Digitalpolitik: Wo EU-Gesetzgebung den Unterschied macht
Nachdem in der auslaufenden Legislaturperiode viele Gesetze verabschiedet wurden, hoffen einige Akteure auf Ruhe in der nächsten. Ist das Wunschdenken?
In der Digitalpolitik hat die Europäische Union besonders große Gestaltungsmacht. Auch wenn hierzulande die Öffentlichkeit über nationale Politik stärker diskutiert als über das Geschehen im Brüsseler Europaviertel: Die wichtigsten Vorgaben werden dort festgezurrt, und dabei spielt das EU-Parlament eine wesentliche Rolle. Es bestimmt die EU-Kommission und deren Präsidentschaft, außerdem entscheidet es über jedes Gesetz mit.
Anders als in Deutschland dem Digitalministerium ist die Digitalpolitik in der EU nicht explizit einem administrativen Bereich zugewiesen. Man reguliert sie in vielen Politikfeldern mit, etwa der Handelspolitik, wo die EU für alle ihre Mitglieder stellvertretend agieren darf, oder in der Industriepolitik, wo es um Lieferketten, Resilienz und Industrieförderung geht.
Keine Chipfab, keine Batteriefertigungsanlage, kein Start-up erhält beispielsweise Fördergelder ohne Mitwirkung aus Brüssel. Jede staatliche Hilfe könnte Verzerrungen im Binnenmarkt der 27 EU-Mitgliedstaaten auslösen und muss daher zu den dafür geltenden EU-Regeln passen, die wiederum mit den politischen Zielvorgaben verknüpft sind. Die EU-Kommission prüft jede staatliche Subvention, im Eurosprech Beihilfe genannt. Sie muss dort vor Auszahlung angezeigt – in EU-Deutsch "notifiziert" – werden. Lehnt die Kommission ab, darf der Staat nicht zahlen oder muss im Nachhinein Geld zurückfordern. Gerade dann zeigt sich oft, wie eng Digitalpolitik mit anderen Bereichen verwoben ist.
- Viele EU-Entscheidungen für den IT-Sektor waren in der vergangenen Legislaturperiode von äußeren Einflüssen und Krisen beeinflusst.
- GroĂźe Teile der von der EU-Kommission konzipierten Digitalstrategie sind mit Verordnungen umgesetzt worden.
- Vollendete Projekte wie das Recht auf Reparatur und die einheitliche Ladebuchse werden direkt in den Alltag der BĂĽrger durchschlagen.
Lediglich bei der inneren und äußeren Sicherheit haben nach wie vor die Nationalstaaten das Sagen. Auch das ändert sich allmählich, weil private Akteure heute eine wesentliche Rolle spielen. Das betrifft Themen wie kritische Infrastruktur, Videoüberwachung, Vorratsdaten, Geldwäsche und KI-Anwendungen. Ein Beispiel: Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) regelt den Datenschutz. Existieren spezifische Gründe, warum Unternehmen mehr Daten länger speichern sollen, als es die DSGVO vorsieht, etwa damit Polizei oder Nachrichtendienste darauf zugreifen können, braucht es dafür eine spezielle gesetzliche Grundlage. Die muss mit europäischen Grundrechten kompatibel bleiben, worüber der Europäische Gerichtshof (EuGH) wacht.
Unternehmensbosse finden es ohnehin nicht sinnvoll, wenn sie in den 27 Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorgaben erfüllen müssen. Viele Firmen agieren längst nicht mehr nur in einem Land, sondern nutzen es, dass sie vergleichsweise einfach ihre Produkte und Dienstleistungen EU-weit anbieten können. Der Hauptsitz eines Unternehmens in der EU bestimmt, welchen nationalen Regeln es unterliegt, von Steuern über Urheberrecht bis hin zu Arbeitnehmerrechten. Deshalb soll es möglichst wenig Sonderlocken geben. Das offizielle EU-Ziel lautet "Vervollkommnung des Binnenmarktes". Die europäischen Verträge schreiben vor, dass die EU Gesetze möglichst einheitlich und bruchfrei über Grenzen hinweg kompatibel, idealerweise sogar identisch gestaltet sind.