Warum es bei Impfstoffen nicht immer so schnell geht wie bei Corona

Seite 4: Impfen gegen Resistenzen

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Auch in der Malaria-Prophylaxe ist viel Bewegung, aber so wie die HIV-Studien schon eine 50-prozentige Schutzwirkung als Erfolg vermelden würden, sind auch die Malaria-Forschenden derzeit noch bescheiden. Plasmodium, der Parasit, der die Malaria auslöst, bietet theoretisch verschiedene Angriffsmöglichkeiten für Impfstoffe und inzwischen ist auch klar, dass das Immunsystem nach diversen Infektionen so etwas wie eine Immunität aufbaut.

Der am weitesten entwickelte Impfstoff hat den kryptischen Namen RTS,S/AS01 oder den Handelsnamen Mosquirix aus dem Hause GlaxoSmithKline. Er befindet sich derzeit in der Phase IV der klinischen Studien und wurde im Oktober von der WHO für die breite Anwendung empfohlen – nun fehlt nur noch die Zulassung. Der Impfstoff arbeitet mit einem isolierten Protein, das in einem Entwicklungszwischenschritt des Parasiten vorkommt. Er schützt immerhin Kinder vor einer unkomplizierten Malaria-Form mit einer 30-prozentigen Wirkung. Seine Entwicklung hat drei Jahrzehnte gedauert und seit April 2019 wird er in groß angelegten Pilotkampagnen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara verimpft. Aber es sind auch andere Vakzine in klinischen Studien, die mit abgeschwächten Entwicklungsstadien der Parasiten arbeiten. Etwa ein Impfstoffkandidat in Phase II vom Tropeninstitut der Universität Tübingen. Von diesem und ähnlichen Ansätzen versprechen sich Experten noch bessere Schutzwirkung.

Und auch in der Tuberkulose-Impfstoffforschung sind seit diesem Jahr deutliche Fortschritte zu sehen. Unter allen Krankheitserregern ist das Mykobakterium tuberculosis für die meisten Todesfälle verantwortlich. Jedes Jahr sterben etwa 1,6 Millionen Menschen an einer Tuberkulose und etwa zehn Millionen erkranken an ihr, schätzt die WHO. Ein Drittel der Menschheit infiziert sich im Lauf des Lebens mit dem Bakterium. Das Tückische an der Infektion ist, dass sie meist unbemerkt verläuft. Die Bakterien schleichen sich in den Körper ein, infizieren in der Lunge Granulozyten – Immunzellen – und warten dort auf eine günstige Gelegenheit. Seit hundert Jahren gibt es zwar einen abgeschwächten Lebend-Impfstoff, der jedoch nur Kleinkinder vor einer besonderen Frühform der Tuberkulose schützt, der sogenannten Millartuberkulose. Erwachsene schützt der Bacille Calmette-Guérin-Impfstoff (BCG) nicht. Die Strategien gegen Tuberkulose sind vielfältig und einige von ihnen sind auf einem guten klinischen Weg. Derzeit befinden sich zwei Kandidaten in Phase III und acht in Phase II.

Die Tuberkulose zeigt gleich noch eine andere Baustelle für Impfstoffe auf: Ein stetig wachsendes Problem bei der Behandlung der Lungenkrankheit ist, dass das Mycobacterium tuberculosis immer mehr Resistenzen gegen Antibiotika ausbildet. Ein weiterer Grund, weshalb die Entwicklung eines Impfstoffes so wichtig ist. Allerdings klingeln beim Stichwort „Antibiotikaresistenz“ bei Medizinern die Alarmglocken, denn generell sind diese zu einer massiven Bedrohung geworden.

