Warum Flüge nach Ostasien den "Mittelkorridor" nehmen
Seit dem Ukraine-Krieg vermeiden westliche Airlines den russischen Luftraum. Will man nicht die Polarroute nehmen, hilft Kasachstan. Dort ist viel los.
Flugzeug in der Cruising-Phase: Es geht auch ohne Russland.
(Bild: aapsky/Shutterstock.com)
Wer früher nach Ostasien flog, beispielsweise nach Japan, Südkorea oder ins chinesische Shanghai, konnte auf der beliebten Moving-Map des In-Flight-Unterhaltungssystems beobachten, wie lange man über Russland schwebte. Doch seit Februar 2022 ist alles anders. Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs sperrte Europa seinen Luftraum für russische Maschinen – und die Russische Föderation im Gegenzug ihr gigantisches Staatsgebiet für westliche Flugzeuge.
Das Ergebnis: die Flugzeit verlängerte sich je nach Verbindung um 1,5 bis 2,5 Stunden. 17 Prozent länger ist man beispielsweise zwischen München und Seoul in der Luft. Ein Flug von Paris nach Tokio dauert nun 13 Stunden – in der Holzklasse ein eher unangenehmes Reiseunterfangen. Waren Piloten zuvor über Stunden mit der russischen Luftraumüberwachung in Kontakt, bleibt es nun beim "Njet". Doch wie wird der Umweg konkret realisiert? Je nach Richtung und Wetterlage ergeben sich zwei neue Hauptrouten: die traditionsreiche Polarroute und der sogenannte Mittelkorridor. Und besonders auf letzterem ist inzwischen sehr viel los.
2187 Kilometer über Usbekistan und Kasachstan
Seit Sommer wurde die sogenannte Route T916 etabliert, eine Kooperation der usbekischen und kasachischen Flugbehörden. Der sogenannte Mittelkorridor war eigentlich nur als Landweg bekannt, eine relativ schnelle Verbindung zwischen China und Europa, die nicht über russisches Territorium führt. Die Volksrepublik wird dabei über Zentralasien, den Südkaukasus und das Schwarze Meer mit der EU verbunden. Doch Usbekistan und Kasachstan wollen auch in der Luft davon profitieren. Mit T916 und seinen Vorgängern hat sich der Luftverkehr allein über Kasachstan schon kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine mehr als verdreifacht.
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T916, gestartet am 22. Juli, umfasst insgesamt 2187 Kilometer, 437 davon über Usbekistan, 1750 über Kasachstan. Die Idee dafür kam von Airline-Seite und die Luftüberwachungsbehörde UzAeroNavigation aus Usbekistan stimmte ebenso zu wie die Kollegen der Kazaeronavigatsia aus Kasachstan. Dort versprach man sich dank der geteilten Aufgabe mit Usbekistan auch etwas weniger Arbeit. Die Route ist mittlerweile als zu präferierende Strecke in den Katalog der International Civil Aviation Organization (ICAO) aufgenommen worden. Nach Luftfrachtgesellschaften wie Cargolux, Lufthansa Cargo oder Nomad Aviation gingen nun auch die Passagierlinien auf Kurs. "Diese Strecke bietet eine zusätzliche Option für Flüge zwischen Europa und Südostasien“, so die Pressestelle des kasachischen Verkehrsministeriums.
Rumänien, Georgien, Aserbaidschan – und von Kasachstan direkt nach China
Auf unserem Beispielflug von Paris nach Tokio bedeutet dies zunächst einen längeren Flug über das EU-Gebiet, bis es dann hinter Rumänien über das Schwarze Meer weitergeht. Anschließend fliegt man über Georgien und Aserbaidschan zum Kaspischen Meer, um dann nach Kasachstan einzutauchen. Ein kurzer Abschnitt wird noch über usbekisches Staatsgebiet zurückgelegt, bevor es länger über Kasachstan und dann nach China – mit kurzem Überflug der Mongolei – geht. Der Anflug nach Tokio erfolgt schließlich über Südkorea: Fertig ist die Route, ganz ohne Putins Russland zu touchieren. Flugzeit: Ziemlich genau 13 Stunden.
Der Rückflug ist hingegen noch deutlich wilder. Hier wird gerne die sogenannte Polarroute verwendet, die sich aufgrund der vorherrschenden Windsituation anbietet. Sie dauert mit 14,5 bis 15 Stunden noch länger als die Gegenrichtung. Die Strecke führt über Alaska, das kanadische Territorium Nunavut und Grönland – sowie je nach Wetterlage Island oder Spitzbergen – zurück nach Europa. Am stärksten zu leiden an der andauernden Kriegssituation hatte übrigens Finnair. Die finnische Airline hatte sich auf das Asiengeschäft via Helsinki spezialisiert und kann nun schon seit fast drei Jahren nicht mehr über den russischen Luftraum fliegen. Zwischenzeitlich fürchtete die Airline, buchstäblich ganz auf der Strecke zu bleiben. Auch hier nutzt man nun die Nord- und Südstrecke, ist mit Flugzeiten zwischen 12 und 13 Stunden konfrontiert. Ein ganz anderes Problem, das die Polarroute mit sich bringt, ist die Internetversorgung an Bord. Da um den Polarkreis nur wenige Menschen leben, fehlen dort auch die notwendigen Satelliten. Finnair verkaufte den Dienst daraufhin einfach lange nicht. Andere Airlines tun das trotzdem – entnervte Kunden müssen sich dann gegebenenfalls eine Rückerstattung holen.
(bsc)