Einfach pusten: Neue Atemtests weisen COVID-19 präzise nach

Die FDA hat einem Atemtestgerät für den Nachweis von Coronainfektionen die Notfallzulassung erteilt. Viele andere Breathalyzer stehen bereit.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 62 Kommentare lesen

Der sogenannte Breathalyzer von InspectIR Systems analysiert mithilfe eines verkleinerten Gaschromatographen mit Massenspektrometrie-Kopplung (GC-MS) die Atemluft der möglicherweise Infizierten.

(Bild: InspectIR Systems)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Nach bisher unangenehmen Coronatests könnte es künftig eine schmerz- und brechreizfreie Ergänzung geben. Denn nicht nur Schleimhautproben aus Rachen und Nase verraten, ob jemand COVID-19 hat, sondern auch der Atem. Wie viele andere Erkrankungen beeinflusst auch die Coronainfektion Stoffwechselvorgänge im Körper, deren Endprodukte aus dem Blut in die Lunge übertreten und ausgeatmet werden. Veränderung dieser flüchtigen organischen Verbindungen (volatile organic compounds, VOC) im Atem und ihre Kombination bilden je nach Krankheit charakteristische Geruchsprofile.

Schon kurz nach Beginn der Pandemie begannen viele Forschungsgruppen und Firmen, nach COVID-19-typischen Atemprofilen zu suchen und Testgeräte für einen passenden Atemschnelltest zu entwickeln. In den USA hat nun Mitte April das texanische Unternehmen InspectIR Systems als erstes eine Notfallzulassung der US-Zulassungsbehörde FDA für sein mobiles COVID-19-Atemdiagnosegerät erhalten. Was es kosten wird, steht noch nicht fest. Laut New York Times sollen die Kosten pro Test bei zehn bis zwölf Dollar liegen.

Der sogenannte Breathalyzer misst mithilfe eines verkleinerten Gaschromatographen mit Massenspektrometrie-Kopplung (GC-MS) die Konzentration von fünf VOCs im Atem, die mit COVID-19 in Verbindung gebracht werden. Die Testpersonen pusten einfach in ein dünnes Rohr, das in das Handgepäck große Testgerät führt und in nur drei Minuten ein Ergebnis liefert. Damit liegt die Testgeschwindigkeit auf dem Niveau der schnellsten Antigen-Tests, ist aber bedeutend schneller als ein PCR-Test. Allerdings erfordert die Bedienung speziell trainiertes Personal.

Die Identität der fünf Substanzen will InspectIR Systems bisher nicht verraten, nur dass sie der chemischen Familien der Ketone und der Aldehyde angehören. Dem Zulassungsantrag zufolge erkannte das Testgerät in Studien mit mehr als 4.000 Probanden COVID-19-Infektionen in symptomatischen Fällen in 97,8 Prozent der Fälle und bei asymptomatischen Probanden in 91,2 Prozent der Fälle (Sensitivität). Diese wurden auch per PCR bestätigt. Negative Atemproben deklariere die Maschine mit 99,1 Prozent sowie 99,3-prozentiger Genauigkeit als korrekt negativ (Spezifität).

Das Testverfahren haben in einer Folgestudie, die sich auf die Omikron-Variante konzentrierte, ähnlich gute Ergebnisse erzielt. Die FDA betont in ihrer Entscheidung allerdings, dass ein positives Testergebnis mit einem molekularen Test bestätigt werden sollte. InspectIR Systems meldet Bestellungen aus verschiedensten Branchen und Einsatzorten, von Gesundheitseinrichtungen über die Reisebranche bis hin zu Arbeitgebern.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Viele Forscher haben die Zulassung des ersten US-Breathalyzers begrüßt. Das Gebiet der Atemanalyse hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt und neben empfindlichen Sensor- und Analysetechnologien auch wachsende Geruchsprofildatenbanken und durch Künstliche Intelligenz gestützte Auswertungsmethoden hervorgebracht. Es habe sich zu einem einsatzbereiten Gebiet entwickelt, sagte Christina Davis von der University of California in Davis, die seit zwei Jahrzehnten auf dem Gebiet forscht, der New York Times.

Eins der ersten COVID-19-Atemtestgeräte auf dem Markt war SpiroNose vom niederländischen Unternehmen Breathomix, das bereits voriges Jahr beim Einlass zu den Auftritten beim Eurovision Song Contest in Rotterdam zum Einsatz kam. Allerdings liegt seine Stärke im Ausschluss von COVID-19, während er ansonsten ein "unklares Ergebnis" liefert, das einen PCR-Test für die endgültige Diagnose erfordert.

Wissenschaftler haben bereits für verschiedenste schwere Leiden Geruchsprofile erstellt, beginnend mit Krebs über neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson und Entzündungskrankheiten wie Morbus Crohn bis hin zu Infektionen. Das vorrangige Ziel ist die Früherkennung, da sich die Atemprofile oft deutlich vor dem Auftreten von Symptomen messbar verändern. Das ist auch bei Infektionskrankheiten wichtig.

Paul Thomas sieht die Atemanalyse sogar als entscheidende Technologie für eine frühzeitigere Bekämpfung zukünftiger Pandemien. "Es hat fast mehr als ein Jahr gedauert, bis Tests auf breiter Bevölkerungsebene zur Verfügung standen. Das ist viel zu lang", sagt der Chemiker von der britischen Loughborough University. "Wir müssen schon in der dritten Pandemiephase der Weltgesundheitsorganisation mobilisieren, wenn man sagen kann, die neue Krankheit breitet sich von Mensch zu Mensch aus, und Testprotokolle mit KI-Hilfe bereitstehen haben", so Thomas. Sobald die Technologien stehen, ließen sich die Atemsignale für eine neue Krankheit relativ schnell herausfinden.

