Die Neuerfindung des Fliegens

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"Wir arbeiten in kleinen Teams", erklärt Fischer, der die Teammitglieder persönlich danach aussucht, dass sie hochrangige Spezialisten auf ihrem Gebiet sind, die dennoch gut zusammenarbeiten können, "und wir arbeiten relativ schnell". Denn im Gegensatz zur normalen Forschungspraxis kann Festo sich den Luxus leisten, die wissenschaftliche Arbeit mit ihrem ganzen Vollständigkeitsanspruch zugunsten des Projektziels zu vernachlässigen. "In einem Jahr haben Sie bei einem öffentlich geförderten Projekt meist noch nicht einmal den Projektantrag durch das Genehmigungsverfahren bekommen", erklärt Fischer, um gleich darauf seiner Kritik die Spitze zu nehmen: "Ich sage damit nicht, dass die eine Arbeitsweise besser ist als die andere. Beide Verfahrensweisen müssen sich ergänzen."

Bei Festo jedoch hat das Ziel, das Exponat auf der Hannover Messe zu präsentieren, oberste Priorität. "Man muss sich dies wie ein Concept Car in der Auto-Industrie vorstellen", sagt Axel Gomeringer, Leiter der Abteilung Innovation und Technology Management. "Es geht natürlich um die Inhalte – die konkreten Technologien, die in einem solchen Projekt stecken. Aber es geht auch darum, die Begeisterung für Technik zu wecken." Und für Themen wie die Energie-Effizienz.

Denn neben den Erfahrungen im Leichtbau und der Steuerungstechnik, die das Projektteam gesammelt hat, lobt Gomeringer in seinen Kundenvorträgen vor allem das "Condition Monitoring", also die Echtzeitüberwachung der Betriebsparameter des Vogels, die eine erfolgreiche Optimierung der Flugmaschine erst möglich gemacht haben. Während des Vogelfluges werden ständig die aktuellen elektrischen Leistungsdaten übertragen, der Ladestand des Akkus, die Positionsdaten der Hall-Senso-ren und der Torsionswinkel der Handflügel. "Das versuchen wir auch in die Automatisierungstechnik zu übertragen", sagt Gomeringer. Bereits heute bietet das Unternehmen Sensoren an, die Drücke und Durchflüsse in einem pneumatischen System messen und diese Werte direkt an einen Steuercomputer weitergeben. Das SmartBird-Projekt soll helfen, diese Sensoren nun auch drahtlos anzubinden und das System somit kostengünstiger und flexibler anzubieten. "Wenn in der Produktion eine Leckage auftritt, sehe ich sofort einen höheren Verbrauch", erklärt der Ingenieur. "Denn die Herausforderung ist ja, dass man eine solche Leckage nicht sieht und häufig auch nicht hört. Wenn aber von den Sensoren ein Signal ausgegeben wird, können wir dieses an eine zentrale Steuerung weitergeben, sodass dem Bediener sofort eine Meldung ausgegeben wird: Hier liegt ein Problem vor."

Damit hat der SmartBird eigentlich seinen Job perfekt erledigt. Vordergründig als Beispiel für Energie-Effizienz und bionische "Funktionsintegration" konzipiert, wurde die künstliche Möwe schnell zum idealen Imageträger für Festo. Doch anders als der bionische Greifarm, für den Festo 2010 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet wurde, wird sie wohl ein reines Demonstrationsobjekt bleiben. Eine direkte Vermarktung ist nicht vorgesehen, auch wenn der SmartBird zur Hannover Messe Anfang April scharenweise Modellbau-Fans angezogen hat. Doch ein bisschen was zu basteln finden die schwäbischen Tüftler immer noch. Man werde in Kürze noch eine "Schubvektorsteuerung" implementieren, erklärt Fischer. Zwar sei durch die Mechanik der Schlag beider Flügel fest gekoppelt – sie schlagen auf beiden Seiten immer zusammen auf und ab. "Ich kann aber die Flügelspitze auf der einen Seite weniger verdrehen als auf der anderen", sagt Fischer. Auf diese Weise soll der Kunstvogel noch wendiger werden.

Für Wolfgang Send als Privatperson fehlt am Kapitel "SmartBird" noch der Epilog. Das ist für ihn die strömungsmechanisch-theoretische Aufarbeitung, "also eine Antwort auf die Frage, ob das, was im Experiment gemacht worden ist, sich auch in der Theorie nachvollziehen lässt." Denn das sei, so Send, der entscheidende Schlüssel, um mit dieser Technologie auch größere, Personen tragende Flugzeuge anzutreiben.

Wird die Vision des Leonardo da Vinci doch noch Wirklichkeit? Send ist davon überzeugt, dass Schlagflügelantriebe zumindest als ergänzende Antriebsform eines Tages realisiert werden. "Ich glaube nicht, dass es daran scheitert, Entwickler dafür zu gewinnen", sagt er. "Ich habe mehrere Vorträge dazu gehalten. Und danach kamen verschiedenste Kollegen auf mich zu, auch ganz junge Leute. Sie waren alle begeistert, dass es endlich mal eine neue Idee gibt." (wst)