Erst mal Durchatmen nach dem Hype

Auf der Web 2.0 Expo in San Francisco sinnierten die Experten über Sinn und Unsinn von sozialen Netzwerken, das Fettnäpfchen von General Motors und das Ende des Browsers. Besondere Aufmerksamkeit erntete das palästinensische Start-ups G.ho.st.

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Von
  • Steffan Heuer
Inhaltsverzeichnis

Der Medienrummel und das Konferenzgeschäft rund um den vage definierten Begriff Web 2.0 platzen aus allen Nähten. Die ursprüngliche Veranstaltung zum Thema, organisiert unter der Führung von Tim O´Reilly, der den Begriff 2004 einführte, hat deswegen gekalbt und erstmals eine eigene „Expo“ in San Francisco hervorgebracht. Vom 6. bis 8. November soll die organisierte Begeisterung nach Europa schwappen, wenn CMP Technology und O´Reilly Media die erste Web 2.0 Expo in Berlin veranstalten wollen.

Das Geschäft läuft gut: Vier Tage lang drängten sich laut Veranstalter rund 10.000 Besucher durch das Moscone Center, für 1.500 Dollar pro Nase. Oft waren es Programmierer und Unternehmer, die zum deutlich teureren und ausverkauften „Web 2.0 Summit“ vergangenen Oktober keine Karten bekommen hatten. Damit nicht genug: Eine parallel ablaufende Tagung zum Thema „Location Intelligence“ verdeutlichte, welch wachsende Bedeutung örtlich eingrenzbare Web-Anwendungen gewinnen.

Doch die Expo-Gäste erwartete wenig Weltbewegendes. Die etablierten Marken und ihre Galionsfiguren warteten mit vorsichtigen Statusreports auf: Amazons Jeff Bezos sprach über die Web-Services-Architektur seines Unternehmens. Technorati-Chef David Sifry vermeldete, dass japanische Blogs inzwischen mit 37 Prozent den größten Teil der Blogosphäre ausmachen. Bill Tancer vom Marktforscher Hitwise berichtete, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Besucher von Webseiten wie Flickr, YouTube oder selbst Wikipedia aktiv teilnimmt. Die meisten würden nur passiv konsumieren.

Breiten Raum nahm das Thema Social Networking ein, da jede Neugründung für sich in Anspruch nimmt, die Bedürfnisse eine Nutzergemeinde zu befriedigen, um sie bei der Stange zu halten und ihre Entwicklungskosten zu senken. Eine solche Gemeinschaft, die sich langfristig zu einer Einnahmequelle entwickelt, lässt sich jedoch nicht herbeireden oder erzwingen, wie Fotobloggerin Heather Champ vom Fotosharing-Dienst Flickr und ihr Ehemann, der Fotograf und Web-Verleger Derek Powazek, in einer Diskussionsrunde betonten: „Wenn mir jemand sagt, er baut mir eine Nutzer-Gemeinde, würde ich aufstehen und den Raum verlassen.“

Es gebe jedoch ein paar Grundsatzregeln, um eine lebendige Online-Gemeinde entstehen zu lassen und sie zu monetarisieren – was aber nicht heißt, dass jede Webseite auf User Generated Content setzen sollte. Wichtig sei laut Champ und Powazek ein Design, das an den „Eigennutz“ appelliert, entweder um berühmt zu werden, besonders ausgefeilte Werkzeuge auf der Seite zu nutzen, oder schlicht die Aussicht, Geld zu verdienen.

Zweitens befürworteten sie ein Hybridmodell aus menschlicher oder redaktioneller Auslese und der von Google bevorzugten Algorithmen, um Beiträge von Nutzern zu filtern. Flickr etwa saugt Tag für Tag mehr als eine Million neue Fotos auf und präsentiert einige unter der Rubrik „Interessantheit“ – aber sie werden nicht durch Abstimmungen ausgewählt, sondern anhand des Verhaltens seiner Mitglieder im Umgang mit den Fotos ermittelt.

Solche aktiven Nutzergemeinschaften lassen sich zu Geld machen, wenn man mit seinem Profitmotiv offen und transparent umgeht, so Powazek. Zwei Beispiele mit gemischten Ergebnissen sind eine maßgeschneiderte Yahoo-Seite für die Nintendo Wii-Spielkonsole, die das Portal Anfang des Jahres einfach mit rund 52.000 Flickr-Bildern füllte, sofern sie mit dem Tag „Wii“ versehen waren – allerdings ohne deren Fotografen zu fragen. Die Reaktion war weitgehend negativ.

Unerwartete Konsequenzen ganz anderer Art hatte der Plan von General Motors, eine Webseite zu starten, auf der Nutzer ihre eigenen Werbespots für den Chevy Tahoe Geländewagen (SUV) basteln konnten. Die meisten dieser Spots waren allerdings bitterböse Parodien der Sprit-fressenden Vorstadt-Panzerwagen. Dabei kamen Slogans heraus wie: „Wir haben die Hügel abgeholzt“ oder „Das SUV für Arschlöcher.“