Digitalisierung der Arbeit: Wir hängen im Hamsterrad der Produktivität fest

Im digitalen Zeitalter ist Effizienz alles. Doch wie sollen wir im produktiven Dauerstress Zeit finden, um über die Zukunft nachzudenken?

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(Bild: Anna Niedhart)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Julia Kloiber

Während ich mit einer COVID-Infektion zu Hause bin, schreibe ich an einem Konzept für eine Workshop-Reihe zum Thema "Entschleunigung". Eine Auftragsarbeit. Dabei merke ich, dass meine Arbeitsrealität und das Konzept in diesem Moment nicht weiter voneinander entfernt sein könnten. Denn anstatt der erhofften Entschleunigung hat die Pandemie das Arbeitsleben eher noch beschleunigt. Dank Videotelefonie, Home Office und allerhand digitaler Tools bin ich effizient wie nie. Glaube ich zumindest. Die Digitalisierung scheint eines ihrer größten Versprechen einzulösen: den Effizienzgewinn.

Manchmal blicke ich mitleidig auf die Arbeitsverhältnisse derer, die es vermeintlich nicht so bequem haben wie ich. Meine Schwester ist Chirurgin. Zum Arbeiten muss sie in die Klinik, oft für 25 Stunden am Stück. Im Vergleich zu mir kann sie ihren Arbeitsplatz, den OP-Tisch, aber wenigstens nicht mit nach Hause nehmen. Noch nicht. Denn wenn die Telemedizin weiter Fortschritte macht, operiert sie vielleicht auch bald vom Küchentisch aus.

TR-Kolumne von Julia Kloiber

Zurück zur Wissensarbeiterin, die Konferenzcalls aus dem Wohnzimmer führt und sich dabei frei fühlt. Wofür Jeremy Bentham noch ein Panoptikum aus Stein und Stahl brauchte, gibt es heute den Bildschirm. Davor stellt sich ein ähnlicher Effekt ein. Man wird überwacht und vermessen, selbst wenn die Kamera aus ist. Sei es über den Productivity Score von Microsoft 365, dem grünen Punkt neben dem Slack-Avatar oder der eigenen Twitter-Aktivität. Produktiv und effizient ist das, was sich messen lässt: Meetings, E-Mails, Likes, Klicks, Anwesenheit. Einen langen Text lesen, nachdenken, Pause machen – wie "ineffizient".

Wenn die Kolleginnen und Kollegen sehen, dass man gesund genug ist, um auf Social Media abzuhängen, ist man dann nicht auch gesund genug, um E-Mails zu beantworten? Der Übergang zwischen Arbeit und Freizeit ist fließend. Die berühmte Forderung der Arbeiterbewegung "Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und Erholung und acht Stunden Schlaf" – also das Recht für mindestens ein Drittel des Tages nichts zu tun, ist zwar Gesetz, die Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit gerät aber immer mehr ins Wanken. Die Künstlerin Jenny Odell schreibt: "Wenn Arbeit und Freizeit untrennbar miteinander verbunden sind, wird das 'Nichtstun' zur Zeitverschwendung." Das Smartphone in unserer Hosentasche ist das Device für diese untrennbare Verbindung. Es bewahrt uns vor dem Nichtstun.

Solange wir in diesem Hamsterrad der Produktivität festhängen, haben wir keine Zeit, Alternativen zu entwerfen, geschweige denn sie zu realisieren. Die Informatikerin Timnit Gebru schlägt vor, das Tempo des rasanten technologischen Fortschritts zu drosseln und gleichzeitig in Menschen und Gemeinschaften zu investieren, die eine andere Zukunft sehen. So können wir den Fokus digitaler Werkzeuge weg von Ausbeutung und Geschwindigkeit hin zu Achtsamkeit und Nachhaltigkeit lenken.

Schon Napoleon wusste: Wenn man seine Post drei Wochen ungeöffnet ruhen lässt, lösen sich die meisten Probleme von allein. Statt eines Out-Of-Office-Replys bekommt deshalb in Zukunft jede, die mir eine E-Mail schickt, einen In-Office-Reply: "Bitte entschuldigen Sie eine späte Rückmeldung, ich bin bis auf Weiteres nicht verreist." Anstatt den Terminkalender zu überladen wie eine schlecht laufende Partie Tetris, blocke ich mir mehrere Stunden am Tag, um über meine Organisation nachzudenken, Pläne zu schmieden und alternative Zukünfte zu skizzieren.

In einer solchen Zukunft messe ich anstatt meiner Klicks lieber mein Fieber und erhole mich zu Hause in meinem Bett. Der Workshop zum Thema Entschleunigung fällt aus. Die Teilnehmenden werden stattdessen dazu aufgerufen, einfach mal nichts zu tun.

(jle)