Der Chef der Ideenküche

Nathan Myhrvold verfasst nicht nur kiloschwere Kochbücher. Seine Leidenschaft gilt der Lösung kniffliger Probleme. Eines davon ist der wachsende Energiebedarf der Welt. Um den zu decken, brauchen wir verdammt gute Ideen, sagt Myhrvold. Und Atomkraft.

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Inhaltsverzeichnis

Nathan Myhrvold verfasst nicht nur kiloschwere Kochbücher. Seine Leidenschaft gilt der Lösung kniffliger Probleme. Eines davon ist der wachsende Energiebedarf der Welt. Um den zu decken, brauchen wir verdammt gute Ideen, sagt Myhrvold. Und Atomkraft.

Dem 52-jährigen Mathematiker und Physiker Nathan Myhrvold eilt der Ruf eines Wunderkindes und Überfliegers voraus. Nachdem er bereits mit 23 seine Promotion abgeschlossen hatte, forschte er unter anderem bei Stephen Hawking in Cambridge an Fragen der Kosmologie und Quantenfeldtheorie.

1984 gründete er die Softwarefirma Dynamical Systems, die 1986 von Microsoft gekauft wurde. Dort stieg Myhrvold zum technischen Direktor auf und legte 1991 den Grundstein für den Forschungszweig des Unternehmens: Microsoft Research. Der begeisterte Koch verließ Microsoft 1999 und gründete kurz darauf die Erfinderfabrik Intellectual Ventures.

Technology Review: Mr. Myhrvold, würden Sie sich selbst als neugierige Person bezeichnen?

Nathan Myhrvold: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten, die alle formal korrekt wären.

TR: Wie meinen Sie das?

Myhrvold: Nun, ich bin auf viele verschiedene Dinge neugierig. In Eng-lisch bedeutet "curious person" aber auch, dass jemand ein bisschen seltsam ist. Und in gewisser Weise ist auch diese Aussage richtig.

TR: Ihr neues und – verzeihen Sie – etwas verrücktes Kochbuch (siehe TR 10/2011) scheint dieses Urteil zu bedienen. An welche Zielgruppe wenden Sie sich eigentlich damit?

Myhrvold: An Menschen, die eine Leidenschaft für Lebensmittel haben und die neugierig sind. Einige werden dieses nicht ganz billige, sechsbändige Werk als Dekorationsbuch verwenden oder sich an den Fotos freuen. Ein paar Hobbyköche werden vielleicht einige Rezepte nachkochen. Und dann gibt es noch die professionellen Küchenchefs.

TR: Sie selbst sind auch ausgebildeter Küchenchef. Bekannt sind Sie aber vor allem als Gründer einer Fabrik für Erfindungen. Können Sie Ihr Unternehmen Intellectual Ventures kurz beschreiben?

Myhrvold: Die Kurzfassung geht so: Unser Unternehmen investiert in Erfindungen. So wie ein Risikokapitalgeber. Der lebt vom Glauben an den Erfolg eines Unternehmens, das noch nicht existiert. Das hört sich zunächst wie ein Widerspruch an. Tatsächlich hat diese Idee aber eine ganze Reihe sehr erfolgreicher Unternehmen hervorgebracht: Google, Facebook und Amazon waren nur möglich – zumindest teilweise –, weil es Leute gab, die diese Unternehmensgründungen finanziell unterstützt haben.

TR: Was unterscheidet Intellectual Ventures von anderen Firmen?

Myhrvold: Wir investieren in Erfindungen, nicht in Unternehmen. Ein Risikokapitalgeber setzt darauf, dass ein Unternehmen in – sagen wir – zwei Jahren wertvoller ist als heute. Wir machen dasselbe mit Erfindungen. Wir finanzieren Erfindungen, die es noch nicht gibt.

TR: Wie können Sie sicher sein, dass Sie nicht in einen Haufen Unsinn investieren?

Myhrvold: Aber das werden wir. Und das finde ich gut. Die meisten unserer Investments werden scheitern. Das ist in Ordnung, weil der Erfolg nicht daran gemessen werden kann, wie hoch der Prozentsatz an erfolgreichen oder gescheiterten Projekten ist. Man muss zwangsläufig auch in Mist investieren, weil niemand wirklich alles wissen kann. Aber wir gehen davon aus, dass die wenigen Projekte, die erfolgreich sind – auch wenn es nur ein paar Prozent sind –, absolut gesehen viel mehr einbringen. Das gleicht den Verlust der anderen Projekte mehr als großzügig aus.

