Die Windkraft schwimmt sich frei

Windturbinen lassen sich nur an wenigen Orten der Welt auf großen Fundamenten ins Meer stellen. In den meisten Regionen ist das Wasser so tief, dass die Maschinen schwimmen lernen müssen. Erste Prototypen wecken die Hoffnung auf eine reiche Energieernte vor den Küsten.

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Von
  • Daniel Hautmann
Inhaltsverzeichnis

Windturbinen lassen sich nur an wenigen Orten der Welt auf großen Fundamenten ins Meer stellen. In den meisten Regionen ist das Wasser so tief, dass die Maschinen schwimmen lernen müssen. Erste Prototypen wecken die Hoffnung auf eine reiche Energieernte vor den Küsten.

Es war zwei Uhr morgens am 26. November 2011, als Sway in den Fluten verschwand. Sturmtief Berit peitschte mit Windgeschwindigkeiten bis 165 Stundenkilometer westwärts und brachte den Atlantik vor Norwegen zum Brodeln. Wellen mit rekordverdächtiger Höhe türmten sich auf. Selbst im geschützten Hjeltefjorden in der Nähe von Bergen wütete Berit derart, dass Sway, der gerade erst installierte Prototyp einer schwimmenden Windkraftanlage, kenterte und unterging. Und mit ihm sank zunächst auch ein Stück Zuversicht.

Schließlich, so heißt es jedenfalls, gehöre der schwimmenden Windkraft die Zukunft. Der Grund: Auf See weht der Wind stärker und beständiger als an Land, weshalb sich das Aufstellen von Windenergieanlagen dort besonders lohnt. Weit draußen stört sich zudem niemand an den Anlagen. Doch fast überall auf der Welt ist das Wasser so tief, dass die Windkonverter nicht auf Stahlkonstruktionen installiert werden können, die am Meeresgrund befestigt sind.

Weltweit arbeiten Wissenschaftler und Unternehmen deshalb fieberhaft an der Technik schwimmender Anlagen. Denn die zu erwartende Windausbeute auf See zieht immer mehr Investoren an. Es ist wie ein kleiner Goldrausch. Statt mit Schaufel und Sieb rücken die Glücksritter mit Booten, Messmasten und Prototypen aus. Testreihen und Berechnungen des National Renewable Energy Laboratory (NREL) aus Colorado haben ergeben, dass allein das Offshore-Energiepotenzial der USA über 900 Gigawatt beträgt – und damit größer ist als die gesamte in dem Land installierte Kraftwerksleistung. Doch noch stehen weltweit 98 Prozent aller Windräder an Land. Ist die Vorstellung von schwimmenden Öko-Kraftwerken auf hoher See letztlich also nicht viel mehr als ein Traum von Ökospinnern?

In der Nord- und Ostsee dienen bisher vor allem sogenannte Monopiles, das sind Stahlrohre, die in den Boden gehämmert werden, und Jackets, gitterartige Stahlstrukturen, als Füße für die Offshore-Anlagen. Doch deren Einsatz ist technisch und finanziell auf eine Wassertiefe bis 50 Meter begrenzt. Die Lösung: Windkraftanlagen müssen schwimmen lernen. Das konnte der Prototyp im Maßstab 1:6 der norwegischen Technikschmiede Sway, den das Unternehmen im vergangenen Jahr aufstellte. Und dann das: Der erste Sturm kam, und schon ging der Hoffnungsträger unter. "Im April wird die Anlage wieder im Wasser sein", gibt sich Michal Forland, der Sway-Geschäftsführer, zuversichtlich. "Der Anlage in Originalgröße hätte Berit nichts anhaben können. Die überlebt bis zu 40 Meter hohe Wellen", ist Forland fest überzeugt. Doch Naturgewalten nehmen keine Rücksicht auf Maßstäbe.

Weshalb sank der Prototyp? Die Sway-Konstruktion ist so angelegt, dass ihr Fundament in den Turm der Anlage übergeht. Bei der 1:6-Anlage ist dieser über dem Wasser 13 Meter hoch, unter der Wasseroberfläche reicht er 16 Meter hinab. Beim Original wären es 60 und 90 Meter. Der Schwimmer, eine sogenannte Spar-Buoy, ist hohl und mit Luft gefüllt. Das gibt Auftrieb und erlaubt das Tragen des Windrads. Auf Position hält den Schwimmer ein wassergefülltes Stahlrohr, das am Meeresgrund mit einem zwölf Tonnen schweren Stahlbetonblock verbunden ist. An diesem Führungsrohr kann sich das Windrad zwar seitlich mit den Wellen bewegen, nicht aber nach oben und unten, und genau das wurde der Anlage zum Verhängnis. Ausgelegt war die Boje lediglich für 2,5 Meter Wellenhub, angerollt kamen jedoch vier Meter hohe Brecher. Wasser drang in den Turm ein und erhöhte das Gewicht der Anlage. Sway sank auf den Grund, 23 Meter unter dem Meeresspiegel.

