Die Technik des Aufstands

Inhaltsverzeichnis

Auch in Ägypten gab es 2008 Arbeiterproteste, in der Stadt Mahalla im Nildelta. Für den 6. April des Jahres planten Textilarbeiter einen Streik. Ahmed Maher, ein 27 Jahre alter Bauingenieur und Aktivist, erfuhr davon und beschloss, zur Unterstützung Demonstrationen in Kairo und einen landesweiten Shopping-Boykott zu organisieren. Dazu nutzte er Flugblätter, Blogs, Internet-Foren und eine Facebook-Seite.

Einen Monat nach den Protesten vom 6. April wurde Maher verhaftet, stundenlang geschlagen und mit Vergewaltigung bedroht. Bei seiner Freilassung veranstaltete er eine Pressekonferenz, auf der er spontan ankündigte, die "Bewegung 6. April" zu starten. Sie sollte der Kern einer weltlich ausgerichteten Jugendbewegung in Ägypten werden – ein Gegengewicht zur Jugendbewegung in der Muslim-Brüderschaft. Für die Taks in Tunesien war die Wiederwahl Ben Alis im Jahr 2009 der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Foetus sah sich schon vor einem weiteren Jahrzehnt unter "Ben Ali und seiner Mafia", denn er glaubte, dass die Tunesier für Widerstand zu viel Angst hatten. "Also haben wir den Druck in den Stadien erhöht und angefangen, im Internet Ärger zu machen", sagt er, "wir haben beschlossen, absolut jeden zu ficken." Auf Facebook beschimpften die Aktivisten die Opposition für ihre Ängstlichkeit.

Um die Straßenjugend anzuheizen, schreckte Takriz vor wenig zurück. Am 11. August 2010 war der zehnte Jahrestag der Zensur der Takriz-Website. Sie erinnerte daran mit der Veröffentlichung eines Fotos, auf dem ein Tak auf ein Bild von Ben Ali uriniert. Der Jugendminister war nicht begeistert und nannte Takriz "Monster mit schwarzem Herzen, die sich an schmutzigen Orten und im Internet verstecken". Denn die Gruppe hatte ihre Aktion perfekt getimt: Am nächsten Tag sollte ein Lieblingsprojekt von Ben Ali starten – die UN-Veranstaltung "2010 International Year of Youth: Dialogue and Mutual Understanding".

Der Sommer 2010 bildete zugleich den Auftakt zur Revolution in Ägypten. Am 6. Juni saß ein junger Programmierer namens Khaled Said in einem Internetcafé in Alexandria, als er von zwei Polizisten in Zivil auf die Straße gezerrt und dort zu Tode geprügelt wurde; angeblich hatte er sich seiner Verhaftung widersetzt. Seine Familie gibt an, er habe Videos besessen, auf der Polizisten beim Drogenhandel zu sehen waren.

Said wurde zur Symbolfigur der Revolution, als sein Bruder Ahmed auf Facebook schreckliche Fotos des Toten veröffentlichte. Daraufhin bildete sich die Gruppe "We are all Khaled Said", die praktisch über Nacht großen Einfluss gewann. Hassan Mostafa, ein stämmiger Aktivist vor Ort, sah die Fotos auf seinem Mobiltelefon und rief über seine eigene Facebook-Seite sofort zu Protesten vor der Polizeiwache auf. Mehr als ein Dutzend Demonstranten wurden dabei festgenommen und schwer verprügelt. Nach weiteren Aktionen, darunter einem gespielten Gerichtsverfahren gegen die Mubarak-Familie vor dem Haus der Saids, wurde Mostafa für sechs Monate inhaftiert.

Den langen, heißen Sommer über kochten die Revolutionen weiter. Die globale Finanzkrise machte sich bemerkbar, die Preise für Lebensmittel stiegen, und der Ramadan im sengenden August brachte lange Tage ohne Essen und Trinken. Weder Tunesier noch Ägypter hatten viel zu feiern.

Anfang Dezember dann erreichte die ägyptische Regierungspartei bei den Stichwahlen zum Parlament knapp 80 Prozent der Sitze – Menschenrechtsgruppen bezeichneten die Abstimmung als die bislang betrügerischste im Land. Doch es war Tunesien, wo wenig später die Revolution zuerst richtig ausbrach: Am 17. Dezember 2010 steckte sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in der Stadt Sidi Bouzid selbst in Brand, um gegen eine Reihe von Demütigungen durch kleinliche Beamte zu protestieren. Friedliche Proteste im Anschluss an die Aktion stießen auf harte Reaktionen – berichtet wurde darüber nur im Internet, die ängstlichen Medien des Landes blieben stumm.

Doch der Tod von Bouazizi brachte bis dahin isolierte Widerstandsnester zusammen. Die Takriz-Führung wusste, dass Ben Ali die Stadt Sidi Bouzid abriegeln würde – wie 2008 bei den Protesten in Gafsa. Also schickte sie rasch zusätzliche Taks dorthin, bevor Straßen und Internetzugänge gesperrt wurden. Die Gegend im Hinterland von Tunesien, weit entfernt vom Reichtum der Hauptstadt oder an der Küste, ist wenig einladend. Die Leute dort sind hart im Nehmen. Traditionell richten sich Proteste und Krawalle in der Region gegen Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Armut. Doch Takriz versuchte, ihnen ein neues Ziel zu geben: die Ablösung Ben Alis.

Bei einer Demonstration in Sidi Bouzid am 22. Dezember schrie einer der Teilnehmer "Nein zu Armut, nein zu Arbeitslosigkeit", bevor er sich mit einem Stromschlag selbst tötete. Zwei Tage später wurde in einer kleinen Stadt zwischen Gafsa und Sidi Bouzid ein Demonstrant erschossen. Am 27. Dezember protestierten Tausende in Tunis. Am nächsten Tag entließ Ben Ali die Gouverneure von Sidi Bouzid und zwei anderen Provinzen und dazu seine Minister für Kunst, Handwerk, Kommunikation und Religion. Um Anteilnahme zu zeigen, besuchte er Mohamed Bouazizi im Krankenhaus. In einer Ansprache an die Nation drohte er damit, Demonstranten zu bestrafen. Zugleich sorgte die Regierung an der informationstechnischen Front vor: Nach Recherchen des Onlinemagazins Tech Herald versuchte sie mit einem über die Login-Seite gelegten JavaScript-Programm, alle Facebook-Passwörter im Land zu stehlen.