TR: Sie nehmen also in Kauf, oft danebenzuliegen?

Myhrvold: Das ist entscheidend. Wenn wir so konservativ wären, dass wir versuchen, nur noch in erfolgreiche Ideen zu investieren, würden wir zu ängstlich sein. Wenn man in unserer Branche arbeitet, macht man sich am besten klar, dass man nicht alles perfekt machen kann.

TR: Können Sie uns ein paar Beispiele für aktuelle Projekte geben?

Myhrvold: Sicher. Wir haben ein Projekt namens TerraPower, bei dem es um die Entwicklung von neuen Atomreaktoren geht. Außerdem investieren wir eine Menge Geld in Metamaterialien. Ich glaube, wir haben mittlerweile mehr Patente dazu als irgendjemand anderes auf der Welt.

TR: Metamaterialien? Was kann man damit anfangen?

Myhrvold: Nun, das ist eine sehr interessante Sache. Bisher sind Metamaterialien eine Lösung für ein Problem, das wir noch nicht gefunden haben. Aber das Zeug ist so spannend, dass wir uns entschieden haben, die Idee zu unterstützen, auch wenn wir noch nicht so genau wissen, warum eigentlich. Mittlerweile denken wir, dass eine der ersten Anwendungen eine elektronisch steuerbare Richtantenne für den Mobilfunk sein könnte. Denn wenn Sie bei der digitalen Datenübertragung per Funk eine hohe Übertragungsrate haben wollen, müssen Sie auf hohe Frequenzen ausweichen – im Gigahertz-Bereich.

TR: Wo kommen da die Metamaterialien ins Spiel?

Myhrvold: In diesem Frequenzbereich verhält sich Mobilfunk wie Mikrowellenstrahlung. Um Mikrowellen aufzufangen, verwendet man normalerweise eine bewegliche Antennenschüssel. Für mobile Anwendungen ist das keine praktikable Lösung. Wenn wir aber die Materialeigenschaften von Metamaterialien geschickt ausnutzen, können wir eine kleine, flache Antenne ohne bewegliche Teile für Mobilfunkempfänger bauen, mit der wir die Funkwellen in jeder beliebigen Richtung senden und empfangen können.

TR: Und weiter?

Myhrvold: Wir haben noch andere spannende Ideen – medizinische Bildgebung zum Beispiel. Es gibt haufenweise Dinge, die man mit Metamaterialien machen kann.

TR: Wie viele Angestellte arbeiten für Intellectual Ventures?

Myhrvold: Meine Assistentin hat die exakten Zahlen, aber ich denke, es sind etwa 800.

TR: Das ist ein ganze Menge. Wie organisieren Sie diese große Erfindungsfabrik?

Myhrvold: Die meisten unserer Erfindungen entstehen in sogenannten "Invention Sessions". Das heißt, eine Gruppe von Menschen kommt zusammen, sammelt und diskutiert Ideen in einer Art Brainstorming. Dieses Verfahren widerspricht aber allem, was Ihnen sogenannte Kreativitätsberater als erfolgversprechendes Brainstorming verkaufen. Wir achten zwar darauf, dass die Sitzungen grundsätzlich strukturiert sind, aber meist geht diese Struktur schon nach kurzer Zeit verloren.

TR: Wie sieht so eine Struktur denn aus?

Myhrvold: Wir versuchen uns zunächst ein Bild davon zu machen, was auf einem bestimmten Gebiet bereits passiert ist. Weil man sonst seine Zeit damit verschwendet, etwas zu erfinden, das andere Leute bereits erfunden haben. Aber man kann sich da niemals völlig sicher sein.

TR: Wer nimmt an diesen Sitzungen teil?

Myhrvold: Wir suchen Teilnehmer aus, die einen möglichst breit gestreuten Hintergrund haben – Physiker, Informatiker, Biologen, aber es geht nicht nur um die Berufsausbildung. Wir suchen auch nach Leuten, die unterschiedliche Sichtweisen haben, unterschiedliche Methoden. Oft ist es so, dass nicht eine einzelne Person ein Rätsel löst, sondern alle gemeinsam. Und jeder hat ein anderes Stück des Puzzles in der Hand.