Wohin unermessliche Technikgläubigkeit führt – in eine shitty Zukunft
Sind neue Tools erst einmal ausgereift, wird alles besser laufen, so der Glaube. Doch TR-Kolumnistin Julia Kloiber sieht nicht, dass diese Zukunft eintritt.
- Julia Kloiber
Stupid Shit No One Needs & Terrible Ideas – so hieß 2012 der weltweit erste Stupid Hackathon. 2014 hätte ich fast selbst einen veranstaltet, denn ich hatte große Lust auf so einen Anti-Hackathon, bei dem es darum geht, Prototypen zu entwerfen, die keinerlei Wert haben. Die so schlecht sind, dass sie niemand nutzen will: Outcognito Mode, eine Browser-Erweiterung, die jede besuchte Webseite öffentlich tweetet. Shakie, eine Kamera-App, die nur Bilder aufnimmt, wenn das Telefon kräftig geschüttelt wird. Non-Ad Block, eine Web-Extension, die alle Webinhalte blockiert, die keine Werbung sind.
Die Projekte provozieren und rütteln auf, denn manchmal sind sie gefährlich nah dran an der Realität. Unser Alltag ist voll von Shitty-Tech, die ihn unnötig verkompliziert und uns zur Weißglut treibt. Das zeigt ein Blick auf den X-Account "Internet of Shit", der die Crème de la Crème dysfunktionaler Tech-Produkte teilt, die tatsächlich existieren: IOT-Duschen, die morgens erst mal ein Firmware-Update einspielen, Entsafter, die nur Saft produzieren, wenn die Internetverbindung stabil ist, Kühlschränke, bei denen nicht nur die Milch, sondern auch die Software abläuft.
Besonders ärgerlich sind Momente, in denen man auf Shitty-Tech angewiesen ist. Ich erinnere mich nur zu gut an das Smart-Lock eines Airbnb in LA, das sich nicht öffnen ließ, weil ich keine US-Rufnummer hatte, mit der ich einen Account hätte anlegen können. Die Nacht hätte ich fast auf der Straße verbracht.
Eine einfache Schlüsselbox erscheint zu oldschool
Obwohl ein Stupid Hackathon Kunst ist und kein konkretes Ziel verfolgt, hält er uns eindrücklich vor Augen, wohin unermessliche Technikgläubigkeit führt – in eine shitty Zukunft. Dank Smart-Lock muss der Airbnb-Host nicht jedes Mal den Schlüssel vorbeibringen, sondern kann neue Nutzer (vermeintlich) bequem online freischalten. Eine einfache Schlüsselbox erscheint zu oldschool.
Der Glaube, der vielen Produkten zugrunde liegt, ist: digital = besser. Digital = die Zukunft. Analog = die Vergangenheit. Digital macht Dinge bequemer und einfacher. Das muss besser gehen, digitaler! Wir Menschen lieben den Technologiesolutionismus. In diesem Wunschdenken übersehen wir die Mängel und Trade-offs, die wir eingehen. Wir rechtfertigen Shitty-Tech damit, dass wir in einer Übergangsphase stecken. Sind die Tools erst einmal ausgereift, wird alles besser laufen, so der Glaube. Spoiler Alert: Diese Zukunft wird nicht eintreten.
Besonders skurril wird es, wenn analoge Tools einen pseudo-technischen Anstrich bekommen. Ein digitaler Schwangerschaftstest zum Beispiel, in dem ein analoger Teststreifen steckt, der mittels Technik im Gehäuse „ausgelesen“ und dessen Ergebnis digital ausgegeben wird, statt einfach auf den Teststreifen zu sehen. Oder ein KI-Überwachungskamerasystem zur Erkennung von Ladendiebstahl. Anstatt ausgeklügelter KI sitzen Menschen in Madagaskar am anderen Ende der "smarten" Kamera und tun so, als wären sie eine Maschine. Unternehmen tricksen Konsumenten und -innen aus und verkaufen als "High Tech", was längst keine ist. Denn – und das ist unser wunder Punkt – wir vertrauen den Maschinen längst mehr als den Menschen.
Dazwischen liegt viel mondäner Schrott
Die Zukunftserzählungen rund um neue Technologien bewegen sich zwischen Extremen: Utopie und Dystopie. Dass dazwischen ganz viel mondäner Schrott liegt, findet kaum Beachtung. Es ist an der Zeit für mehr Shitty-Tech-Folgenabschätzung. Debunking von Produkten, die auf dem Papier toll aussehen und in der Realität ihren kühnen Versprechen nicht gerecht werden oder gefährlich sind.
So wie Unternehmen ihre Produkte mit Pentests auf Sicherheitslücken überprüfen, könnten sie Technikfolgenabschätzungen forcieren und einen Beitrag leisten, uns vor einer Shitty-Tech-Zukunft zu bewahren. Man stelle sich nur vor, dass das selbstfahrende Taxi in Zukunft so zugemüllt wird wie der öffentliche Nahverkehr in San Francisco. Oder es lässt uns erst aussteigen, wenn wir auch den letzten Werbeclip zu Ende gesehen haben.
(jle)