Erste mit robotisierten Spermieninjektionen gezeugten Babys sind geboren​

Seite 3: Software als "Gehirn für die Steuerung künftiger automatisierter Labors"

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Seine IVF-Klinik führt derzeit eine Studie durch, bei der menschliche und vom Computer ausgewählte Spermien verglichen werden, um zu sehen, welche zu mehr Babys führen. Bislang hat der Computer einen kleinen Vorsprung. "Wir behaupten nicht, dass er besser ist als ein Mensch, aber wir behaupten, dass er genauso gut ist. Er wird zudem nie müde. Ein Mensch aber muss um 8 Uhr morgens, nach einem Kaffee oder auch nach einem Telefonstreit in Form sein", sagt er.

Chavez-Badiola glaubt, dass eine solche Software "das Gehirn für die Steuerung künftiger automatisierter Labors" sein wird. Dieses Jahr verkaufte er die Nutzungsrechte für sein Spermienverfolgungsprogramm an Conceivable Life Sciences, einem in New York gegründeten IVF-Automatisierungs-Start-up, bei dem Chavez-Badiola als Chief Product Officer fungieren wird. Das Unternehmen beschäftigt auch den bekannten Embryologen Jacques Cohen, der früher in jener britischen Klinik gearbeitet hat, in der 1978 das erste IVF-Baby Louise Brown geboren wurde.

Conceivable Life Sciences plant die Entwicklung eines autonomen Roboterarbeitsplatzes, der Eizellen befruchten und Embryonen züchten kann, und hofft, alle wichtigen Schritte noch in diesem Jahr demonstrieren zu können. Cohen räumt jedoch ein, dass es eine Weile dauern könnte, bis die Automatisierung Realität wird. "Es wird Schritt für Schritt gehen", sagt er. "Selbst offensichtliche Dinge brauchen zehn Jahre, um sich durchzusetzen, und 20, um zur Routine zu werden."

Conceivables Investoren glauben, dass sie durch die Ausweitung von IVF-Behandlungen Geld verdienen können. Es ist fast sicher, dass die IVF-Industrie auf das Fünf- oder Zehnfache ihres derzeitigen Umfangs anwachsen könnte. In den USA werden weniger als zwei Prozent der Kinder auf diese Weise geboren, aber in Dänemark, wo das Verfahren kostenlos ist und gefördert wird, liegt die Zahl bei zehn Prozent.

"Das ist der wahre Bedarf", sagt Alan Murray, ein Unternehmer mit Erfahrung im Bereich Software und Co-Working-Spaces. Er hat Conceivable mit seinem Geschäftspartner Joshua Abram gegründet. "Die Herausforderung besteht darin, dass diese wunderbaren, reichen und exzentrischen Länder das können, aber der Rest der Welt nicht. Aber sie haben gezeigt, dass die Menschen wirklich etwas brauchen", sagt er. "Was sie mit Geld erreicht haben, müssen wir mit Technologie schaffen."

Murray schätzt, dass es in den USA durchschnittlich 83.000 Dollar kostet, bis ein Baby per IVF geboren wird, wenn man die häufig vorkommenden Fehlversuche mit einbezieht. Das Ziel seines Unternehmens sei es deshalb, die Kosten um 70 Prozent zu senken. Das sei möglich, wenn die Erfolgsraten steigen.

Es ist jedoch nicht sicher, dass Roboter die Kosten für IVF senken oder dass die Einsparungen an die Patienten weitergegeben werden. "Der Trend geht in Richtung einer Anhäufung von Tests und Technologien, und nicht in Richtung einer echten Anstrengung, die Zugangsbarrieren zu senken", sagt Rita Vassena, Beraterin von Conceivable und Wissenschaftsvorstand bei Fecundis, einem Unternehmen für Fruchtbarkeitsforschung. In der Vergangenheit habe es immer wieder Innovationen gegeben, ohne dass sich die Schwangerschaftsraten spürbar erhöht hätten.

Im vergangenen Herbst veröffentlichten die Forscher von Overture und die Ärzte von New Hope eine Beschreibung ihrer Arbeit mit dem Roboter und behaupteten, dass zwei Patientinnen schwanger geworden seien. Dies geschah, nachdem sie die ethische Genehmigung für die Studie erhalten hatten, sagt John Zhang, Gründer von New Hope und Hauptautor des Berichts.

