Die Windkraft schwimmt sich frei

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Wie der Strom von den schwimmenden Anlagen letztlich in die Steckdose gelangt, scheint der unkompliziertere Teil der Offshore-Operation zu sein. Wie bei Offshore-Parks mit festen Fundamenten üblich, werden die Anlagen an ein Seekabel am Meeresgrund angeschlossen. Diese Kabel führen zu Umspannstationen und von dort aus an Land. Die weitaus größere technische Herausforderung besteht jedoch darin, eine viele Hundert Tonnen schwere Windkraftanlage, bei der sich ein Rotor mit einem Durchmesser von 130 Metern dreht und gegen die gleichzeitig Wind und Wellen drücken, auf dem Wasser aufrecht schwimmen zu lassen. Die Maschinen tanzen mit den Wellen und schwanken mit dem Wind. Öle und Kühlflüssigkeiten schwappen im Getriebe umher, und alles, was nicht festgeschraubt ist, fliegt durch die Luft. Doch es gibt Möglichkeiten, die Anlagen selbst im stärksten Sturm ruhig zu stellen. Die Lösungsansätze stammen aus der Öl- und Gasindustrie, die seit Jahrzehnten schwere Bauwerke auf hoher See errichtet. Genau wie es bei den Offshore-Windrädern heute der Fall ist, haben die Unternehmen auch ihre Öl- und Gas-Plattformen in den Anfangsjahren mit gigantisch großen Gerüsten auf den Meeresgrund gestellt. Das hat sich gehörig geändert: Heute gibt es praktisch nur noch schwimmende Plattformen, die genauso fest sind wie starre Gründungen – aber viel kostengünstiger.

Weshalb sollen also nicht auch Windräder auf schwimmenden Fundamenten stehen? Auf der Suche nach der idealen Lösung kristallisieren sich drei Schwimmertypen heraus. Das Spar-Buoy-Konzept, das auch Sway nutzt, spart am meisten Material. Es sieht einen großen, hohlen Stahlzylinder vor, der gleichsam als Schwimmer und als Turm dient. Genau wie ein Eisberg nimmt er unter Wasser sehr viel mehr Raum ein als über Wasser. An seinem tiefsten Punkt ist er mit Ballast gefüllt, so wandert der Schwerpunkt weit nach unten. Daher liegen Spar-Buoys selbst bei starkem Wellengang stabil in der See. Horizontale Ausschläge sind gering, doch bewegen sie sich stark in vertikaler Richtung, je nach Verankerungsart. "Das sind unter Extrembedingungen bis zu 20 Meter", sagt Bard. Problematisch ist auch der immense Tiefgang. Damit sind ausschließlich Standorte ab rund 200 Meter Wassertiefe erschließbar. Auch das Installieren des Turms und der Anlage ist aufwendig. Schließlich muss der Turm liegend aufs Meer geschleppt, geflutet, gekippt und verankert werden. Dann erst folgt die Installation des Windrads. Hierfür sind spezielle Installationsschiffe nötig, auf denen ein Teil der Montage ausgeführt wird. Arbeiten auf See sind jedoch immer sehr viel umständlicher als an Land. Wind und Wetter machen den Monteuren und der Technik zu schaffen. Doch hier ist Abhilfe in Sicht: Es gibt Pläne, die Anlagen fertig montiert und liegend zu verschiffen. Hierfür können Schlepper genutzt werden, sodass keine teuren Spezialschiffe zum Einsatz kommen müssen.

Die Tension-Leg-Plattform, kurz TLP, eignet sich für Wassertiefen von 50 bis etwa 200 Meter. Gemeint ist ein meist zylindrischer Auftriebskörper, der von mindestens drei straff gespannten Ketten oder Seilen leicht unter Wasser gezogen und so immer auf gleicher Position gehalten wird. Die Ketten finden entweder an einem schweren Gegengewicht am Meeresboden Halt, das sei dann etwa 1000 bis 1500 Tonnen schwer, schätzt Bard, oder direkt am Meeresgrund. Damit liegt die Plattform felsenfest vor Anker. Nachteilig ist, dass die Halteketten in schwerer See enormen Kräften ausgesetzt sind. Das niederländische Unternehmen Blue-H setzte einen TLP-Prototyp schon 2007 vor der italienischen Küste ins 113 Meter tiefe Wasser. Da das darauf montierte Windrad jedoch bis heute nie gelaufen ist, fehlen wichtige Erfahrungswerte.

