Das Meer, die Mauer und die Macht der zerstörten Natur

Seite 2: Kaum Grünflächen, verdreckte Flüsse

Inhaltsverzeichnis

Das Leben in der Hauptstadt kann enorm anstrengend sein. Jakartas Verkehrsstaus gehören zu den schlimmsten des Planeten. Zu Fuß geht kaum jemand. Grünflächen sind noch seltener als Java-Nashörner. Nicht weniger als 13 Flüsse durchziehen auf ihrem Weg in die Java-See die Stadt, alle extrem verschmutzt. Auf Mülldeponien wird Plastik verbrannt. Das Klima ist feucht. Fast 300 Tage im Jahr fällt Regen.

Zudem liegt Jakarta auf dem berüchtigten "Pazifischen Feuerring": Dass die Erde bebt, sind die Leute gewöhnt. Aber warum versinkt Jakarta? Die New York Times schrieb kürzlich, dafür gebe es einen "Tsunami von menschengemachten Gründen".

Natürlich hat der Klimawandel seinen Anteil. Der Meeresspiegel steigt auch hier, drei Millimeter pro Jahr. So etwas wie Stadtplanung gab es lange nicht. Inzwischen ist Jakarta zu fast 100 Prozent mit Asphalt und Beton versiegelt. Wenn Wasser in größeren Mengen vom Himmel kommt, kann es kaum noch abfließen und bleibt lange stehen. Wo einst Mangrovenwälder waren, ragen jetzt Apartment-Häuser in den Himmel.

Vor allem aber graben sich die Bewohner selbst den Grund ab, auf dem sie leben: So etwas wie eine zuverlässige Wasserversorgung gibt es nicht. Den Markt teilen sich seit der Privatisierung zwei ausländische Anbieter. Aber nur etwas mehr als die Hälfte der Haushalte ist ans zentrale Netz angeschlossen. Der Rest pumpt sich das Wasser selbst aus dem Boden: mit der Hand oder mit elektrischen Pumpen. Die Leitungen reichen bis zu 100 Meter tief. So wird das Fundament, auf dem die Stadt steht, immer schlechter. Alle Experten halten das für das größte Problem, schlimmer als der Klimawandel.

Der Stadtplaner Nirwana Joga sagt: "Der Boden sinkt viel schneller, als der Meeresspiegel steigt. Die Probleme sind vom Menschen gemacht und nicht von der Natur." Der 50-Jährige, selbst Indonesier, berät die Regierung von Präsident Joko Widowo und das UN-Siedlungsprogramm Habitat.

In Jakarta, sagt Nirwana, hätten die Leute die Gefahr überhaupt noch nicht verstanden. "Das ist wie ein stiller Mord. Man sieht in den meisten Vierteln überhaupt noch nicht, wie der Boden sinkt. Das geschieht so langsam, dass sich die meisten dessen überhaupt nicht bewusst sind." Es sind aber längst nicht nur Privatleute, die sich ihr Wasser selber pumpen. Auch große Hotels, Fabriken und Shopping Malls haben eigene Systeme. Bislang ist das in der Regel legal.

Es gibt aber auch Haushalte in Jakarta, die weder ans Versorgungsnetz angeschlossen sind noch pumpen können. Sie sind am schlimmsten dran. Wie die Familie von Irma, der Mutter aus dem Slum. Für die Susantis und andere muss Wasser mit dem Lastwagen angeliefert werden, jeden Mittwoch.

Die beiden blauen 250-Liter-Kanister stehen direkt an der Mauer. Damit kocht Irma, damit wäscht sie, damit säubert sich die Familie. 100 Liter kosten einen Euro – für die Leute hier ein Wucherpreis. Sie hofft, dass die Stadt Abhilfe schafft. Aber groß ist die Hoffnung nicht.

Inzwischen sind die Schutzmauern im Norden Jakartas auf eine Länge von 14 Kilometern angewachsen. Der Wall aus Beton steht meist in den Slums. Man sieht aber auch in anderen Vierteln, wie die Stadt versinkt. In Penjaringan zum Beispiel, einer etwas besseren Gegend, haben sie die letzten Jahre immer noch eine Schicht Betonplatten auf die absackenden Straßen gelegt. Und noch eine. Häuser, die früher ebenerdig waren, liegen jetzt einen Meter tiefer.

Manche Leute, die früher auf die Straße hinabschauen konnten, wohnen nun im Souterrain. Wer zu ihnen durch die Tür hineinwill, muss sich tief bücken. Auch der Vorgarten vor dem lachsfarbenen Haus von Abdul Mukti liegt nun tiefer. Dort stehen ein Motorrad und ein paar Pflanzen. Aus dem Boden drückt Wasser herauf. In den Wänden sind Risse. Der Putz sitzt so locker, dass man ihn abziehen kann. Man sieht unterschiedliche Farbschichten. Früher war das Haus grün.

Der Rentner sagt: "Als das letzte Mal Hochwasser war, hatte ich 20 Zentimeter Wasser in der Küche." Trotzdem will der 62-Jährige im Viertel bleiben. Dass die Gegend eines Tages untergehen könnte, glaubt er nicht. "Ich habe keine Angst. Das sind immer nur ein paar Tage im Jahr. Den Rest des Jahres kann ich hier hervorragend leben."