Beide Kinder seien inzwischen geboren worden, sagt Jenny Lu, Koordinatorin für Eizellspenden bei New Hope. MIT Technology Review konnte mit dem Vater eines der Kinder sprechen.

"Es ist verrückt, nicht wahr?", sagte der Vater, der anonym bleiben möchte. "Sie sagten, bisher sei das immer manuell gemacht worden." Er sagte, dass er und seine Partnerin bereits mehrere IVF-Versuche unternommen hatten, jedoch ohne Erfolg. In beiden Fällen der Roboterinjektion wurden Spendereier verwendet, die den Patienten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden (sie können sonst 15.000 Dollar kosten). Nachdem sie befruchtet und zu Embryonen herangewachsen waren, wurden sie in beiden Fällen in die Gebärmutter der Patientin eingepflanzt.

Spendereier werden meist verwendet, wenn eine Patientin älter ist, etwa in den 40ern, und sonst nicht schwanger werden kann. Da die Automatisierung das Problem der alternden Eizellen nicht direkt lösen kann, wird ein IVF-Labor in einer Box auch nicht den Grund für das Scheitern von Fruchtbarkeitsbehandlungen beheben. Die Automatisierung könnte es den Ärzten jedoch ermöglichen, genau zu messen, was sie tun, und so ihre Verfahren feiner abzustimmen. Selbst eine kleine Steigerung der Erfolgsquote könnte jedes Jahr Zehntausende zusätzlicher Babys bedeuten.

Kathleen Miller, leitende Wissenschaftlerin von Innovation Fertility, einer Klinikkette im Süden der USA, sagt, dass ihre Zentren jetzt Computer-Vision-Systeme einsetzen, um Zeitraffervideos von wachsenden Embryonen zu studieren und herauszufinden, ob irgendwelche Daten erklären, warum einige zu Babys werden und andere nicht. "Wir setzen die Daten in Modelle um, und die Frage lautet: 'Sagen Sie mir etwas, das ich noch nicht weiß'", sagt sie. "Wir werden sehen, wie sich das Berufsbild des Embryologen weiterentwickelt", sagt Miller voraus. "Im Moment sind sie noch Techniker, aber sie werden zu Datenwissenschaftlern".

Für einige Befürworter der IVF-Automatisierung sieht die Zukunft noch wilder aus. Indem sie die Empfängnis in die Hände von Maschinen legen, könnte die Automatisierung die Einführung von noch umstrittenen Techniken wie Genom-Editing oder fortschrittlichen Methoden zur Erzeugung von Eizellen aus Stammzellen beschleunigen.

Obwohl Munné sagt, dass Overture Life keine Pläne hat, das Erbgut von Kindern zu verändern, glaubt er, dass es ein Leichtes wäre, den Spermieninjektionsroboter zu diesem Zweck zu verwenden, da er präzise Mengen von Gen-Editing-Chemikalien in eine Eizelle einbringen kann. "Es sollte sehr einfach sein, die Maschine zu erweitern", sagt er.

Noch mehr spekulative Technologie ist am Horizont zu sehen. Fruchtbarkeitsmaschinen könnten sich allmählich zu künstlichen Gebärmüttern entwickeln, in denen Kinder bis zur Geburt in wissenschaftlichen Zentren ausgetragen werden. "Ich glaube, dass wir es schaffen werden", sagt Thompson. "Es gibt glaubwürdige Beweise dafür, dass das, was wir für unmöglich hielten, gar nicht so unmöglich ist."

Andere stellen sich vor, dass Roboter irgendwann in den Weltraum geschossen werden könnten, gefüllt mit Eizellen und Spermien, die in einem glasartigen Zustand der Stasis gehalten werden. Nach einer tausendjährigen Reise zu einem fernen Planeten könnten solche Maschinen hochfahren und eine neue Gesellschaft von Menschen gründen.

Das alles ist Teil des Ziels, mehr Menschen zu schaffen, und zwar nicht nur hier auf der Erde. "Es gibt Leute, die denken, dass die Menschheit eine interplanetarische Spezies sein sollte, und dass die Lebenszeit der Menschen nicht ausreicht, um diese Welten zu erreichen", sagt Chavez-Badiola. "Ein Teil der Aufgabe eines Wissenschaftlers ist es, weiter zu träumen."

(vsz)