Halbtaucher-Plattformen stellen den dritten Schwimmertyp dar. Diese Fundamentform wird bereits an einem Prototyp vor Portugal erforscht. Die Plattform besteht meist aus einem dreieckigen Stahlgerüst mit drei senkrecht stehenden Zylindern, an deren unteren Enden große Platten angeschweißt sind, die vertikale Bewegungen hemmen sollen. Die Halbtaucher-Plattform eignet sich ebenfalls für Tiefen bis 200 Meter. Der große Vorteil liegt darin, dass dieser Schwimmer an Land in einem Trockendock aufgebaut werden kann. Dort erfolgen auch die Installation und der Test des Windrads. Anschließend wird das Dock geflutet und die Anlage auf See geschleppt. Am Aufstellungsort angekommen, wird der Schwimmer dann mit Ketten beziehungsweise Seilen aus Stahl oder Glasfasern am Meeresgrund befestigt. Nachteilig sei, dass der Halbtaucher von allen Systemen am meisten Stahl benötigt, berichtet Bard. Das macht ihn teuer.

"Es ist zu früh, ein Gewinnerkonzept auszurufen", meint SINTEF-Forscher John Olav Tande. Generell bieten schwimmende Windräder eine ganze Reihe an Vorzügen. So können sie schneller installiert werden als Turbinen auf Ständern. Auch benötigen die dafür eingesetzten Schiffe weniger spezielle Konstruktionen. Zudem sind die Unterwasserarbeiten weniger laut, da die Schwimmer nicht mithilfe gigantischer Hämmer in den Meeresgrund gerammt werden müssen. Dafür stellen sich aber auch neue Herausforderungen, vor allem was die Anlagendynamik anbelangt.

Als Treiber der schwimmenden Windkraft gilt das Pro-jekt Hywind. Die Testanlage in Originalgröße, entwickelt vom norwegischen Energiekonzern StatoilHydro, ist bereits seit September 2009 im Betrieb und hat spätestens während des Sturmtiefs Berit bewiesen, dass sie auch Orkane überlebt. Zwölf Kilometer vor der Südwestküste Norwegens schwebt die Maschine im Atlantik, der hier 200 Meter tief ist. Die Spar-Buoy reicht 100 Meter in die Tiefe. Drei locker gespannte Trossen, die am Meeresboden befestigt sind, halten sie auf Position. Ganz unten ist die Boje mit 3000 Tonnen Wasser und Steinen gefüllt, um den Schwerpunkt sehr tief zu halten. Über dem Wasserspiegel ragt der Turm 65 Meter in die Höhe. Oben thront ein 2,3 Megawatt (MW) starkes Windrad von Siemens. Allein das Maschinenhaus, auch Gondel genannt, hat samt Rotor ein Gewicht von 138 Tonnen. Bard bezeichnet das Projekt, in das mittlerweile rund 50 Millionen Euro geflossen sind, als "Meilenstein".

Während die Tests mit Hywind noch laufen, denken die Norweger daran, einen kleinen Testwindpark zu errichten. "Geplant ist ein Offshore-Park im US-Bundesstaat Maine mit vier jeweils drei Megawatt starken Windrädern", erläutert Statoil-Mann Morten Eek. Ob Siemens weiterhin an Bord bleibt, ist offen. Das Unternehmen zeigt sich jedenfalls optimistisch: "Allein im Jahr 2011 hat Hywind 10,1 Gigawattstunden (GWh) Strom geliefert", berichtet Per Egedal, Abteilungsleiter Technologie bei Siemens Wind Power. Eine Anlage an einem guten Landstandort komme dagegen gerade mal auf sechs GWh.

Gelernt haben die Siemens-Ingenieure um Egedal vor allem, dass schwimmende Windräder genauso gebaut und betrieben werden können wie Turbinen auf fest stehenden Fundamenten – vorausgesetzt, man hat die Bewegungen der Anlage im Griff. Denn wenn die Steuerung des schaukelnden Windrads nicht angepasst wird, kann sie bei Seegang kräftig durcheinandergeraten. Schwingt das Maschinenhaus mit den Rotorblättern nach vorn in den Wind, dann steigt die Windgeschwindigkeit. Federt es zurück, sinkt sie. Um zwei bis drei Grad neigt sich die Gondel, was oben auf dem 65 Meter hohen Turm einer Bewegung von mehreren Metern entspricht. Das Schwingen geht zwar gemächlich vonstatten, etwa 30 bis 40 Sekunden dauert ein Durchgang, doch die Belastung für das Windrad ist trotzdem enorm. Die Steuerung will die Lasten ausgleichen und dreht die Flügel – je nachdem – in den oder aus dem Wind. Das macht die Disbalance noch schlimmer. Zwar nimmt der Rotorschub ab, jene Kraft, die von der Luftströmung auf den Rotor ausgeübt wird, dafür aber wird die Pendelbewegung der Gondel schneller. Egedals Lösung: "Wir brauchen eine zusätzliche dämpfende Funktion in der Anlagensteuerung." Bewegungs- und Beschleunigungssensoren messen seitdem, wie stark sich die Gondel neigt. Diese Werte fließen in Echtzeit in die Steuerung ein und korrigieren die Umdrehungsgeschwindigkeit des Rotors nach oben oder unten. So haben die Flügel Zeit zum "Pitchen", sie können also den Anstellwinkel der Rotorblätter anpassen.