Die ungewollte Tauchfahrt hat der Prototyp allerdings gut überstanden. "Die Struktur ist unbeschädigt, lediglich die Elektronikkomponenten müssen ersetzt werden", berichtet Forland. Das betrifft eine ganze Reihe von Instrumenten, die Forscher des NREL installiert haben. Die Amerikaner interessieren sich brennend für die schwimmende Windkraft, schließlich sind der Osten und der Westen ihres Landes von tiefen Ozeanen eingerahmt. Zu den Messgeräten, die von einem NREL-Team um Jason Jonkman und Amy Robertson am Sway-Windrad angebracht worden waren, zählen Beschleunigungs- sowie Wellen- und Windsensoren. Die Forscher erhofften sich von den aufgezeichneten Daten Rückschlüsse auf die Bewegungsmuster schwimmender Windturbinen. Das NREL arbeitet gerade an einem rechnerbasierten Simulationsprogramm, das die Bewegungen der Wellen, des Windes und des Windrads vereint und Aussagen darüber liefert, welchen Lasten die Anlagen ausgesetzt sind. Die Originaldaten von Sway sollten diese Werte validieren. Doch mit dem Untergang endete vorerst auch das Messprogramm. "Der größte Teil unserer Ausrüstung ging verloren", bedauert Robertson.

Trotzdem: Das Verhältnis von Onshore- zu Offshore-Windkraftanlagen wird sich ändern, da ist sich der Wissenschaftler John Olav Tande vom Institut Energy Research Centre in Norwegen (SINTEF) sicher. Er beobachtet die Aufbruchstimmung seit einigen Jahren. Rund um den Globus rechnen sich Küstenstaaten aus, wie viel sauberen Strom sie in ihren ausschließlichen Wirtschaftszonen von 200 Seemeilen ernten können und wie viel Kohlenstoffdioxid sich dadurch einsparen ließe. "Das Potenzial ist durch die vorhandene Meeresoberfläche um ein Vielfaches größer als der globale Energiebedarf", prognostiziert Tande optimistisch.

Der große Haken an der Hochsee-Windernte ist die Wassertiefe. Denn je tiefer das Wasser, desto komplizierter und teurer ist die Aufstellung der Fundamente. Während große, auf dem Grund stehende Gründungen zwischen drei und fünf Millionen Euro kosten, dürften die schwimmenden Konstruktionen nochmals teurer werden. Fachleute rechnen mit sieben bis neun Millionen Euro pro Schwimmer. Doch konkrete Zahlen fehlen – bislang existieren nur sündhafte teure Prototypen, über deren Kosten die Eigentümer schweigen. Dennoch: Fast überall auf der Welt ist das Wasser so tief, dass die Windernte nur durch schwimmende Plattformen möglich wird. So liegen 61 Prozent der Offshore-Windressourcen der USA über mindestens 100 Meter tiefem Wasser. Japans Küsten sind ebenfalls steil, und in Europa ist es vor allem der Meeresboden im Süden vor Spanien und Portugal, der weit über 100 Meter tief ist, ebenso wie Teile des Mittelmeers und vor der Küste Norwe- gens, wo Meerestiefen von bis zu 700 Meter erreicht werden. Und das ist eigentlich gut, denn: "Je tiefer das Wasser, desto stärker der Wind darüber."

Von dieser Faustformel ist Jochen Bard, Abteilungsleiter Meeresenergienutzung beim Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), überzeugt. Bard rechnet mit einem nutzbaren Potenzial, das im bis zu 200 Meter tiefen Wasser bis zu dreimal höher ist als in den Flachwasserzonen bis 50 Meter Tiefe. Allein in Europa, schätzt er, lie-ßen sich pro Jahr rund 8000 Terawattstunden (TWh) ernten, und Schwimmplattformen sollen es ermöglichen, diese Ressourcen zu erschließen. Zum Vergleich: Der jährliche Stromverbrauch der gesamten EU betrug im Jahr 2010 grob geschätzt 3500 TWh.