Der Chef der Ideenküche

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TR: Wie finden Sie solche Leute? Veranstalten Sie dafür Casting-Shows?

Myhrvold: Ja, sicher (lacht). Nein, im Ernst: Im Laufe der Zeit haben wir ungefähr hundert leitende Erfinder rekrutiert. Die Mehrzahl hat eine Professur an irgendeiner Universität. Einige arbeiten nur in Teilzeit für uns und sind als Unternehmensberater unterwegs, andere waren bereits in Rente und haben dann nach einer neuen Herausforderung gesucht.

TR: Das hört sich unglaublich einfach an: Man bringt einfach eine Menge schlauer Menschen zusammen und lässt sie frei diskutieren. Das ist alles?

Myhrvold: Ja, genau so ist es.

TR: Kein weiterer Trick?

Myhrvold: Nun, ich wünschte, da gäbe es einen geheimen Trick. Irgendwas im Wasser, das wir trinken. Aber so ist es nicht.

TR: Warum tun sich dann große Unternehmen mit riesigen Forschungsabteilungen so viel schwerer als Sie, etwas Neues zu erfinden?

Myhrvold: Zwischen uns und einem großen Konzern gibt es natürlich eine Menge Unterschiede. Einer davon betrifft die Mitarbeiter. Wir haben sehr, sehr gute Erfinder bei uns. Wenn wir das, was wir tun, mit der Mannschaft aus einem großen Unternehmen tun würden, wären wir nicht so gut.

TR: Das werden die großen Unternehmen nicht so gern hören.

Myhrvold: Mag sein. Aber der zweite, noch wichtigere Unterschied ist, auch wenn sich das jetzt vielleicht blöd anhört: Wir tun es einfach. Die meisten großen Unternehmen versuchen einfach nicht, wirklich neue Dinge zu entwickeln. Sie sind zu ängstlich. Und es gibt bei den meisten Firmen keine etablierte Methode dafür.

TR: Eine der Methoden, die in diesem Zusammenhang immer wieder gelobt wird, ist Open Innovation, also der mehr oder weniger freie Austausch von Ideen über Firmengrenzen hinweg. Was halten Sie davon?

Myhrvold: In unserem Fall besteht die fundamentale Geschäftsidee darin, dass wir in Erfindungen investieren. Wenn niemand uns für unsere Produkte, also geistiges Eigentum, bezahlen will, haben wir keine Geschäftsgrundlage. Natürlich gibt es Unternehmen, die sagen: All dieses Wissen sollte frei verfügbar sein. Aber die machen ihr Geld mit anderen Sachen. Google zum Beispiel verdient sein Geld mit Werbung. Wenn jemand verlangen würde, dass Werbung gratis geschaltet wird, würden die das überhaupt nicht witzig finden.

TR: Wir würden gern noch einmal auf TerraPower zurückkommen. Hat sich mit dem Fukushima-Unfall für dieses Projekt etwas verändert?

Myhrvold: Wissen Sie, Atomkraft gehört zu den Dingen, vor denen die Leute enorm viel Angst haben. Und normalerweise können die meisten Menschen nicht sehr gut mit Wahrscheinlichkeiten umgehen. Das ist einer der Gründe dafür, dass es noch immer Spielbanken gibt. Wenn wir so etwas wie Statistik wirklich verstehen würden, würde sich doch niemand mehr an einen Roulette-Tisch setzen. Wir würden sagen: Machst du Witze? Ist doch klar, dass ich hier auf lange Sicht nur verlieren kann.

TR: Wie mit der Atomkraft.

Myhrvold: Im Gegenteil. Wenn Sie Atomenergie aus einer objektiven Perspektive betrachten, wird Ihnen klar, dass es sich um eine der sichersten Methoden handelt, Elektrizität zu gewinnen, die es überhaupt gibt. Ironischerweise hat der Fukushima-Unfall ja sogar gezeigt, wie sicher Atomkraft ist.

TR: Jetzt sind wir aber gespannt.

Myhrvold: Wie viele Menschen sind wegen des Tsunamis gestorben? Wir kennen die genaue Zahl nicht, aber es waren rund 20000. Wie viele Menschen sind an den Folgen des nuklearen Unfalls gestorben? Zurzeit noch niemand. Gut, es gibt Menschen, die im Kraftwerk zu Tode gekommen sind, weil ein Kran auf sie gestürzt ist. Aber nicht an radioaktiver Strahlung.

TR: Soweit wir wissen, sind auch zwei Menschen möglicherweise an den Folgen radioaktiver Verseuchung gestorben.

Myhrvold: Gut. Zwei gegenüber 20000. Selbst wenn es 20 werden, die im Laufe der nächsten Jahre an Leukämie sterben, ist das Verhältnis noch eindeutig. Die Lektion aus Fukushima lautet doch: Wenn man an der japanischen Küste lebt, ist das gefährlich.

Diejenigen, die das Atomkraftwerk gebaut haben, hatten diese Botschaft offenbar nicht wirklich verstanden. Sie haben ein Kraftwerk gebaut, das eine Flutwelle von fünf Meter Höhe übersteht. Die Flutwelle war höher, aber es hat bisher in der Geschichte nur zwei Tsunamis gegeben, die 20 Meter hoch waren.

