Die Neuerfindung des Fliegens

Bionisches Kabinettstückchen: Mit einem künstlichen Vogel nach dem Vorbild der Natur will ein Maschinenbau-Unternehmen zeigen, was Energie-Effizienz wirklich ist.

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Inhaltsverzeichnis

Bionisches Kabinettstückchen: Mit einem künstlichen Vogel nach dem Vorbild der Natur will ein Maschinenbau-Unternehmen zeigen, was Energie-Effizienz wirklich ist.

Es ist nicht das Geräusch, das an einen wirklichen Vogel denken lässt. Das klingt eher nach einem leicht quietschenden Ventilator. Was den Beobachter wirklich verblüfft, ist die originalgetreue Bewegung dieses Gerätes, das wie eine große graue Möwe aussieht und sich auch so benimmt: Mit vorgerecktem Kopf und gespreiztem Schwanz steht es auf dem Hallenboden, breitet seine Schwingen aus und beginnt zu flattern – immer schneller, bis es genug Auftrieb erzeugt, um abzuheben. Mit jedem Schlag seiner Flügel gewinnt der Kunstvogel mehr Höhe und Geschwindigkeit, bis er in einer eleganten Linkskurve zu segeln beginnt – in der Luft, die trägt.

Wenn das Otto Lilienthal gesehen hätte, sein Herz wäre womöglich vor Freude zersprungen: Rund 20 Jahre lang hatte der Luftfahrtpionier Möwen beobachtet, Störche studiert und tote Vögel seziert, hatte Hunderte von Skizzen und Zeichnungen angefertigt, bis er glaubte, der Natur das Geheimnis des Fliegens entrissen zu haben. Im Jahr 1889 konnte dann endlich sein Buch erscheinen: "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst". Darin erklärte er, nach welchen physikalischen Prinzipien Maschinen fliegen könnten, die schwerer als Luft sind.

Lilienthals Arbeiten bildeten die Grundlage für den rasanten Aufstieg der Luftfahrt, wie wir sie heute kennen: Flugzeuge, mit starren, gewölbten Tragflächen, die von Propellern oder Turbinen angetrieben werden. Doch in den Beobachtungen Lilienthals steckte noch mehr: Er hatte das Prinzip verstanden, nach dem Vögel Auftrieb und Vortrieb gleichzeitig, nur aus dem Schlagen ihrer Flügel, erzeugen. Aber es sollte fast 120 Jahre dauern, bis sich herausstellte, dass seine Überlegungen richtig waren.

Im April 2011 präsentiert das Maschinenbau-Unternehmen Festo auf der Hannover Messe einen künstlichen Vogel, der seinem biologischen Vorbild so nah kommt wie zuvor keine andere Flugmaschine. Gegen den "SmartBird" mit seinen zwei Metern Spannweite wirken nicht nur alle anderen existierenden Vogelmodelle überraschend steif – die künstliche Möwe ist auch der erste Flieger mit einem aerodynamischen Wirkungsgrad von 80 Prozent. In dieser simplen Zahl steckt die eigentliche Sensation: Denn der "aerodynamische Wirkungsgrad", den das Team ermittelt hat, errechnet sich aus der Antriebsleistung geteilt durch die aufgebrachte Schlag- und Drehleistung. Mit anderen Worten: Fast die gesamte mechanische Energie des Flügelschlages wird in Auf- und Vortrieb umgesetzt. Bei herkömmlichen Flugzeugen mit starren Flügeln sind es nur rund 40 Prozent.

Seit 2006 zeigt die Festo AG, die mit der Entwicklung mechatronischer Systeme zur Automatisierungsbranche gehört, auf jeder Industriemesse in Hannover ein spektakuläres bionisches Exponat: schwebende Rochen, künstliche Quallen und Roboter-Greifarme nach dem Vorbild von Elefantenrüsseln. Diese technischen Kabinettstückchen sollen – natürlich – die Leistungsfähigkeit der schwäbischen Tüftler beweisen und gleichzeitig neue, zukunftsweisende Ansätze in der Automatisierung demonstrieren. In dieser Eigenschaft avancierte der SmartBird im Frühjahr zum absoluten Publikumsliebling der diesjährigen Hannover Messe. Doch was hat der Fortschritt der Mechatronik mit dem Vogelflug zu tun? Warum hat das grundsolide schwäbische Unternehmen den Ehrgeiz entwickelt, ausgerechnet dieses jahrtausendealte Rätsel zu lösen? Die Antwort lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Energie-Effizienz.

Schon das Universalgenie Leonardo da Vinci war fasziniert von der Eleganz und Leichtigkeit des Vogelfluges. Um 1490, parallel zu seinen wissenschaftlichen Studien zur Körpermechanik des Menschen, fertigte er auch zahlreiche Studien von Vogelflügeln an, die schließlich in Konstruktionszeichnungen von Flugmaschinen münden sollten: Eine zeigt eine Art Hubschrauber mit einem schraubenförmigen Rotor, auf einer an-deren Skizze aus dem Jahr 1492 ist ein Gerät zu sehen, dessen starre Schwingen auf- und abschlagen, indem sie mit einer Art Kurbelmechanik von einem Menschen angetrieben werden. Dafür, dass diese Geräte jemals das Zeichenbrett-Stadium verlassen haben, gibt es jedoch keinerlei Belege.

Erst Otto Lilienthal sollte den Faden wieder aufnehmen. Denn Lilienthal wusste: Ballone und Luftschiffe halten sich in der Luft, weil ihr Gewicht gleich groß oder kleiner ist als das Gewicht der Luft, die sie verdrängen. Vögel und Flugzeuge sind jedoch schwerer als die Luft, die sie verdrängen. Um ihr Gewicht im Flug auszugleichen, muss neben dem – nahezu vernachlässigbaren – statischen Auftrieb eine weitere Gegenkraft zur Schwerkraft vorhanden sein. Nach jahrelangen Studien erkannte er: Diese Kraft entsteht durch den Druckunterschied zwischen der Oberseite und der Unterseite einer gewölbten oder schräg gestellten Tragfläche, gegen die Luft strömt.

"Die Flügelschläge erhalten nämlich dadurch ein besonders sanftes und elastisches Aussehen, daß eigentlich nur die Flügelspitzen sich wesentlich auf und nieder bewegen, während der breitere, dem Körper naheliegende Armteil der Flügel nur wenig an diesem Flügelausschlage teilnimmt", schreibt Lilienthal über den Flug der Möwe. Auch ein kleines, aber entscheidendes Detail ist dem Flugpionier nicht entgangen: "Offenbar geht die Flügelspitze mit gehobener Vorderkante herauf und mit gesenkter Vorderkante herunter, was beides auf eine ziehende Wirkung hindeutet."