Elektronische Patientenakte: Was Ärzte wirklich wollen

Seite 3: "Wir haben die Katze im Sack gekauft"

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Heise online: Was halten Sie von den Plänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, das Arzt-Patienten-Gespräch direkt über ein Spracherkennungssystem mittels KI aufzuzeichnen?

Das heißt: Es bleibt nichts mehr unter uns. Die Patienten werden sich hüten, dem Arzt etwas Vertrauliches zu sagen, weil sie jederzeit damit rechnen müssen, dass die Daten ungesehen in der ePA landen. Ich bin zwar davon überzeugt, dass ein einfacher Datenzugriff durch Ärzte für die Behandlung von chronischen Patienten deutliche Vorteile hat. Andere Länder sind uns da deutlich voraus. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass jeder wissen muss, worauf er sich einlässt und dann auch aktiv zustimmen muss. Der Ärztetag hatte auch zweimal für eine Opt-out-Lösung gestimmt. Die Ärztekammer Nordrhein hat sich jetzt zum ersten Mal von den Beschlüssen distanziert, da diese unter völlig falschen Voraussetzungen erfolgten. Wir haben da die Katze im Sack gekauft und jetzt ist der Sack offen und es ist keine Katze herausgekommen, sondern irgendein anderes Ungeheuer.

Streit: Es muss von vornherein klar sein, dass diese Daten primär vertraulich beachtet werden. Außerdem müssen klare Grenzen gezogen werden, wer mit welchen Fragestellungen mit den Daten forschen darf. Wir brauchen im Grunde genommen ein Diskriminierungsverbot für Krankheit und Krankheitsdaten. Mit dem Sammeln dieser Daten besteht die Gefahr, Diskriminierung Tür und Tor zu öffnen. Es gibt zwar Diskriminierungsverbote aufgrund des Geschlechts, der politischen Weltanschauung und auch das veraltete Wort "Rasse" taucht dort auf, und auch Behinderung, aber von Krankheit ist im Grundgesetz nicht die Rede.

Eignen sich die Daten in der ePA für die Forschung?

Streit: Wenn Sie an wissenschaftliche Forschung denken, würde ich sagen: Nein. In Zukunft soll Künstliche Intelligenz (KI) mit den Daten forschen. KI ist nicht darauf angewiesen, dass die Daten vollständig und strukturiert sind. Sie sucht nach Korrelation und es spielt keine Rolle, mit welcher Fragestellung. Das ist aber dann nicht Evidenz-basiert. Gesellschaftlich vollzieht sich gerade ein Paradigmenwechsel. Wir sagen, wir machen KI-Erkenntnis. Das funktioniert auch, aber ich bin gespannt, wie Wissenschaftler damit umgehen, wenn es zwei Wahrheiten gibt, eine über Erkenntnis aus Wissenschaft und eine aus KI.

Was ist mit einem explorativem Ansatz?

Streit: Auch da ist KI keine Wissenschaft. Für Wissenschaft müssen Sie vorher festlegen, welche Theorie sie verfolgen. Dann formulieren Sie eine Hypothese, dann testen Sie diese Hypothese und dann gibt es ein Ergebnis.

(mack)