Fahrhelfer zum Nachrüsten

Auf der IAA Nutzfahrzeuge ist der erste nachrüstbarer Spurhalte-Assistent zu besichtigen. Das System warnt beim Überfahren eines Seitenstreifens und dient gleichzeitig als Unfallschreiber.

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Die Kamera des FAS 100

Die Liste der elektronischen Hilfen, die ein Fahrzeug seinem Fahrer bietet, wird immer länger – angefangen vom Bremsassistenten über Einparkhilfen bis zum automatischen Abstandhalter. Doch wer sich von solchen digitalen Helfern umsorgen lassen möchte, muss sich in der Regel bereits beim Kauf dafür entscheiden. Der Funk-Spezialist Alan Electronics mit Sitz in Dreieich hat auf der Internationalen Automobil Ausstellung Nutzfahrzeuge (21. bis 28. September, Hannover, hier eine Bilderstrecke mit einigen Impressionen) ) unter dem Produktnamen „FAS 100“ den ersten nachrüstbaren Spurhalte-Assistenten vorgestellt.

Das System besteht aus zwei Komponenten: Einer Kamera, die per Wasserwaage ausgerichtet an die Frontscheibe geklebt wird, und ein Bedienteil, das in Griffweite am Armaturenbrett befestigt wird. Das Bedienteil wird wiederum mit der Bordstromversorgung verbunden. Die Kamera mit XVGA-Auflösung (1024 mal 768 Pixel) wird über das Verbindungskabel mit der Bedieneinheit mit Strom versorgt.

Bei der ersten Inbetriebnahme müssen Fahrzeugtyp, Toleranz und gewünschter Warnton ausgewählt werden (es stehen zehn verschiedene Klänge von der gesprochenen Warnung bis zur Hupe zur Auswahl). Das Bedienteil hat kein Display, sondern eine Sprachausgabe, die mitteilt, in welchem Menü man sich befindet. Die Eingabe erfolgt dann durch die drei Tasten „auf“, ab“ und „Eingabe“.

Rollt das Fahrzeug los, passiert zunächst einmal gar nichts. In Aktion tritt der Assistent nämlich erst ab einer bestimmten Geschwindigkeit – entweder 60 oder 80 Kilometer in der Stunde. Diese wird über einen eingebauten GPS-Empfänger ermittelt. Ab diesem Tempo warnt die Box dann akustisch vor dem Überfahren einer Fahrbahnmarkierung. Nach Angaben von Friedhelm Christ, Geschäftsführer von Alan Electronics, soll die Mustererkennungs-Software bei ganz unterschiedlichen Markierungen arbeiten – ganz gleich, ob sie gelb oder weiß, durchgehend oder unterbrochen, neu oder abgenutzt, trocken oder nass sind. „Wenn Sie einen Seitenstreifen mit dem bloßen Auge noch sehen können, kann ihn auch das System erkennen“, verspricht Christ. Damit das Gerät nicht bei jedem Spurwechsel und jedem Abbiegen quäkt, kann es mit dem Blinkerrelais des Fahrzeugs verbunden werden – es meldet sich dann nur, wenn kein Blinker gesetzt wurde. Das kann der Benutzer selber machen, wenn er genügend Sachverstand hat und die Elektronik in seinem Wagen gut zugänglich ist. Christ empfiehlt aber den Einbau durch eine Fachwerkstatt.

Die Mustererkennungs-Software, die Algorithmen und die speziell auf diese Anwendung ausgelegte Hardware sind in Korea entwickelt worden. Dort kommen sie beispielsweise im fest eingebauten Fahrassistenten höherwertigen SsangYong-Karossen in den Einsatz. „Die Koreaner haben uns angesprochen, weil sie einen Partner für Nachrüstlösungen suchten“, sagt Christ. Da Alan Electronics über seine CB-Funk-Produkte bereits Zugang zum Markt der LKW-Nachrüster habe, sei das Produkt in ein eigenes Gehäuse gesteckt und in das Portfolio aufgenommen worden, so Christ.

