Digitale Behördengänge in der EU: Deutschland dümpelt im hinteren Mittelfeld

Bis 2030 sollen digitale Behördengänge in der EU online zugänglich sein. Diesen Plan der EU-Kommission erfüllt Deutschland bisher aber nicht annähernd.

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Eine Person sitzt am Computer und erledigt dort verschiedene Behördengänge (Geburtsurkunde oder neuen Personalausweis beantragen, Auto anmelden, Formulare unterschreiben).

Geht es nach der EU-Kommission, können EU-Bürgerinnen und -Bürger künftig wichtige Behördengänge online erledigen – etwa eine Geburtsurkunde oder einen neuen Ausweis beantragen, ein Auto anmelden und diverse Formulare ausfüllen.

(Bild: Midjourney, Bearbeitung von heise online)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Seinen Wohnsitz ummelden, das neue Auto anmelden, eine Geburtsurkunde beantragen – geht es nach der EU-Kommission, sollen solche Behördendienste bis 2030 online zugänglich sein. Deren Präsidentin Ursula von der Leyen hatte 2020 die "digitale Dekade" ausgerufen: Im Rahmen dieses digitalpolitischen Programms will sie alle wichtigen öffentlichen Dienste online verfügbar machen. Dazu zählt die Kommission Dienste, die etwa mit Beruf, Studium, Familie, Gewerbe und Umzug zusammenhängen.

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Ein weiteres Ziel der Kommission ist, dass Bürger und Unternehmen in der EU "online mit öffentlichen Verwaltungen interagieren können". Außerdem sollen alle EU-Bürger online auf ihre elektronische Patientenakte zugreifen und eine sichere elektronische Identifizierung (eID) nutzen können. Dazu führt die EU sogenannte Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität (EUid-Wallets) ein, mit denen EU-Bürger sich on- und offline ausweisen können sollen. Auch der digitale Euro gehört zum Plan, derzeit befindet sich die Europäische Zentralbank in der Vorbereitungsphase dafür.

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Inwieweit die einzelnen EU-Staaten die Ziele der digitalen Dekade erreichen, erfasst die EU-Kommission mit dem Digital Economy and Society Index (DESI, Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft). Der DESI umfasst vier Dimensionen, von denen "Digital Public Services" (DPS) die digitalen Behördendienste umfasst. Bis 2022 umfasste sie die Sub-Dimension "E-Government" mit ihren Indikatoren: Nutzer (e-Government Users), vorausgefüllte Formulare (pre-filled forms), digitale Behördendienste für Bürger (digital public services for citizens) und für Unternehmen (businesses) sowie offene Daten (Open Data).

Im Einzelnen erfasst die EU damit:

  • den prozentualen Anteil der Internetnutzer zwischen 16 und 74 Jahren, der online mit Behörden interagiert, also via Website oder mobile App (e-Government Users),
  • wie viele Daten in Online-Formularen von Behörden vorausgefüllt sind (pre-filled forms),
  • welchen Anteil von Verwaltungsaufgaben Bürger online erlegen können – für große Lebensereignisse wie einen Wohnortwechsel oder die Geburt eines Kindes (digital public services for citizens),
  • welchen Anteil öffentlicher Dienstleistungen für Unternehmen in- und ausländische Nutzer online erledigen können – sowohl für die Gründung eines Unternehmens als auch für reguläre Geschäftstätigkeiten (digital public services for businesses)
  • und inwiefern die EU-Staaten über eine Politik der offenen Daten und ein nationales Datenportal verfügen (Open Data).

