"Es geht um die Zukunft der Demokratie"
Der Internet-Gelehrte Evgeny Morozov hält die NSA für gar nicht so gefährlich. Der Hauptfeind der Demokratie sitzt für ihn im Silicon Valley.
Der Internet-Gelehrte Evgeny Morozov hält die NSA für gar nicht so gefährlich. Der Hauptfeind der Demokratie sitzt für ihn im Silicon Valley.
Morozov wurde 1984 in Weißrussland geboren. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und Ökonomie an der amerikanischen Universität Belgrad. Morozov forschte an der Georgetown und an der Stanford University zur Wechselwirkung von Internet und Politik. Derzeit absolviert er ein Promotionsstudium in Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University.
Mit "The Net Delusion" kam 2011 Morozovs erstes, viel beachtetes Buch auf den Markt. Seine Kolumnen und Artikel erscheinen unter anderem in der "New York Times", dem "Guardian", der "Zeit" und der "FAZ". Sein neuestes Buch "Smarte neue Welt" ist seit Oktober 2013 auf Deutsch erhältlich.
Technology Review: Im Zuge der NSA-Affäre ist viel darüber geschrieben worden, dass die Freiheit des Internets in Gefahr sei. In Ihrem neuen Buch erklären Sie nun, dass es nutzlos sei, von der "Freiheit des Internets" zu sprechen. Warum?
Evgeny Morozov: Wenn Sie zwei mehrdeutige Begriffe wie "Internet" und "Freiheit" miteinander verbinden, dann steht die Kombination einfach fĂĽr nichts. Ich verstehe nicht, was damit gemeint sein soll, wenn die Leute ĂĽber die Freiheit des Internets sprechen.
Wenn sie meinen, dass einige Netzwerke, einige Software-Produkte und Software-Standards in irgendeiner Weise vom Gesetz ausgenommen sein sollten, dann finde ich das lächerlich. Es gibt keinen abgetrennten Raum, in dem diese Aufhebung von Gesetzen stattfinden kann. Es gibt keinen virtuellen Raum, es gibt keinen Cyberspace. Es gibt nur eine Welt. Ob das nun gut oder schlecht ist, das ist die Welt, in der wir leben und in der unsere Gesetze gelten.
Es gibt möglicherweise eine Menge schlechter Gesetze, die auf digitale Netzwerke angewendet werden. Aber wenn es Menschen gibt, die mit diesen Gesetzen nicht einverstanden sind, dann müssen sie versuchen, diese Gesetze zu ändern. Metaphysische Argumentationen wie "man muss das Internet so lassen, wie es ist, weil jeder staatliche Eingriff es zerstört", finde ich einfach nur bizarr.
TR: Die Abhörpraxis stellt also nicht die Freiheit des Internets infrage, sondern die Freiheit überhaupt?
Morozov: Ja. Es ist doch nicht so, dass die NSA nur unsere Computer überwacht. Die NSA erfasst Nummernschilder, sie wertet Überwachungskameras mit Gesichtserkennungs-Software aus, sie speichert Anmeldungen in Hotels und so weiter. Wenn Ihnen das nicht gefällt, müssen Sie etwas gegen Überwachung unternehmen.
Natürlich können Sie argumentieren, dass heute sehr viele unserer Aktivitäten digitalisiert sind. Dass diese Tätigkeiten auf Servern gespeichert werden, weil die Unternehmen, die diese digitalen Dienste anbieten, sich davon ein Geschäft versprechen. Und Sie können argumentieren, dass diese Unternehmen so viel wie möglich über unsere Gewohnheiten und Vorlieben erfahren möchten, weil sie damit umso bessere Geschäfte machen können. All dies führt zur Entstehung einer völlig neuen Qualität von Überwachung. Aber das hat nichts mit dem Internet zu tun.
Es hat damit zu tun, dass wir unsere Kommunikations-Infrastruktur privaten Unternehmen überlassen haben, die daran interessiert sind, alles zu speichern. Die Post hätte kein Interesse daran, jeden Ihrer Briefe für immer zu speichern, damit sie besser Anzeigen in die Briefe einfügen kann. Google tut genau das mit Ihren E-Mails. Man kann sich aber genauso gut einen öffentlichen E-Mail-Dienst vorstellen, der nicht jede Mail analysiert und speichert. Das heißt, diese Form der Überwachung ist eine Folge unserer Kapitulation gegenüber der Logik der Privatisierung und des Neoliberalismus.
TR: In einem Essay, der auch in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienen ist, haben Sie den Bürgern eine kräftige Mitschuld an dieser Entwicklung zugewiesen.
Morozov: Sicher. Mein Argument ist, dass es einen Wandel gegeben hat in der Art und Weise, wie staatliche Stellen und Unternehmen über Daten denken. Damit hat sich auch geändert, wie Bürger mit Daten umgehen. Nehmen wir den Terrorismus als Beispiel. Möglicherweise sehen Sie, dass es mehr Menschen gibt, die gefährliches Gedankengut verbreiten. Oder dass diese Menschen Orte besuchen, die für Anschläge geeignet wären. Statt zu warten, dass nun irgendwann tatsächlich ein Terroranschlag verübt wird, gehen Sie hin und verhaften diese Menschen, bevor sie etwas getan haben.
TR: Warum ist das ein Problem?
Morozov: Was passiert, wenn man sich auf diese Logik einlässt? Nun, das System braucht Daten. Nur auf diese Weise kann es lernen, wann gefährliche Symptome auftreten. Das System braucht so viele Daten wie möglich – von Ihnen als Bürger. Damit es optimal funktioniert, müssen Sie, der Bürger, dann Ihr Verhalten an das System anpassen. So kann man etwa auch mit dem Problem des verbreiteten Übergewichts umgehen.
Sie überwachen einfach, was und wie viel die Leute essen – mit den Sensoren in ihren Smartphones. Statt darüber nachzudenken, wie die Lebensmittelindustrie agiert, wie viel Zucker und Fett sie den Produkten zugibt oder wie sie ihre Werbung für Junkfood gezielt auf Jugendliche ausrichtet. All diese Fragen liegen auf dem Tisch. Statt darüber zu diskutieren, ermutigen wir die Menschen, mit ihren Smartphones herumzuspielen. In gewisser Weise ist die allgegenwärtige Überwachung nur ein kleiner Teil von einem größeren Problem.
TR: Welchem?
Morozov: Es geht um die Zukunft der Demokratie. Die Frage ist, ob sich die BĂĽrger aktiv ĂĽber die sozialen und politischen Bedingungen, die ihr Leben bestimmen, beraten wollen und ob sie diese Gesellschaft formen wollen. Oder ob sie sich einfach damit zufriedengeben, das System mit ihren Daten zu fĂĽttern, sodass es ihr Verhalten optimieren kann. Ohne jede demokratische Debatte. Genau das passiert im Bereich des Terrorismus.