Neben dem Fahrspurassistenten arbeitet der FAS 100 auch als Unfallschreiber. Das Bedienteil enthält einen Verzögerungssensor, der ab einer bestimmten Auslöse-Schwelle die Kamerabilder zwölf Sekunden vor und sechs Sekunden nach dem Crash in den internen, einen Megabyte großen Speicher schreibt. Dort können sie gemeinsam mit den GPS-Daten über eine USB-Schnittstelle ausgelesen werden und erleichtern so die Rekonstruktion des Unfalls. Quasi als Abfallprodukt der vorhandenen Technik haben die Alan-Ingenieure dem Kasten noch Abstandsfunktion mitgegeben, die signalisiert, wenn es im Stau oder im Stop-and-go-Verkehr weitergeht. In der nächsten Generation soll auch ein richtiger Abstandswarner, der ein Unterschreiten des Sicherheitsabstandes meldet, eingebaut werden.

Das Gerät kostet 699 Euro und soll vor allem LKW-Lenker, aber auch PKW-Vielfahrer ansprechen. Zudem spricht Christ nach eigenen Angaben bereits mit LKW-Herstellern darüber, das System werksseitig fest einzubauen. Der FAS 100 wäre dann also über den Umweg der Nachrüstlösung wieder da angekommen, wo er angefangen hat: bei der Erstausstattung.

Dort herrscht mit Siemens VDO bereits ein mächtiger und etablierter Gegner. Nach Angaben von Frank Franzen, Projektmanager Safety Electronics bei Siemens VDO in Regensburg, gibt es derzeit keine Pläne, eine eigene Nachrüstlösung für Fahrspurassistenten anzubieten. Stattdessen setzt Siemens VDO auf ein modulares System, bei dem der Kunde weitere Komponenten zum reinen Fahrspurassistenten dazubestellen kann. So arbeitet die 750×400 Pixel-Kamera des Assistenten nicht nur im Bereich des sichtbaren Lichtes, sondern auch im Infrarotbereich und warnt so auch nachts und bei Nebel vor Objekten, die mit dem bloßen Auge kaum zu sehen sind. Zudem arbeiten die Siemens-VDO-Ingenieure an einer Erkennungssoftware für Straßenschilder, so dass ein Tempomat sich beispielsweise automatisch auf das jeweilige Tempolimit einstellen kann. Das System soll ab Werk sämtliche Schilder in ganz Europa erkennen. „Um es auf die verschiedenen Verkehrszeichen zu kalibrieren, sind wir zum Beispiel mal einen Tag durch Schweden gefahren und haben die ganze Zeit nur Schilder erfasst“, erzählt Franzen.

Nimmt man eine zweite Kamera hinzu, die sich nicht nach vorne, sondern auf den Fahrer richtet, wird eine weitere Assistenzfunktion möglich: Eine Software erfasst das Gesicht des Fahrers und misst die Dauer der Lidschläge. Werden sie länger und länger, ist das ein Alarmsignal für den gefürchteten Sekundenschlaf. Dieses System ist, ebenso wie die Straßenschild-Erkennung, noch im Prototyp-Stadium, während Fahrspurassistent und Objekterkennung bereits unter anderem in Lastwagen von Volvo und MAN zu ordern ist. Da die Technik von Siemens VDO nicht selber mit dem Fahrer kommuniziert, sondern lediglich ein entsprechendes Signal an die Bordelektronik liefert, liegt es in Hand des LKW-Herstellers, wie diese Warnung an den Fahrer übermittelt wird – etwa durch Vibrieren der entsprechenden Sitzseite oder durch Einspielung eines Nagelband-Ratterns auf dem rechten oder linken Bordlautsprecher. Nur das Vibrieren des Lenkrades hat sich nach Angaben von Franzen als kontraproduktiv erwiesen: „Dann erschrickt der Fahrer zu sehr.“ (wst)