TR: Und was bedeutet das für Sie?

Myhrvold: Kurz gesagt: Fukushima hätte die Einstellung der Menschen zur Atomkraft nicht ändern sollen. Wenn man ein Atomkraftwerk baut, das Flutwellen von x Metern aushält, und man bekommt einen höheren Tsunami, dann hat man ein Problem. Das ist alles. Stattdessen hat Fukushima Kräften, die der Atomkraft schon immer kritisch gegenüberstanden, eine politische Rechtfertigung geliefert, um aus der Atomenergie auszusteigen.

TR: Kommen wir noch mal auf TerraPower zurück. Wie ist der aktuelle Status des Projektes?

Myhrvold: Bevor ich Ihre Frage beantworte, würde ich gern ein wenig ausholen. Der Grund, warum wir TerraPower gestartet haben, ist folgender: Zurzeit verbraucht eine Person in den USA rund 85 Megawattstunden Energie pro Jahr, das entspricht einer installierten Pro-Kopf-Leistung von zehn Kilowatt – nicht nur Strom, sondern auch Wärme. In Europa liegt die Zahl tiefer, etwa bei der Hälfte, und in China ist es ein Kilowatt.

TR: Okay, aber...

Myhrvold: Und in Afrika ist es noch weniger. Nun wird aber zum Ende des 21. Jahrhunderts nahezu jeder Mensch auf der Welt einen ähnlichen Energiebedarf haben wie wir heute. Woher soll all diese Energie kommen? Ohne zusätzliche CO2-Emissionen?

TR: Sagen Sie es uns.

Myhrvold: Die Antwort ist: Wir brauchen ein Wunder! Keine derzeit existierende Technologie ist in der Lage, diesen Bedarf zu decken. Nicht einmal die Atomenergie – jedenfalls nicht in ihrer heutigen Form. Soweit ich weiß, gibt es nicht genügend Uran dafür.

TR: Und da kommt TerraPower ins Spiel?

Myhrvold: Unser Reaktor ist der einzige weltweit, der jeden Menschen auf der Welt mit so viel Energie versorgen könnte, wie es zurzeit in der westlichen Welt der Fall ist. Es gibt eine Menge Menschen in der Umweltschutzbewegung, die das nicht interessiert. Die denken nicht über Afrika oder China nach. Ihr Blick ist ganz auf die westliche Welt fokussiert. Aber die Chinesen wollen unseren Wohlstand, die Inder, die Brasilianer, die Indonesier. Diese Völker wollen Energie, und sie werden wohlhabender und mächtiger.

TR: Ihr Reaktor kann angeblich mit abgebranntem Kernbrennstoff laufen. Ist es nicht riskant, überall auf der Welt damit zu arbeiten?

Myhrvold: Es gibt kein Proliferationsrisiko, wenn Sie das meinen. In konventionellen Atomkraftwerken wird der abgebrannte Brennstoff aufgearbeitet. Dabei wird Plutonium abgetrennt, das man auch für Atombomben verwenden könnte. Bei uns gibt es keine Wiederaufarbeitung.

TR: Was ist mit dem Risiko sogenannter schmutziger Bomben? Jemand könnte radioaktives Material stehlen und es unter einen gewöhnlichen Sprengsatz mischen.

Myhrvold: Natürlich ist das möglich. Aber man kann auch in ein Krebskrankenhaus einbrechen und dort Strahlungsquellen stehlen. So ist das Leben.

TR: Gibt es ein Land, das Sie für den Bau eines Prototypen bevorzugen würden?

Myhrvold: Nein. Wir suchen einfach nach einem Partner. Es muss ein Land sein, das eine langfristige Energiepolitik verfolgt. Offen gesagt gibt es nicht viele Staaten, auf die dieses Kriterium zu-trifft. Die meisten Regierungen denken nur bis zur nächsten Wahl. Sie wollen die Probleme nur ein wenig aufschieben, nicht lösen.

TR: Es gibt Gerüchte, nach denen Sie mit China verhandeln.

Myhrvold: Natürlich verhandeln wir mit China. Aber wir sprechen auch mit den Russen, mit den Indern und vielen anderen. Das sind Staaten, die verstanden haben, welche Tragweite das Problem hat. Sie haben erkannt, dass sie in den kommenden 20 Jahren das schaffen müssen, wofür Europa 150 Jahre Zeit hatte. China will zwischen 100 und 400 neuer Atomkraftwerke bauen. 400! Zurzeit gibt es rund 430 laufende Atomreaktoren auf der ganzen Welt.

TR: Bis wann soll der erste TerraPower-Reaktor arbeiten?

Myhrvold: Das hängt von unglaublich vielen Faktoren ab. Aber wir hof-fen, dass wir 2012 die ersten Verträge unterzeichnen können, um mit der Arbeit zu beginnen. Von diesem Zeitpunkt an dauert es zwischen fünf und zehn Jahre, um das Kraftwerk tatsächlich zu bauen.

TR: Vielen Dank für das Gespräch. (wst)