Sein mit europäischen Kollaborationspartnern aufgesetzter Antrag für die Entwicklung eines entsprechenden Programms hat beim Forschungsförderprogramm "Horizon Europe" der Europäischen Kommission gerade die volle Bewertungspunktzahl erreicht. "Wir müssen die gelernten Lektionen – nicht nur bei Atemluft, sondern auch bei Blut und Nasen-Rachenabstrichen – zu einer agilen wissenschaftlichen Reaktion auf eine aufkommende Pandemie zusammenführen", betont Thomas.

Dabei dürften besonders mobile Testgeräte gefragt sein. Ob auch das Gerät von InspectIR Systems hält, was es laut FDA-Zulassung verspricht, muss sich noch in der Praxis zeigen. Etliche Experten wollen es erst ausprobieren oder würden gerne die – bisher unveröffentlichten – Rohdaten veröffentlicht sehen. Für den Chemiker Paul Thomas "müsste zufriedenstellend demonstriert werden", dass die Technik eines auf Koffergröße verkleinerten und mobil eingesetzten GC-MS-Geräts auf Dauer verlässlich betrieben werden kann. Thomas hat tausende Atemanalysen mit GC-MS durchgeführt. Allein die vor den Messungen notwendige Qualitätskontrolle sei selbst bei den stabil gelagerten Labor-GC-MS-Geräten aufwendig und dauere mehrere Stunden.

Thomas setzt deshalb in Zusammenarbeit mit der G.A.S. Gesellschaft für analytische Sensorsysteme mbH in Dortmund auf eine aus seiner Sicht robustere Messtechnik, die Gaschromatografie mit Ionenmobilitätsspektrometrie (GC-IMS) kombiniert. Damit identifizierten die Partner im Rahmen zweier Studien mit 33 und 65 Patienten COVID-19-typische VOC-Muster in der Atemluft von englischen und deutschen Probanden. Erhöhte Mengen der Aldehyde Ethanal und Octanal signalisierte den Forschern Gewebeschäden infolge von Entzündungen. Erhöhte Level der Ketone Aceton und Butanon zeugten von möglichen Schäden in der Bauchspeicheldrüse, was zu anderen Corona-Forschungsergebnissen passt. Zudem wiesen verringerte Methanolmengen im Atem darauf hin, dass die Infektion methanproduzierende Bakterien im Darm dezimiert hatte.

"Es gibt keinen Zweifel, da ist ein starkes COVID-19-Signal", sagt Thomas. Der Atemtest erkannte die Infektion in den beiden Studien mit mehr als 80-prozentiger sowie 90-prozentiger Sicherheit korrekt. Eine korrekt negative Diagnose lieferte er in 75 sowie 80 Prozent der Fälle. Mithilfe der VOC-Profile konnten die Forscher die Corona-Infektion zudem von anderen Krankheiten wie Asthma und bakterieller Lungenentzündung unterscheiden. Weitere Studien in Kanada und Sri Lanka bestätigten das Geruchsprofil auch bei asymptomatischen Probanden.

Auch Perena Gouma von der Ohio State University entwickelt seit Jahren Atemanalysetests und wartet täglich auf Nachricht von der FDA über ihren COVID-19-Atemtester. Der ist gerade mal so groß wie eine Xbox, liefert in 15 Sekunden ein Ergebnis und soll gerade mal 50 Dollar kosten und für etwa 300 Tests halten, sagt die Materialwissenschaftlerin. Das macht 16 US-Cent pro Test. Vor allem soll es von allen ohne spezielles Training bedienbar sein und damit überall einsetzbar sein.

Das Herzstück von Goumas Technik sind sogenannte Widerstandsensoren aus Wolframtrioxid, die selektiv nur auf Stickstoffmonoxid, Ammoniak und Sauerstoff reagieren. Sie hat bewusst Ketone ausgeschlossen, damit die Ergebnisse nicht durch eine schon früher bestehende Zuckerkrankheit verfälscht werden. Der Kontakt mit den drei Substanzen löst unterschiedliche Widerstandänderungen aus. Dabei kommt es laut Gouma nicht auf bestimmte Einzelkonzentrationen an, sondern auf ein charakteristisches Verhältnis zueinander. Die Technik sei hochempfindlich, stabil und gut reproduzierbar.

In einer Studie mit insgesamt mehreren hundert Probanden identifizierte Goumas Atemtestgerät Coronainfektionen mit einer 88-prozentigen Genauigkeit bei Patienten bei ihrer Aufnahme auf die Intensivstation. In einer noch nicht veröffentlichten Folgestudie stiegt die Genauigkeit für korrekt als positiv erkannte Fälle sogar auf 96 Prozent. Dabei "konnten wir COVID-19 früher als PCR-Tests detektieren", sagt Gouma.

Das Warten auf die FDA-Entscheidung fällt der Wissenschaftlerin zunehmend schwer, da sie ihren bereits vor zwei Jahren eingereichten Antrag als ausführlich empfindet, ihn mehrfach auf Nachfrage angepasst hat und ihre Ergebnisse inklusive der VOC in Fachjournalen veröffentlicht hat. Diese haben ihr bereits viele Anfragen eingebracht. Immerhin habe die erste FDA-Notfallzulassung bewirkt, "dass die Atemanalyse nun noch ernster genommen wird." Kommt die erlösende Nachricht, will Gouma die geplante Startup-Gründung angehen und ihr Gerät schnellstmöglichst auf den Markt bringen.

(vsz)