"Nosokomiale Keime" ist der Fachbegriff für ganz gewöhnliche Bakterien, die erst in Krankenhäusern zu einem Problem werden. Sie infizieren Wunden, Lungen oder Blasen, in denen ein Katheter liegt. Die üblichen Begleiterscheinungen eines Krankenhausaufenthaltes. Nur dass immer mehr dieser Keime resistent gegen Antibiotika sind. Gegen alle Antibiotika. "Die Erreger, die uns Kummer machen, sind Bakterien, die in unserem Darm wohnen. Und Staphylokokken, die auf der Haut leben", erklärt Addo. Gerät etwa ein Staphylococcus aureus von der Haut in den Blutkreislauf – bei einer Operation oder über eine Nadel für einen Tropf – führt er im schlimmsten Fall zu einer Sepsis, Multiorganversagen und Tod. Der berühmteste nosokomiale Keim ist sicher MRSA, die Kurzform von Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus. Das Kürzel wird umgangssprachlich gerne mit multi-resistenter Staphylococcus aureus übersetzt – fachlich falsch, aber dennoch treffend. "Das Thema Antibiotika-Resistenz ist riesig, vielleicht sogar größer als HIV", schätzt die Infektiologin. "Gegen HIV haben wir wenigstens wirksame Medikamente." Allerdings sei es schwierig, gegen Keime der Flora zu impfen. Wie soll man gegen etwas einen Immunschutz aufbauen, mit dem man lebt?

Hinzukommt, dass es ungleich schwieriger ist, gegen Bakterien Impfstoffe zu entwickeln als gegen Viren. Letztere gelten streng genommen nicht einmal als Lebewesen. Und bislang war der Druck, sich dieser Aufgabe zu stellen, auch nicht allzu groß – es gab schließlich Antibiotika. Die schon lang existierenden Impfstoffe gegen Tetanus- und Diphterie-Bakterien beispielsweise richten sich nicht einmal gegen die Keime selbst, sondern gegen die Giftstoffe, die sie bilden. "Es sind nicht die Bakterien selbst, die uns krank machen, es ist die Entzündungsreaktion", macht Martin Krönke klar. Er ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Uniklinik Köln. "Der Grund, weshalb es so schwierig ist, Impfstoffe für Bakterien zu entwickeln, ist die Redundanz ihrer Angriffs- und Abwehrmöglichkeiten. Wenn sie 20 verschiedene Strategien bei ein und demselben Keim haben, um Wirtszellen und immunologische Abwehrzellen anzugreifen, reicht es nicht, nur einzelne von denen auszuschalten."

Und der gefürchtete Staphylococcus aureus sei "noch mal eine ganz andere Nummer. Wir diagnostizieren jedes Jahr 300 Fälle von Blutvergiftung mit Staph aureus allein in der Uni-Klinik Köln. Ganz zu schweigen von den vielen tiefen Wundinfektionen", sagt Krönke: "Es gibt keinen anderen Keim mit einer solchen Vielzahl und Redundanz an krankmachenden Faktoren. Und 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung sind mit Staph aureus besiedelt." Er hat etwa 2.000 Antigene, also charakteristische Moleküle im Zellinneren und an der Oberfläche, an die Antikörper des Immunsystems binden können. Gegen fast alle bilden wir bereits in frühester Jugend Antikörper. "Aber das hilft uns offenbar bei schweren invasiven Infektionen nicht viel. Antikörper machen Staph aureus so viel aus wie Wasser dem Gefieder einer Ente." Die Bakterien setzen mit ausgefeilten Mechanismen die verschiedenen Arme des Immunsystems geschickt außer Gefecht. Einer dieser Mechanismen ist das Protein A auf seiner Oberfläche: Es bindet völlig unspezifisch Antikörper mit dem "falschen" Ende. Damit kann das aktive Zentrum des Antikörpers nicht mehr mit seinem Ziel auf der Oberfläche reagieren und hängt sozusagen hilflos in der Luft.

Wie entwickelt man nun gegen so einen Erreger einen Impfstoff? Die Idee, ein Oberflächenprotein für die Impfung zu verwenden – wie das bei vielen Viren so erfolgreich ist –, funktioniert offenbar nicht. Schon fast jeder Pharmakonzern hat bei dem Versuch viel Geld in klinischen Studien versenkt. Krönke sieht den Schlüssel zu einem Impfstoff nicht auf der Oberfläche des Bakteriums und auch nicht in Toxinen wie bei Tetanus und Diphtherie, sondern im Stoffwechsel.