Warum es bei Impfstoffen nicht immer so schnell geht wie bei Corona

Seite 5: "Wir kratzen mit unserem Verständnis nur an der Oberfläche."

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Er setzt auf das Staph-aureus-Protein Coproporphyinogen III Oxidase, kurz CgoX, das im Inneren der Bakterien Teil der Baukaskade für Häm ist. Häm-Moleküle sind wichtig etwa für die Zellatmung und Hämoglobin, unseren roten Blutfarbstoff. Und auch Bakterien müssen irgendwie atmen und tun das über Häm-Proteine. Um zu verstehen, worauf Krönkes Impfansatz aufbaut, ist nun ein wenig Anlauf nötig: Der wichtigste Schutzmechanismus gegen Staph aureus sind Neutrophile Granulozyten, die mit Abstand häufigste Sorte von weißen Blutkörperchen. "Die gelten unter Immunologen eigentlich als langweilig, unspezifisch, fressen alles, was ihnen über den Weg läuft, und sind auch noch nach drei Tagen tot", erzählt Krönke. Aber sie sind eben auch die einzige wirkliche Abwehrwaffe gegen Staph aureus und andere Bakterien. Diese Neutrophilen fressen die Staphylokokken im Gewebe oder in der Blutbahn ganz einfach auf. Dafür sind keine großen Immunkaskaden, Antikörper oder was auch immer nötig. Ein ganz unspektakulärer, aber sehr effizienter Mechanismus, der 24/7 für unsere Gesundheit arbeitet.

Frisst nun ein solcher Neutrophiler einen Staph aureus, schließt er das Bakterium mit seiner Membran in eine Nische ein. Beim Zerstören werden nun alle Moleküle aus dem Inneren von Staph aureus freigesetzt – auch Toxine, die Membranen perforieren. Sie durchlöchern die Trennmembran zwischen der Nische und dem Inneren des Neutrophilen. CgoX schlüpft durch diese Löcher in das Innere des Neutrophilen und trifft dort auf ein Substrat, mit dem es ein Häm baut. Dieses Bakterien-Häm ist allerdings giftig für den Neutrophilen und tötet die Zelle. "CgoX ist sozusagen das Leichengift von Staph aureus, das post mortem noch den Neutrophilen Granulozyten platt macht, nachdem dieser ihn gefressen hat", fasst Krönke zusammen.

Jetzt kommt der Antikörper, der durch eine Impfung mit nur einem kleinen Ausschnitt von CgoX entsteht, ins Spiel: Staph aureus hat sich im Blut – bevor er vom Neutrophilen erwischt wurde – mit diesen Antikörpern über sein Protein A beladen. (Sie erinnern sich noch an das Wasser auf dem Gefieder einer Ente?) Es schleppt diese ganzen gesammelten Antikörper mit in den Neutrophilen und wenn Staph aureus zerlegt ist, können diese Antikörper jetzt CgoX abfangen. Das giftige Häm entsteht nicht. "Damit retten die Antikörper den Neutrophilen das Leben, die dann weiterhin Jagd auf Staph aureus machen können", schließt Krönke. Und das funktioniert offenbar flächendeckend, denn "der kleine Abschnitt aus dem Protein, mit dem wir impfen, gehört nicht zu den mutationsträchtigen Teilen der CgoX". Bei fast 35.000 verschiedenen, in Kliniken isolierten Varianten ist diese eine Stelle immer gleich.

Dieser hoch komplizierte Mechanismus zeigt, wie komplex die Entwicklung von Impfstoffen gegen Bakterien ist. Und er weckt viele Hoffnungen: Die Hoffnung, dass Staph aureus keine Ausweichmechanismen gegen die Strategie entwickelt, weil es keinen äußeren Selektionsdruck gibt wie bei Antibiotika. Die Hoffnung, dass auch andere Bakterien ähnliche Mechanismen nutzen und sich so eben doch Impfstoffe gegen sie entwickeln lassen, und die Hoffnung, dass sich ein Pharmakonzern noch einmal an einen Impfstoffkandidaten für Staph aureus heranwagt. Denn auch Antibiotika entwickeln sie kaum noch – das Geschäft lohnt sich nicht; zu schnell reagieren Bakterien mit neuen Resistenzen.

Egal ob Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten: Das Rennen mit den Erregern um unsere Gesundheit wird immer rasanter. Hoffnung und "Trial and Error" führen dabei nicht ins Ziel, sondern Systemanalyse, ist Marylyn Addo überzeugt: "Viel von dem, was im Immunsystem bei einer Infektion oder Impfung passiert, passiert am ersten Tag. Da werden irgendwo im Körper die Weichen gestellt. Wir wissen weder, was noch wo es geschieht, denn wir messen Immunsignaturen oder Antikörper nur im Blut. Wir kratzen mit unserem Verständnis nur an der Oberfläche." Das müsse sich ändern. Und dann teilt sie eine letzte Folie. Zu sehen ist eine Studie von 2008, auf der die Immunantwort von Frauen und Männern auf einen Influenza-Impfstoff zu sehen ist. "Hier sehen Sie, dass eine halbe Impfdosis für Frauen mit dem Impfstoff gegen A/H3N2 noch wirksamer war als die volle Dosis bei Männern. Oder hier: Gelbfieber ist eine unserer besten Impfungen. Dabei werden bei Männern vier Gene angeschmissen, während bei den Frauen 600 angeschaltet werden. Wir haben echt noch viel vor. Solche Sachen müssen wir aufarbeiten."

(lca)