Warum es bei Impfstoffen nicht immer so schnell geht wie bei Corona

Seite 2: Gute Impfstoffe machen die Natur nach

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Aber weshalb ist es so schwierig, Impfstoffe gegen sie zu entwickeln? Immerhin ist es innerhalb eines Jahres gelungen, einen Impfstoff gegen COVID-19 zu entwickeln, der sehr effektiv schützt. Dafür hat Marylyn Addo eine einleuchtende Erklärung: "Der Körper schafft es, in einer normalen Infektion mit SARS-CoV-2 eine Immunität gegen COVID-19 aufzubauen. Das macht der natürliche Verlauf auch bei vielen anderen Infektionserkrankungen. Aber es gibt keine natürliche Immunität gegen HIV, es gibt keine vergleichbare natürliche Immunität gegen Tuberkulose und auch nicht gegen Malaria." Gute Impfstoffe machen die Natur nach oder verbessern im Idealfall sogar die Immunmechanismen, die die Erreger auslösen. "Ehrlicherweise müssen wir sagen, dass wir auch bei COVID-19 noch nicht ganz verstanden haben, welche exakten Zusammenhänge dahinterstehen, aber bei den Großen Drei ist uns das noch weitgehend unklar."

"Impfstoffforschung ist historisch sehr viel Empirie gewesen – mit Trial and Error", sagt Marylyn Addo. "Wir haben die Erreger genommen, abgeschwächt oder getötet und geschaut, was passiert. Und häufig hat es ja geklappt." Die Erreger, bei denen das eben nicht mehr funktioniert, zwingen die Forschenden nun zum Weiterdenken. "Wir entwickeln eigentlich rückwärts, jetzt schauen wir uns an, was das Immunsystem benötigt, und versuchen, dazu passend Impfstoffe zu entwickeln."

"Wir haben durch die Impfstoffentwicklung bei SARS-CoV-2 gelernt, dass wir für gute Impfstoffe ein strukturbasiertes Antigen-Engineering brauchen", ist Thomas Pietschmann überzeugt. Er erforscht am hannoverschen Twincore mit dem Hepatitis-C-Virus und dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) zwei Viren, die sich ebenfalls den Versuchen, Impfstoffe zu entwickeln, bislang hartnäckig entziehen. "Die Impfstoffe von Biontech und Moderna gegen COVID-19 setzen ein stabilisiertes Protein als Impfstoff ein, das eine stärkere Immunantwort auslöst als das natürliche." Das könne auch für andere, widerständigere Erreger erfolgversprechend sein, ist Pietschmann überzeugt.

Etwa für RSV scheint der Weg zu einem Impfstoff genau darüber zu laufen. Die aus seiner Sicht wichtigsten Kandidaten sind RSV-Impfstoffe, die auf das Protein in der Viruszelle abzielen, das für die Fusion des Virus mit dem Wirt verantwortlich ist. "Wenn das Virus an den Rezeptor gebunden hat, lagern sich die Fusionsproteine um. Bei RSV ist es gelungen, die Struktur dieses Fusionsproteins vor und nach der Fusion zu dokumentieren", erklärt der Virologe. "Und dann konnte man prüfen, wo die guten Antikörper binden, und durch kleine Veränderungen im Fusionsprotein dafür sorgen, dass die Impfproteine genau in dieser Form stabil bleiben." Einer der Impfstoffe ist ein mRNA-Impfstoff von Moderna und die Studienergebnisse werden für Ende 2022 erwartet.

Überhaupt scheint in der Impfstoffentwicklung seit einem Jahr nichts mehr ohne die vier magischen Buchstaben mRNA zu gehen. Die Unternehmen, die diese Impfstoffe entwickeln, schreiben sich nun Impfstoffe gegen HIV, Malaria, nosokomiale Keime, Influenza, RSV und diverse andere Erkrankungen ins Portfolio. Kann mRNA künftig alle Impfprobleme lösen? "Mit mRNA können wir tolle Antikörperantworten erzeugen, aber sie sind nicht die alleinigen Heilsbringer", rückt Pietschmann den Hype ins rechte Licht. "Damit wir mRNA-Plattformen mit strukturbasiertem Antigen-Engineering kombinieren können, brauchen wir vor allem das Wissen über die Zielstrukturen, die wir benötigen, um vor einem Erreger zu schützen. Und wir müssen wissen, wie wir sie strukturbiologisch präsentieren müssen."

Hinzukommt, dass das Immunsystem nicht nur aus Antikörpern besteht. Es hat viele Arme, die sich gegenseitig beeinflussen und im Idealfall sowohl schnell zuschlagen als auch ein langes Gedächtnis aufbauen. Wie die verschiedenen Antworten des Immunsystems adressiert werden können, sind die entscheidenden Forschungsfragen, mit denen sich die Immunologie in den nächsten Jahren auseinandersetzen muss.

Und mRNA-Impfstoffe können ein Werkzeug sein, um diese Fragen zu beantworten, ist Mariola Fotin-Mleczek, Forschungsleiterin beim mRNA-Pionier Curevac aus Tübingen, überzeugt. "Die Technologie ist sehr schnell, sodass wir multiple Konstrukte parallel für Forschungszwecke herstellen können. Damit können wir mit wenig Aufwand ausprobieren, wie Antigene optimal präsentiert werden müssen", erklärt sie. Brauche ich das gesamte Protein oder nur einen Teil davon? Brauche ich es in der Membran oder in der Zelle?