Ab 2023 änderte sich die Zusammensetzung der Dimension DPS. Das Thema Open Data spielt hier nun keine Rolle mehr. Dafür kamen die Sub-Dimension e-Health und neue Indikatoren dazu, die EU beobachtet nun auch:

  • wie transparent digitale Behördendienste sind, ob Nutzer in deren Designprozess eingebunden werden und ob sie ihre eigenen Daten kontrollieren können (transparency of service delivery, design and personal data),
  • inwieweit Hilfefunktionen, Support und Feedback-Möglichkeiten vorhanden sind, auch über Staatsgrenzen hinweg (user support),
  • wie gut Online-Behördendienste auf mobilen Geräten nutzbar sind (mobile friendliness)
  • sowie ob und wie Bürger auf ihre digitalen Gesundheitsdaten zugreifen können (access to e-health records; einziger Indikator der Sub-Dimension e-Health).

Mit den Jahren verbessern alle EU-Staaten ihre Leistung im Bereich der öffentlichen Dienste. Spitzenreiter Estland steht bereits nahe am Bestwert von 100, Deutschland steht im oberen Mittelfeld, knapp unterhalb des EU-Schnitts. Schlusslicht ist Rumänien.

(Bild: Screenshot: heise online)

Sieht man sich den EU-Vergleich der Dimension DPS und ihrer einzelnen Faktoren an, ergibt sich für Deutschland ein ernüchterndes bis desaströses Bild. Die Dimension als Ganzes bewertet der DESI nur für den Zeitraum von 2017 bis 2022, in dieser Zeit schwankte Deutschland um den 18. Platz herum, der EU-Schnitt bewegte sich um den 15. Platz von 28.

Insgesamt haben sich aber alle Staaten mit den Jahren verbessert. Der DESI gibt den Gesamtwert in Punkten von 0 bis 100 an. Deutschland schaffte den Sprung von 44,53 Punkten (2017) auf 63,41 Punkte (2022), stets einige Punkte hinter dem EU-Schnitt. Spitzenreiter Estland enteilte in diesem Zeitraum von 67,13 auf 91,18 Punkte.

Betrachtet man die Werte der EU-Staaten bei den einzelnen Indikatoren für das Jahr 2023, steht Deutschland mal im Mittelfeld, mal im hinteren Drittel. Einige Indikatoren werden in Punkten bewertet, andere in Prozent. Auffällig ist, dass alle EU-Statten bei der Mobilfreundlichkeit recht gut abschneiden und über 70 Punkte erreichen, Deutschland steht hier sogar bei 96,26 von 100 Punkten und landet damit auf Platz 14.

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Mittelmaß ist die Bundesrepublik bei den digitalen Behördendiensten für Bürger (Platz 13; 78,44 Punkte) und bei Open Data (bis 2022, Platz 13; 89 Prozent). Schlechter sieht es aus beim Zugang zu e-Health-Daten (Platz 17; 71,13 Punkte), beim User Support (Platz 18; 81,22 Punkte) und bei den Diensten für Unternehmen (Platz 20; 80,67 Punkte). Die Punktzahlen zeigen aber, dass ein schlechtes Abschneiden im EU-Vergleich nicht unbedingt auch eine schlechte Leistung bedeutet.

Wirklich schlecht steht Deutschland bei den drei übrigen Indikatoren da: bei der Transparenz (Platz 24; 49,22 Punkte), den vorausgefüllten Formularen (Platz 25, 43,31 Punkte) und den Nutzern digitaler Behördendienste (Platz 26; 55,09 Prozent). Auffällig ist bei der letzten Kategorie, dass Deutschland sich von 2021 bis 2022 sogar verschlechterte: 2021 nutzten noch 69,3 Prozent der Internetnutzer digitale Behördendienste, 2022 nur noch 54,53 Prozent. Bis 2023 stieg der Anteil dann wieder leicht an. Bei den vorausgefüllten Formularen hinkt Deutschland dem EU-Schnitt sogar deutlich hinterher.

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Im September 2023 zog die EU-Kommission eine erste Bilanz über den Stand der digitalen Dekade. Dabei sprach sie die Probleme Deutschlands bei der Digitalisierung öffentlicher Dienste an: "Obwohl Deutschland auf dem besten Weg ist, die Ziele […] zu erreichen, bleiben große Herausforderungen in diesem Bereich ungelöst", hieß es in einer Pressemitteilung der EU-Kommission. "Erhebliche Lücken bestehen weiterhin bei digitalen öffentlichen Dienstleistungen und Kompetenzen." Deutschland hinke trotz "erheblicher Anstrengungen" hinterher, die Digitalisierung öffentlicher Dienste sei hier "bereits seit einigen Jahren eine Herausforderung".

