Filmklassiker: 100 Jahre "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens"

Seite 2: Echte Kulissen

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Die Kulissen sind überwiegend echt. Statt im Studio, wie zu jener Zeit üblich, dreht Murnau vieles im Freien, besonders in der Hansestadt Wismar: das Wassertor, die Wasserkunst, verschiedene Kirchen und der Hafen. Und in Lübeck: die Salzspeicher (wo Orlok sein Haus mietet), der Hof der Aegidienkirche, die Depenau (eine Straße in der Altstadt). Als Wohnort des Grafen Orlok dient die Arwaburg in der heutigen Slowakei. Dort entstehen Außen- und Innenaufnahmen; auch die Umgebung dient als Kulisse für die Landschaftsaufnahmen. Computerspielern ist sie eher aus "The Witcher" bekannt: als Inspiration für Kaer Morhen, die Festung der Hexer (für die in der TV-Serie ein Set gebaut wird).

Die naturalistischen Aufnahmen unterscheiden sich eigentlich von den Kunstwelten des expressionistischen Films jener Zeit. Etwa von "Das Cabinet des Dr. Caligari" von 1920 mit seinen grotesk verzerrten Bauten und Formen. Dennoch sind sich beide Filme recht ähnlich. Zu ähnlich, wie manchem Kritiker auffällt. Doch eine Ähnlichkeit fällt schwerer ins Gewicht.

100 Jahre "Nosferatu" (17 Bilder)

(Bild: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung / Transit Film)

Denn die Handlung des Films basiert auf dem Roman "Dracula" von Bram Stoker, der in Form eines Tagebuches verfasst ist: Der junge Makler Thomas Hutter reist in die Karpaten, zu Graf Orlok, der ein Haus in Wisborg sucht. Nach und nach findet er heraus, dass Orlok ein Vampir ist, der sich von Blut ernährt und tagsüber in einem Sarg schläft. Orlok fährt nach Wisborg; und mit ihm die Pest. Hutters Frau liest in einem Vampir-Buch, wie man Orlok besiegen könne: sich ihm und seinem Blutdurst hinzugeben, so dass er über die Nacht den todbringenden Sonnenaufgang vergisst. Was am Ende funktioniert. Die Anfälligkeit des Vampirs für Sonnenlicht gibt es im Buch noch nicht; genau wie seine Angewohnheit, andere tödlich mit Pest zu infizieren. Das ist kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe (an der mehr Menschen sterben als am Krieg) ein sehr präsentes Thema.

Aber die Macher versäumen es, sich die Rechte am Roman zu sichern. Sie ändern nur die Namen der Charaktere und die Orte und die Zeit. Und den Titel: Nosferatu wird im Buch nur beiläufig an zwei Stellen als osteuropäisches Synonym für Untote, Vampire genannt. Bekannt macht den Begriff zuvor eine schottische Reiseschriftstellerin; Wissenschaftler vermuten, dass er durch falsches Verstehen einer rumänischen Umschreibung für den Teufel geboren wird.

Das Risiko, den Stoff für ein Drehbuch zu bearbeiten, scheint nicht groß, ist doch Bram Stoker bereits seit zwei Jahrzehnten tot. Doch irgendwie erfährt seine Witwe von dem unabgesprochenen Film, und sie verklagt mit Hilfe der britischen Gewerkschaft der Schriftsteller den Rechtsnachfolger der Macher.

Den Rechtsnachfolger – denn der "Nosferatu"-Produzent, Albin Graus Firma, muss schon wenige Monate nach der Premiere Konkurs anmelden. Der Film ist durch die vielen Außendrehs, die üppige Bezahlung des Regisseurs und die aufwendige Werbekampagne einerseits zu teuer geraten. Andererseits weigert sich die UFA, den Film in das Programm der großen Kinos aufzunehmen, so dass er nur in kleinen Sälen zu sehen ist. Die Witwe bekommt recht. Da man sich nicht über die Zahlung von Schadensersatz einigen kann, verfügt das Gericht, dass alle Kopien des Films zerstört werden.

Doch Abzüge haben sich schon in der ganzen Welt verbreitet. Ein Glück auch für andere Filme wie "Metropolis", der nach seiner Premiere stark gekürzt wird und dessen Originalfassung 80 Jahre als verloren gilt, bis man in Argentinien auf Rollen der Langfassung stößt. So wird die weitere Geschichte von "Nosferatu" undurchsichtig. Er wird gekürzt, erweitert, mit Zwischentiteln in vielen Sprachen versehen und mit der verschiedensten Musik unterlegt. In den USA gilt er als Public Domain, wodurch er unter vielen Namen veröffentlicht wird.

Albin Grau selbst veranlasst 1930 eine Tonfassung unter dem Namen "Die zwölfte Stunde". Die Namen der Personen werden geändert; so wird aus Orlok Wolkoff. Man verwendet bisher ungenutztes Material und dreht neues; und eine Szene mit dem Ehepaar vom Anfang wird als neues Happy End ans Ende versetzt. 2005 beauftragt die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eine aufwendige Restaurierung, bei der jedes Einzelbild bearbeitet wird; das Ergebnis samt der Originalmusik ist unter anderem auf Blu-ray erschienen (ab 17,99 €).