Ein Wahljahr in Pandemie-Zeiten: Droht ein digitaler Wildwest-Wahlkampf?

Unregulierte Werbung in sozialen Medien und ausufernde Öffentlichkeitsarbeit der Regierung gefährden die Chancengleichheit im digitalen Wahlkampf.

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Bald neu besetzt.

(Bild: Rico Markus/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • David Werdermann
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So viel steht schon jetzt fest: Google, Facebook & Co werden im anstehenden Bundestagswahlkampf eine zentrale Rolle spielen. Knapp 40 Prozent der Bevölkerung geben inzwischen an, dass das Internet für sie das wichtigste Medium ist, um sich über das Zeitgeschehen zu informieren. Hinzu kommt, dass der klassische Straßenwahlkampf in Zeiten der Pandemie erschwert ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die Parteien und andere Interessengruppen nie dagewesene Summen in Online-Werbung stecken werden.

Der neue Medienstaatsvertrag, der letztes Jahr den Rundfunkstaatsvertrag abgelöst hat, enthält zwar auch einige neue Regeln für das Netz. Diese reichen aber bei Weitem nicht aus, um einen fairen Wahlkampf sicherzustellen. Gefahren für die Chancengleichheit gehen einerseits von unregulierter politischer Werbung in sozialen Medien und andererseits von ausufernder staatlicher Öffentlichkeitsarbeit aus.

Ein Gastbeitrag von David Werdermann

David Werdermann ist Jurist und Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte und arbeitet als Rechtsanwalt in einer Kanzlei für Informationsfreiheit.

Im klassischen Rundfunk ist politische Werbung schon lange verboten. Das Verbot richtet sich nicht nur an Parteien, sondern wird weit verstanden. Laut der neuen von den Medienanstalten beschlossenen Werbesatzung betrifft das Verbot sämtliche Inhalte, „die zur Darstellung oder im Interesse parteipolitischer, gesellschaftspolitischer, sozialpolitischer oder vergleichbarer Ziele verbreitet werden“.

Das pauschale Verbot politischer Werbung im Rundfunk ist nicht unproblematisch. Denn politische Werbung ist von der Meinungsfreiheit geschützt. Zudem ist kommerzielle Werbung unbegrenzt erlaubt. Shell darf also scheinbar unpolitisches Greenwashing betreiben, Greenpeace kann aber zumindest im Rundfunk nichts entgegensetzen. Andererseits schützt das Verbot politischer Werbung auch den demokratischen Diskurs: Es verhindert, dass sich finanzstarke politische Akteure überproportionalen Einfluss auf die öffentliche Meinung erkaufen können.

Speziell für den Wahlkampf gibt es eine Regelung, die beiden Gesichtspunkten Rechnung trägt: Die Parteien erhalten im Vorfeld einer Wahl nach einem bestimmten Schlüssel Sendezeiten im privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunk. So können sie unabhängig vom jeweiligen Geldbeutel für sich werben.

Obwohl Google, Facebook & Co eine immer größer werdende Bedeutung für die Meinungsbildung haben, wurde das Verbot politischer Werbung nur teilweise auf das Netz ausgeweitet. Nach dem neuen Medienstaatsvertrag gilt es nur für „rundfunkähnliche Telemedien“. Damit sind Angebote gemeint, die aus einer Vielzahl von Audio- und Videosendungen bestehen und redaktionell gestaltet sind, aber – im Gegensatz zum Rundfunk – nicht linear, sondern on-demand verbreitet werden. Erfasst sind daher insbesondere Netflix, Sky und Amazon prime. Auch Podcasts und Youtube-Kanäle können „rundfunkähnlich“ sein, nicht hingegen Streamingplattformen wie Youtube selbst, denn diese werden nicht einheitlich redaktionell gestaltet. Erst recht sind soziale Medien mit überwiegend statischen Inhalten (Facebook, Instagram, Twitter) und Suchmaschinen nicht rundfunkähnlich.

Der neue Medienstaatsvertrag enthält zwar einige neue Regeln für diese Medienintermediäre (v.a. soziale Medien und Suchmaschinen). Ein Verbot oder eine Beschränkung politischer Werbung sucht man jedoch vergeblich. Werbung muss lediglich – wie in der Presse oder im Rundfunk – klar erkennbar und vom übrigen Inhalt eindeutig getrennt sein. Zudem ist bei politischer Werbung im Netz neuerdings der Auftraggeber oder die Auftraggeberin zu nennen.