Das neue Edelholz

Seite 2: Ist das noch Natur?

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Wasser als Lösungsmittel ist jedoch nicht immer das Mittel der Wahl, denn es lässt das Holz quellen und erzeugt dadurch kleine Mikrorisse – eher schlecht, wenn das Material nicht nur elektrisch leitend, sondern zusätzlich noch wasserdicht sein soll. Deshalb experimentieren die Empa-Forscher auch mit organischen Lösungsmitteln. Ähnlich wie Timothée Boitouzet bauen sie auf diesem Weg einen Kunststoff auf Mineralölbasis ins Holz ein. Die Polymerisation, also die Ausbildung von langen Ketten, erfolgt erst, wenn die Bausteine bereits im Holz sind. Gestartet wird der Vorgang durch die Zugabe einer weiteren Chemikalie. Vom Erfolg der Züricher Forscher zeugt ein Waschbecken aus Holz, das in der Versuchswohnung dank wasserabweisendem Polymer immer noch wie neu aussieht.

Im Unterschied zu Boitouzet haben sie das Lignin im Holz belassen. Denn seine Eigenschaften lassen sich ebenfalls nutzen, um dem Rohstoff völlig neuartige Merkmale zu geben. "Gerade dieser Stoff lässt sich sehr vielseitig verändern", erklärt Mark Schubert. Grund sei seine chemische Struktur mit vielen einzelnen Sauerstoff-Wasserstoff-Molekülen. Diese "OH-Gruppen" lassen sich leicht abspalten und durch andere Elemente ersetzen. An der Empa geschieht dies zum Beispiel mit Jod, sodass das Holz plötzlich antibakterielle Eigenschaften aufweist und sich für Türklinken oder Möbel in Krankenhäusern anbietet. Mit anderen Molekülen könnte man Holz auch wasserabweisend machen oder durchgehend einfärben.

Aber ist das wirklich noch Holz? Bleiben bei all den chemischen Umbauten nicht die speziellen Vorteile des Werkstoffs auf der Strecke, zum Beispiel seine Umweltfreundlichkeit? Was passiert etwa mit den synthetischen Lösungsmitteln, die Woodoo zum Auswaschen des Lignins benötigt? Ob sie zurückgewonnen werden, will die Firma nicht sagen. Und wie nachhaltig ist ein Waschbecken aus Holz, wenn dabei Mineralöl ins Spiel kommt?

"Wenn man das Holz quasi zum Kunststoff macht, muss man das kommunizieren und darf es nicht mehr als natürlich und umweltfreundlich bezeichnen", sagt Holzforscher Klaus Richter von der TU München. Dennoch hält er technische Lösungen, die das Holz stark verändern, nicht per se für schlecht. "Die Vorteile des Produkts aus dem modifizierten Holz müssen eben so groß sein, dass es Varianten aus anderen Materialien übertrifft", so Richter. Noch scheint die Wirtschaft daran allerdings Zweifel zu haben. Keine der genannten Empa-Ideen hat bisher zu einer Unternehmensgründung geführt. Gerade die Bauindustrie sei sehr konservativ, beklagen viele Holzforscher. Nur auf dem Luxussegment scheint bisher Bewegung möglich: So vertreibt die Empa-Ausgründung Swiss Ebony heimischen Bergahorn, der durch Hitze und Druck so verdichtet wurde, dass er die Eigenschaften von Tropenholz bekommt. Damit gefertigte Griffbretter von Saiteninstrumenten ersetzen das streng geschützte Ebenholz, und die Klangübertragung lässt sich durch die Prozedur nach Kundenwunsch anpassen.

Besser sieht es hier auf dem zweiten Feld der Holzinnovationen aus, bei dem aus den Bestandteilen von Holz völlig andere Materialien entstehen. Bereits seit fast zwanzig Jahren gibt es Arboform, eine Mischung aus Lignin und Pflanzenfasern, die auf herkömmlichen Spritzgießmaschinen für Kunststoff verarbeitet werden kann und von der Firma Tecnaro aus Ilsfeld bei Heilbronn weltweit vermarktet wird. Der finnisch-schwedische Konzern Stora Enso wiederum bearbeitet die aus dem Holz gelöste Zellulose mechanisch so, dass die Faserstruktur aufbricht und die einzelnen Mikrofibrillen freigibt. Diese winzigen Wollfäden aus langen Zuckermolekülen haben ähnliche Eigenschaften wie Kristalle und lassen sich zu einem Gel verarbeiten. Stora Enso mischt als erstes Unternehmen diese "mikrofibrillierte Zellulose" Kartons bei, um sie stabiler zu machen. Man kann die Verpackungen also dünner machen. Das spart Ressourcen.

Sogar Schaumstoffe aus Holz sind mittlerweile in der Erprobung. Sie sollen als Wärme- und Schalldämmung, als Verpackungsmaterial, aber auch als Filter Verwendung finden – und würden im Gegensatz zu allen auf dem Markt befindlichen Produkten zu 100 Prozent aus Holz bestehen und gut recycelbar sein. Entwickelt hat sie das Fraunhofer-Institut für Holzforschung. Dazu wird das Holz mit Wasser gemischt und sehr fein zermahlen. Die Fibrillen können sich gut ineinander verhaken, das Lignin sorgt für entsprechendes Volumen. Mithilfe von Kohlendioxid kann diese Masse nun wie Eischnee aufgeschlagen werden. Nach einer langen Trocknung entstehen so Hartschaumplatten oder elastische Schaumstoffe.

Das erstaunlichste Produkt aber dürfte eine Entwicklung von Forschern der Technischen Hochschule in Stockholm (KTH) zusammen mit dem Hamburger Forschungszentrum Desy sein. Aus Zellulose haben sie das stärkste Biomaterial der Welt gemacht. Das Material ist achtmal steifer und einige Male zugfester als die Abseilfäden aus natürlicher Spinnenseide, die bisher als das stärkste biologische Material galten. Ausgangsstoff waren die Elementarfibrillen des Holzes. Sie schwammen in einem nur einen Millimeter breiten Kanal zusammen mit entionisiertem Wasser.

Der Trick: Die Fibrillen sind häufig elektrostatisch negativ aufgeladen und stoßen sich ab, sie sind daher leicht beweglich. Durch die Wasserströmung orientierten sich die Fibrillen in Fließrichtung. Am Ende des Kanals neutralisierten die Forscher die elektrostatische Ladung. Nun konnten sich die perfekt ausgerichteten Fibrillen aneinander anlagern und einen festen Verbund bilden. Das Forscherteam hofft, aus den 15 Mikrometer dicken und mehrere Meter langen Fäden bald einen Stoff für praktische Anwendungen weben zu können.

Wenn sich von all diesen Ideen nur ein Bruchteil am Markt wird behaupten können, ist für Klaus Richter von der TU München jedes innovative Projekt die Mühe wert. Denn obwohl Holz der klimaneutrale, nachwachsende Rohstoff schlechthin sei, würde es noch viel zu wenig genutzt. Laut Waldbericht der Holzwirtschaft wächst in fast allen europäischen Ländern mehr Holz nach als gefällt wird. "In den europäischen Wäldern steht genug Holz, um auch einen erhöhten Bedarf zu decken", sagt Richter. Vor allem dann, wenn man auch endlich mehr auf die Ressource Altholz zurückgreifen würde. Als vor drei Jahren die olympische Radrennbahn in München abgerissen wurde, hat er das verwendete Fichtenholz untersucht. "Auch nach 45 Jahren war es in einem guten Zustand", sagt Richter. "Und trotzdem landete es im Ofen."

(bsc)