Elektronische Patientenakte: Was Ärzte wirklich wollen

Seite 2: Datenökonomie als Digitalisierungstreiber

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Streit: Wenn man sich die geplante elektronische Patientenakte ansieht, hat man den Eindruck, dass es nicht um die Unterstützung der Versorgung geht. Die Idee der Datenökonomie ist ein wesentlicher Treiber der Entwicklung der ePA.

Was sind die Hoffnungen beziehungsweise der Sinn dahinter?

Mit den Daten soll Geld verdient werden. Sonst sähe die Infrastruktur drumherum anders aus. Das mit dem Geld ist aber gleichzeitig auch das größte Problem. Einer der größten Risikofaktoren für Krankheit ist Armut. In Deutschland sterben Menschen zehn Jahre eher, wenn sie arm sind. In den letzten zehn Jahren, bevor sie sterben, sind sie auch noch eher krank als reiche Leute. Wir haben ein Teilhabeproblem.

Worin besteht das Problem genau?

Wenn mit der geplanten Datenökonomie die Daten aus den Arztakten in den Europäischen Gesundheitsdatenraum kommen und auch über die anderen geplanten Datenräume immer mehr Daten geteilt werden müssen, dann sind die Menschen gezwungen, einen großen Teil ihrer Persönlichkeit preiszugeben. Die Menschen können mit diesen Daten relativ unreguliert diskriminiert werden. Geschäfte machen kann man nur, indem man Patienten oder Kunden in zwei Gruppen teilt. Der eine erhält einen Kredit, der andere nicht und so weiter. Wir haben derzeit überhaupt kein relevantes Schutzgut mehr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Daten in falsche Hände gelangen. Datenschutz ist bereits heute ein fiktiver Mechanismus und wir brauchen einen Ersatz dafür.

Wie meinen Sie das?

Das Arzt-Urheberrecht könnte der Einstieg in eine Rolle der natürlichen Person in die Datenökonomie sein. Mit einem Arzt-Urheberrecht können die Ärzte mitentscheiden, was mit diesen Daten passiert. Das ist die Grundidee. Indem die Ärzte die Patientenbehandlung dokumentieren, erzeugen sie gleichzeitig ein Patientendateneigentum. Die so entstehenden Daten berichten über den Krankheitsverlauf der Patienten, aber auch über die Entscheidungswege der Ärzte. Die primäre Arztakte in den Praxen entspricht da einer Mietwohnung. Der Arzt ist der Eigentümer, sie wird aber vom Patient bewohnt. Beide haben Rechte daran.

Das Arzt-Urheberrecht ist der Einstieg, um zu klären, wie Patienten und Ärzte eine Rolle in der Datenökonomie erhalten, die sie derzeit nicht haben. Sie können beispielsweise ein berechtigtes Interesse anmelden. Primär geht es dabei um das berechtigtes Interesse, zu sagen, was mit den Daten passiert, um Geld geht es dabei nur sekundär.

Was halten Sie davon, dass die elektronische Patientenakte weiter bei den Krankenkassen liegen soll?

Es ist die Frage, ob die Krankenkassen wirklich die richtigen Sachverwalter sind. Diese sollten neutral sein und möglichst wenig Interessenkonflikte haben. Selbst wenn die wirklich alles redlich machen wollen, liegt das einfach in der Natur der Sache, dass dort ein Interessenkonflikt vorprogrammiert ist. Deswegen ist es besser, man trennt das und legt das in die Hände von jemandem, der keinen Interessenkonflikt hat.

Wie ist Ihre generelle Einstellung dazu, dass Daten dann in den Europäischen Gesundheitsdatenraum laufen?

Rütz: Das kommt immer auf die Randbedingungen an. Es muss zunächst definiert werden, wie das Gemeinwohl denn überhaupt aussehen sollte. Gemeinwohl heißt noch lange nicht, dass dann auch Erkenntnisgewinne bei den Patienten landen.