Der Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte: New Work – Homeoffice als neue Arbeitsform

Seite 2: Homeoffice als neue Arbeitsform

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Dass es unwägbare Ereignisse gibt, die unvorhergesehene Auswirkungen auch auf den IT-Arbeitsmarkt haben, zeigt das Beispiel Corona. Die SARS-CoV-2-Pandemie wirkt sich nachhaltig auf den Ort des Arbeitsplatzes aus. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, arbeiteten laut Statistischem Bundesamt 12,9 Prozent aller Erwerbstätigen zumindest teilweise von zu Haus aus. Im Januar 2021 wurde Homeoffice – wenn möglich – zur Pflicht. Die Zahl der Beschäftigten, die von zu Hause aus arbeiteten, stieg sprunghaft auf fast ein Drittel (30,8 Prozent) an, ergab eine Konjunkturumfrage des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

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Im März dieses Jahres wurde die Pflicht abgeschafft und dennoch blieb etwa ein Viertel teilweise oder ganz im Homeoffice. Dieser Rückgang war trotz Rücknahme der Homeoffice-Pflicht überraschend gering. Innerhalb von drei Jahren hat sich damit die Anzahl der Beschäftigten im Homeoffice in etwa verdoppelt. Bei rund 45 Millionen Beschäftigten in Deutschland bedeutet dies einen Zuwachs um 6 Millionen. Dies ist ein gewaltiger Anstieg in kurzer Zeit.

Eine Tendenz zum Homeoffice gab es schon vor Corona, weil die Technken dafür vorhanden sind. Die Pandemie hat die Verbreitung dieser Arbeitsform enorm beschleunigt. "Jetzt sind viele Beschäftigte diese Form der räumlichen Arbeitsteilung gewohnt, sie hat sich bewährt und deshalb wird es keinen nennenswerten Rückgang mehr beim Homeoffice geben", sagt Christian Piele, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Rund die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland können laut Schätzungen aufgrund ihrer Tätigkeit von daheim aus arbeiten.

Zwei Tage daheim, drei Tage im Büro: "In diesem Verhältnis könnte sich die Arbeit der Zukunft einpendeln", sagt Piele. Das wäre eine gewaltige Veränderung im Arbeitsleben.

Die Beschäftigten wollen ausdrücklich die Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten. Das zeigen Projekte, die das IAO in Unternehmen durchführt. "Ob und in welchem Umfang die Angestellten dann Homeoffice im Einzelfall nutzen, steht auf einem anderen Blatt", sagt Piele. Unternehmen, die eine Option auf Homeoffice bieten, sind jedenfalls im Vorteil gegenüber Firmen, die das nicht tun. Die Möglichkeit für Homeoffice ist somit ein Vorteil im Wettbewerb um neues Personal.

Das schätzt an dieser Arbeitsform vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Privatem und Beruf, kurzfristig private Termine wahrnehmen zu können, zu Hause ungestört zu arbeiten und nicht mehr jeden Tag ins Büro fahren zu müssen. "Auf der Straße bleibt zu viel Lebenszeit liegen", sagt Piele. Wer es sich aussuchen kann, arbeitet lieber von daheim.

Immer wieder ist davon zu hören, dass IT-Fachkräfte im Vergleich zu anderen Angestellten einen überdurchschnittlich hohen Anteil beim Homeoffice haben. Aber stimmt das wirklich? "Ja, IT-Fachkräfte sind eine Gruppe, die zu Recht als Vorreiter beim Homeoffice gilt", sagt Johann Weichbrodt, Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz.

