Die Gen-Chirurgen

Das Biotech-Unternehmen Sangamo kann Gene nicht nur ein- oder ausschalten, sondern auch reparieren: Mit Proteinen, die selbsttätig die fehlerhafte DNA-Stelle ansteuern.

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Lesezeit: 17 Min.
Von
  • Sascha Karberg
Inhaltsverzeichnis

Es war kein Forscher, kein in Laborarbeit vertieftes Genie, das der Gentherapie ihre zweite Chance eröffnete. Es war ein Manager, der sich anno 1994 mit den Patentproblemen seines Unternehmens herumschlug. Zur Zerstreuung las Edward Lanphier, damals Finanzchef des Gentherapie-Startups Somatix, ein paar Arbeiten des Nobelpreisträgers Sir Aaron Klug. Der Biochemiker vom britischen Laboratory of Molecular Biology in Cambridge hatte Eiweiße mit den Eigenschaften eines Zielerfassungssystems entdeckt. Treffsicher aufs Atom genau – das perfekte Vehikel für die Genmedizin.

Während Molekularbiologen wie Klug nur darüber schrieben, was damit möglich wäre, wurde der Geschäftsmann Lanphier aktiv. Er verließ Somatix, lizenzierte die nötigen Patente, meldete selbst welche an und startete 1995 die Biotechfirma Sangamo BioSciences in Richmond bei San Francisco. Der Wechsel hat sich gelohnt: Mittlerweile haben Lanphiers Forscher aus der Idee eine Technik entwickelt, mit der defekte menschliche Gene gezielt repariert werden können.

Vergleichbares hat es nie zuvor gegeben, obwohl seit rund 15 Jahren tausende so genannter Gentherapien in klinischen Versuchen getestet wurden. Denn die meisten der Forscher, die sich Gentherapeuten nennen, sind in Wirklichkeit eher Genschmuggler: Sie versuchen, zusätzlich zum kaputten Gen eine intakte Version in die Zelle einzuschleusen, in der Hoffnung, dass diese sich durchsetzt. Doch häufig geht das kostbare Schmuggelgut auf dem Weg in die Zelle einfach verloren. In mindestens zwei Fällen endete der Austauschversuch sogar tödlich: So starb 1999 ein 18-Jähriger an einer Überdosis von Viren, mit denen ein Gen in seine Zellen eingeschleust werden sollte. Und bei dem zunächst als Erfolg gefeierten Versuch, eine Gruppe von Kindern mit einer erblich bedingten Immunschwäche mittels Gentherapie zu heilen, erkrankten drei der Kinder an Blutkrebs – ausgelöst durch das heilversprechende Ersatzgen, das im Erbgut der Patienten zufällig ein Krebsgen eingeschaltet hatte. Zwei der Kinder konnten geheilt werden, eines starb an diesen Nebenwirkungen.

Seither war die Gentherapie-Szene im Schock erstarrt – bis die Sangamo-Forscher im April 2005 an derselben Krankheit, der SCID (Severe Combined Immunodeficiency), zeigen konnten, dass sich mit ihrer Technik solche Risiken vermeiden lassen. Ein „neuer Sicherheitsstandard“, jubelte der Molekularbiologe Scott Wolfe von der University of Massachusetts, von einem „beträchtlichen Fortschritt“ sprach die Präsidentin der amerikanischen Gentherapie-Gesellschaft Katherine High. Sangamo scheint auf dem besten Weg, gleich zwei Versprechen der modernen Wissenschaft einzulösen: Tatsächlich könnte es möglich werden, defekte Gene im Körper zu reparieren und so schwerste Krankheiten zu heilen. Und tatsächlich kommen dabei Werkzeuge zum Einsatz, die man getrost als Nanoroboter bezeichnen könnte: Proteine, die selbsttätig die fehlerhafte DNA-Stelle ansteuern und reparieren.

FINGER AUF DEN GENEN

Edward Lanphier hatte bereits Erfahrungen mit den Tücken der Biotechnologie bei Pharmakonzernen wie Eli Lilly oder Synergen gesammelt, als er zu Somatix wechselte. Dort entwickelte man Transportvehikel, so genannte Vektoren, um Gene in die Zellen erbkranker Patienten zu schleusen. „Wir hatten aber keine therapeutischen Gene, die wir hätten hineinpacken können“, sagt der gelernte Biochemiker und versucht im fensterlosen Konferenzraum vergebens, den Beamer in Gang zu bringen: Die Rechte daran lagen bei Pharma- oder Biotech-Firmen wie Amgen oder Genentech. In dieser Situation stieß Lanphier in einer Fachzeitschrift auf die zielsicheren Proteine von Aaron Klug – „Zinkfinger“ hatte der britische Forscher seine Entdeckung getauft, denn die kleinen Eiweiße hatten eigentümliche, fingerähnliche Ausstülpungen, die an der Basis durch ein Zink-Atom in Form gehalten wurden.

Damit können sie buchstäblich nach DNA greifen und sie abtasten, um zu überprüfen, aus welchen Bausteinen sie besteht. Wenn sie die richtige Kombination der vier DNA-Bausteine Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin gefunden haben, krallen sie sich fest – so sind sie in der Lage, in einem Milliarden Bausteine langen DNA-Stück einen ganz bestimmten Abschnitt zu finden und daran kleben zu bleiben. Ein Finger erkennt dabei drei bis vier DNA-Bausteine. Welche das sind, ist vom Aufbau des Zinkfingers abhängig. Zwei Zinkfinger in einem Protein nebeneinander bleiben an einer sechs Bausteine langen DNA-Sequenz hängen, bei drei Fingern muss schon eine Abfolge von neun DNA-Bausteinen passen und so weiter.

„Man kann Zinkfinger wie Legosteine miteinander kombinieren“, erklärt Lanphier begeistert. „Ein einzigartiges Bauprinzip“, denn alle anderen bekannten DNA-bindenden Eiweiße bleiben eher zufällig an einer bestimmten DNA-Bausteinabfolge kleben. Allein bei den Zinkfingern steckt eine nachvollziehbare Logik dahinter. Entsprechend häufig nutzt die Natur das Prinzip: „Zinkfinger-Proteine finden sich in allen Organismen“, sagt Lanphier.