Einige Hauptprobleme machte die Kommission hier aus: Es seien nur wenige öffentliche Dienstleistungen digitalisiert, außerdem seien diese nicht flächendeckend verfügbar. Zudem gebe es "Herausforderungen im Zusammenhang mit einem Pilotprojekt zu eID-Anwendungsfällen".

Die Kommission empfahl Deutschland, Tempo zuzulegen. Besonders wichtig sei es dafür zu sorgen, dass die Verwaltungsebenen besser zusammenarbeiten und sich abstimmen. Bereits geplante Maßnahmen sollten zügig umgesetzt werden.

Der prozentuale Anteil der Internetnutzer, der online mit Behörden interagiert, sank in Deutschland (gelbe Linie) zwischen 2021 und 2022. In den meisten anderen EU-Staaten stieg der Anteil stets, in einigen sogar sprunghaft zwischen 2022 und 2023. Die Grafik zeigt nur eine Auswahl der EU-Staaten, um übersichtlich zu sein.

(Bild: Screenshot: heise online)

Es bleibt also viel zu tun, damit Deutschland die EU-Ziele bis 2030 erreicht. Eigentlich soll das Onlinezugangsgesetz (OZG) die Digitalisierung von Behördendiensten in Deutschland regeln. Die erste Version des Gesetzes von 2017 gilt jedoch als gescheitert: Es verpflichtete zwar alle deutschen Behörden, ihre Dienstleistungen auch online anzubieten – flächendeckend und bis Ende 2022 – aber das klappte nicht annähernd. Anfang Januar 2023 gab es nur für 105 von insgesamt rund 580 sogenannten OZG-Leistungen "flächendeckend Onlineangebote", erklärte das Bundesinnenministerium damals gegenüber c‘t. Von 35 priorisierten Leistungen wurden nur zwei digitalisiert, das BAföG und die Corona-Überbrückungshilfe.

Um das Gesetz zu schärfen, verhandelten Bund und Länder seither ein Gesetz zur Änderung des OZG, auch OZG 2.0 genannt. Es sollte unter anderem die starren Umsetzungsfristen des OZG durch ein begleitetes Monitoring ersetzen. Außerdem enthält der Entwurf für das OZG 2.0 Ideen, wie die Schriftform in Verwaltungsverfahren durch eine elektronische Variante ersetzt werden kann. Insgesamt soll das OZG 2.0 die Digitalisierung öffentlicher Dienste beschleunigen.

Ein weiterer Punkt des Entwurfs betrifft das Thema digitale Identitäten und Postfächer: Künftig soll der Bund die nötigen Nutzerkonten und Postfächer bereitstellen, damit nicht 16 landeseigene und noch mehr kommunale Lösungen entwickelt werden müssen. Eigentlich soll die BundID als bundesweit gültige digitale Identität den Menschen helfen, Behördengänge online zu erledigen. Bisher ist die BundID aber kaum verbreitet und gilt als umständlich.

Das OZG 2.0 sollte die Fehler des ersten OZG ausbügeln, doch es scheiterte im März vorerst im Bundesrat. Nachdem der Rat am selben Tag für viele überraschend das Cannabisgesetz durchgewunken hatte, blockierte er mit Stimmen der unionsgeführten Länder ähnlich überraschend die Reform des Onlinezugangsgesetzes. Als Grund wurde genannt, dass sich die Länder überfordert und übergangen fühlten. Die Bundesregierung beschloss in einer Kabinettssitzung daraufhin, den Vermittlungsausschuss anzurufen – das Ergebnis der Verhandlungen ist vor der Europawahl ungewiss.

(gref)