In der Schweiz kommt Homeoffice häufiger vor als in Deutschland, was möglicherweise an der Wirtschaftsstruktur liegt: Die Schweiz ist ein Staat der Dienstleistung; und in der ist Homeoffice überwiegend möglich. Weichbrodt forscht seit etwa zehn Jahren am Thema Homeoffice. "Die stärkere Verbreitung dieser Arbeitsform in den IT-Berufen liegt an der Art dieser Tätigkeit, die Homeoffice möglich macht, gepaart mit dem Verständnis für die Technologien, die dafür notwendig sind", sagt Weichbrodt. Durch diese Kombination kommt Homeoffice bei IT-Fachkräften überdurchschnittlich häufig vor.

Florian Becker, Professor für Wirtschaftspsychologie aus Deutschland, bestätigt die These des Schweizer Wissenschaftlers: "IT-Unternehmen waren Pioniere beim Homeoffice. Das sind sie jetzt auch beim Zurückrudern." Angestellte von Google in den Vereinigten Staaten wird das Gehalt gekürzt, wenn sie dauerhaft im Home Office arbeiten. Auch Twitter und Facebook sowie einige kleinere US-Firmen zahlen ihren Angestellten, die nicht ins Büro zurückkehren wollen, weniger Lohn. "Weil IT-Firmen die ersten beim Homeoffice waren, haben sie auch die meisten Erfahrungen gesammelt, Daten als Tech-Unternehmen haben sie sowieso", sagt Becker. Aufgrund dieser Erkenntnisse regulieren und kalibrieren sie Homeoffice nun.

Denn diese räumliche Form der Arbeitserbringung hat nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile; und nicht jede Person und jede Aufgabe eignet sich dafür. Operative Aufgaben funktionieren im Homeoffice, Innovationen gelingen schlechter. Dies zeigen rückläufige Patentanmeldungen während Corona.

Im Homeoffice entstehen Konflikte leichter und dauern länger. Die Kommunikation ist verzögert und verlangsamt Prozesse, weil Antworten und Entscheidungen sich hinziehen. Die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen ist geringer und sie müssen für die neuen Technologien zur Homeofficenutzung geschult werden. Das kostet Zeit und Geld. Jede Firma will beides am liebsten sparen.

Um Vertrauen zu den Mitarbeitern aufzubauen ist der persönliche Kontakt wichtig. "Für Führungskräfte ist es extrem herausfordernd, online Vertrauen zu bilden", sagt Becker. Mitarbeiterentwicklung ist remote ebenfalls schwieriger: Vor Ort kann direkt Feedback gegeben, gelobt oder Verbesserungsvorschläge gemacht werden. "Über digitale Medien ist das viel schwieriger als in Präsenz", sagt Becker.

Die allergrößte Gefahr besteht darin, dass der Kontakt zu Mitarbeitenden abreißen kann. Dann ist der nächste Schritt die innere oder tatsächliche Kündigung. In Zeiten von Fachkräftemangel kann Homeoffice somit auch kontraproduktiv sein.

Becker warnt: "Wir sollten nicht Führungskräfte ins Homeoffice schicken, während Arbeiter in die Fabrik kommen müssen." Dort entsteht der größte Teil der Wertschöpfung und die Vorgesetzten sind nicht vor Ort. Sollten sie aber, weil Führungskräfte Vorbilder sind. Und sie müssen präsent sein, um Mitarbeiter zu motivieren, sie weiter zu entwickeln und um Streit zu schlichten.

Bei manchen Mitarbeitern ist Homeoffice möglich, weil sie Platz dafür haben. Andere lassen sich zu Hause leicht von der Arbeit ablenken. Homeoffice kann funktionieren, muss aber nicht. Wer wie oft im Homeoffice sein darf, sollte in allen Unternehmen flexibel und nicht starr geregelt sein. "Wir sind auf einem guten Weg zur Individualisierung von Homeoffice, je nach Eignung der Mitarbeiter, Aufgabe und Situation zu hause.", sagt Becker. Nur dann können beide Seiten positiv profitieren.

Im nächsten und letzten Teil unserer Serie über den Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte: Ein Ausblick auf den IT-Arbeitsmarkt in den nächsten Jahrzehnten

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(jk)