Ein Wahljahr in Pandemie-Zeiten: Droht ein digitaler Wildwest-Wahlkampf?

Seite 2: Regulierung tut Not

Inhaltsverzeichnis

Dass Medienintermediäre bei der Werbung weniger stark in die Verantwortung genommen werden als der klassische Rundfunk, ist nicht nachvollziehbar. Angesichts der Wirkmacht von Google, Facebook & Co muss auch hier politische Werbung stärker reguliert werden. Ansonsten können finanzstarke Akteure durch massenhafte Anzeigen den politischen Diskurs im Netz an sich reißen. Eine Regulierung könnte sich an den Vorschriften orientieren, die für den Rundfunk gelten. Parteien dürften dann nicht mehr unbegrenzt Anzeigen schalten, sondern hätten ein festgelegtes Kontingent. So ließe sich auch vermeiden, dass die Digitalkonzerne Unmengen an Steuergeldern aus der Wahlkampfkostenerstattung erhalten oder sogar selbst in den Wahlkampf eingreifen, etwa indem sie bestimmte Parteien bevorzugen oder benachteiligen.

Eine Regulierung bezieht sich sinnvollerweise nicht nur auf Werbung von Parteien. Denn auch zivilgesellschaftliche Organisationen haben ein legitimes Interesse an politischer Werbung im Netz, etwa um Personen zu erreichen, die sich bisher weniger für Politik interessieren. Andererseits können auch zivilgesellschaftliche Akteure mit entsprechender finanzieller Ausstattung die öffentliche Debatte dominieren und unter Umständen auch verdeckte Wahlkampfunterstützung leisten. Daher sollten auch Verbände und NGOs Werbekontingente für soziale Medien erhalten. Ein Schlüssel hierfür müsste noch entwickelt werden. Kriterien könnten etwa die Anzahl der Mitglieder oder Spender:innen sein.

Zusätzlich sollte Microtargeting, also das Senden maßgeschneiderter Botschaften an eine kleine Zielgruppe, verboten und die Transparenz bei politischer Werbung ausgebaut werden. Die Stiftung Neue Verantwortung hat hierfür viele gute Vorschläge entwickelt. Diese könnten im Digital Services Act umgesetzt werden, dessen Entwurf gerade auf EU-Ebene diskutiert wird und bereits einige sinnvolle Ansätze enthält. Bis dahin ist zu hoffen, dass die Parteien Selbstverpflichtungen eingehen, wie es aktuell das zivilgesellschaftliche Bündnis Campaign Watch fordert. Wer selbst ein bisschen Licht in die Targeting-Methoden im Wahlkampf bringen will, kann die Browser-Erweiterung "Whotargets.me" installieren und damit die Recherchen vom ZDF-Magazin Royale unterstützen.

Eine weitere Gefahr für die Chancengleichheit im Wahlkampf droht durch versteckte Wahlkampfhilfe mit Mitteln der Bundesregierung. Zwar gehört es zu den Aufgaben der Regierung über ihre Politik zu informieren; sie darf jedoch nicht parteiergreifend auf den Wahlkampf einwirken. Wo genau die Grenze verläuft, lässt sich kaum allgemein sagen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits 1977 einige Kriterien entwickelt. So gilt es als Indiz für eine unzulässige Wahlwerbung durch die Bundesregierung, wenn der „informative Gehalt“ einer Anzeige eindeutig hinter die „reklamehafte Aufmachung“ zurücktritt. Als weiteres Anzeichen komme „ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe in Betracht“. Die Bundesregierung müsse zudem Vorkehrungen dagegen treffen, dass ihre Publikationen von den Parteien zur Wahlwerbung eingesetzt werden.

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Gemessen daran ist die Online-Kommunikation der Bundesregierung teilweise zumindest zweifelhaft. Die gestiegenen Ausgaben im Jahr 2020 dürften zwar überwiegend der Pandemiebekämpfung geschuldet und daher unproblematisch sein – es ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Bundesregierung etwa für das Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln oder für ihre Impfkampagne wirbt. Bedenklich ist es jedoch, wenn Anzeigen dazu genutzt werden, die eigenen (vermeintlichen) Erfolge zu feiern, und dabei die Person des Ministers in den Vordergrund gestellt wird, wie es beispielsweise vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Facebook gemacht wird. Die Grenze zur unzulässigen Wahlkampfhilfe ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär (CSU) sechs Monate vor der Bundestagswahl mit Regierungsmitteln einen Podcast startet, diesen „Bär on Air“ nennt, und in der Ankündigung auf Twitter sogar die Accounts von CSU, CSU-Landesgruppe und CDU/CSU-Fraktion markiert.

Die zahlreichen in den letzten Jahren entstandenen Podcasts der Bundesregierung (u.a. „Aus Regierungskreisen“, „Das Arbeitsgespräch“, „Recht so?!“, „Rohrpost auf die Ohren“) sind darüber hinaus auch aus einem anderen Blickwinkel problematisch. Sie dürften, wie die FAZ schreibt, gegen den Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks verstoßen, denn sie werden größtenteils von professionellen Journalist:innen gemacht und unterscheiden sich in Art und Aufmachung kaum von klassischen Radio-Sendungen. Sie werden jedoch unmittelbar vom Staat produziert. Damit handelt es sich letztlich um digitalen Staatsfunk.

Der Medienstaatsvertrag erweist sich auch insofern als lückenhaft. Nur für den erlaubnispflichtigen klassischen Rundfunk wurde der Grundsatz der Staatsferne ausdrücklich geregelt. Die Medienanstalten können daher gegen die Podcasts der Bundesregierung nicht einschreiten – selbst wenn die Regierung damit gegen das Grundgesetz verstößt. Möglich sind nur Klagen von konkurrierenden Medien oder von Parteien, die benachteiligt werden. Jüngst hat etwa der Wort & Bild Verlag gegen das Portal „gesund.bund.de“ des Gesundheitsministeriums Klage erhoben – und zunächst auch dafür gesorgt, dass das Ministerium nicht mit Google kooperieren darf. Ob auch die Podcasts der Bundesregierung noch vor Gericht landen werden, bleibt abzuwarten.

(emw)