie in der Lage, die Messdaten zur chemischen Beschaffenheit der kostbaren Rollen richtig zu interpretieren. Ira Rabin ist deshalb im vergangenen Jahr mehrfach nach Qumran gereist, hat Gesteinsproben in den Höhlen gesammelt, die Witterungsverhältnisse vor Ort bestimmt. "Jetzt schauen wir gerade, ob sich Spuren des jeweiligen Höhlengesteins auf den Pergamenten wiederfinden", sagt die israelische Wissenschaftlerin.

Im Herbst dieses Jahres endet die Versuchsreihe zu den Qumran-Rollen. Dann fliegt Rabin mit ihren Manuskriptproben wieder zurück nach Israel. Dass die Messkammer am BESSY anschließend leer stehen könnte, ist jedoch kaum zu befürchten. Europaweit gibt es kaum Elektronenbeschleuniger, die so gut für die Analyse von Kulturgütern ausgerüstet sind wie das BESSY. Er habe schon eine Menge neuer Anfragen auf dem Schreibtisch, sagt Oliver Hahn. "Wir entschlüsseln hier schließlich die Grundbausteine unserer Zivilisation. Dafür besteht immer Bedarf." (bsc)