Frauen in Tech-Teams: Divers läuft es besser
Seite 2: Die Kultur aktiv umgestalten
Um die Kultur in unseren Tech-Teams anders zu gestalten, müssen wir uns erst einmal bewusst machen, was es überhaupt zu verändern gilt. Und dann kann jede und jeder Einzelne von uns kleine Schritte gestalten, die auf eine Zukunft hinarbeiten, in der wir uns in unserer Arbeit mit Tech wirklich auf Augenhöhe begegnen. Ein gesellschaftliches Thema, das sehr viel größer ist als unser derzeitiger Arbeitsplatz. Wir können sehr bewusst auf die nächste Generation zugehen und zum Beispiel bei unseren Kindern, Nichten und Neffen Interessen fördern, die nicht geschlechtstypisch sind. Wir alle können sichtbar machen, wie viel Spaß es macht, mit Software und Technologie neue Lösungen zu bauen. Kinder – ganz unabhängig von ihrem Geschlecht – haben eines gemeinsam: Sie sind Meister und Meisterinnen darin, kreative Lösungen zu allen möglichen Problemen zu finden. Und Technologie ist ein Werkzeug, mit dem man kreative Lösungen umsetzen kann.
In der IT sehe ich insbesondere durch GenAI und No-Code-Tools echte Chancen, die Einstiegshürden zu senken. Um einen GenAI-Chat zu bedienen, um damit alle möglichen – auch technischen – Lösungen für Probleme zu finden, braucht es nur einen gekonnten Umgang mit Sprache und ein paar einfach zu lernende Prompting-Techniken. Und nach einer kurzen Einführung in ein No-Code-Tool kann jeder einfach und spielerisch einen technischen Prototyp bauen. Dadurch eröffnet sich das Potenzial sehr schnell, auch komplexe technische Probleme zu lösen, und es nimmt die Angst, erst sehr gut programmieren lernen zu müssen, um zum Beispiel eine einfache App zu bauen, den Spaß am Programmieren zu finden und sich letztendlich auch einen Job in einem technischen Team zuzutrauen.
Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wir aber auch in unseren Unternehmen gefordert, aktiv eine Kultur zu schaffen, die Vielfalt nicht nur toleriert, sondern fördert. Das schließt etwa Trainingsprogramme zur Sensibilisierung, das Erkennen von Vielfalt als strategischem Erfolgsfaktor und die bewusste Förderung von Frauen mit ein. Diese sehen sehr schnell, ob Diversität und Inklusion im Führungsteam ehrlich vertreten, vorgelebt und klar kommuniziert werden. Hierzu tragen wir alle mit unserem eigenen Verhalten und unseren eigenen Entscheidungen bei.
Es reicht allerdings nicht aus, dass wir uns bewusst machen, was wir verändern wollen. Unternehmen müssen sich passende Ziele zur Diversität setzen und regelmäßig Daten und Feedback von Mitarbeitenden einholen, um zu verstehen, wie inklusiv das Arbeitsumfeld tatsächlich ist. Anonyme Umfragen und Fokusgruppen können hierbei wertvolle Einblicke liefern. Harte Daten wie zum Beispiel der Anteil weiblicher Mitarbeitender in technischen Berufen und in technischen Führungsrollen machen sichtbar, wie es um die Diversität in der Praxis im eigenen Unternehmen bestellt ist. Im Gespräch mit den betroffenen Gruppen im Unternehmen lassen sich effektiv Gründe und Ideen für Maßnahmen erarbeiten, um eine gelebte Kultur der Gleichberechtigung zu gestalten.
Gezielte Fragen zum Status Quo in Ihrem Unternehmen helfen dabei, sich einen Eindruck bezüglich der Diversität zu verschaffen, die Gründe zu analysieren und dann Ideen für Maßnahmen zu erarbeiten, um Veränderungen auf den Weg zu bringen.
- Wie divers und inklusiv ist Ihr Arbeitsumfeld?
- Hat Ihr Unternehmen ein Ziel von 50 Prozent weiblichen Mitarbeitenden in technischen Berufen und FĂĽhrungsrollen schon erreicht?
- Gibt es Softwarearchitektinnen?
- Wie ausgewogen ist das Recruiting, wie transparent erfolgen Beförderungen?
- Gibt es in Ihrem Unternehmen Gespräche dazu, welche ethischen Fragen in Ihrem Kontext wichtig sind?
Und womit fangen Sie an?
Ausgewogenes Recruiting und gezielte Beförderungen
Ein wichtiger Punkt sind die Rekrutierungs- und Beförderungsprozesse. Oftmals werden darin unbewusste Vorurteile nicht erkannt, was dazu führt, dass Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen (zum Beispiel Menschen aus Arbeiterfamilien, Menschen mit nicht weißer Hautfarbe, Migrantinnen oder Muslimas mit Kopftuch) nicht die gleichen Chancen erhalten.
(Bild: builtin.com)
Als Führungskraft bei eyeo GmbH hatte ich meinen Recruitern sehr klar kommuniziert, dass ich die gleiche Anzahl weibliche wie männliche Bewerber:innen als Vorschlag für tatsächliche Gespräche sehen will. Meine Recruiter waren über den zusätzlichen Aufwand im Sourcing nicht begeistert, haben es aber immer geschafft, einen ausgewogenen Bewerberpool in der engeren Auswahl vorzustellen. Dabei hat es sicher geholfen, dass Bewerberinnen schon auf unserer Website sehen konnten, dass wir viele Frauen in Führungspositionen hatten. Für die Frauen im Bewerberpool ist das ein starkes Signal, dass die Kultur des Unternehmens Frauen in Führungsrollen fördert.
Anonymisierte Bewerbungsverfahren können helfen, Vorurteilen entgegenzuwirken, nützen aber bei einem hauptsächlich männlichen Bewerberpool nicht, ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter in den Interviews zu erreichen. Das führt dann am Ende zwangsläufig zu weiterhin überwiegend männlichen Engineering Teams. Frauen bewerben sich in der Regel nur auf Stellenausschreibungen, bei denen sie 100 Prozent aller geforderten Kriterien erfüllen und weitere, passende Kenntnisse besitzen. Es hilft daher, bereits in der Stellenanzeige explizit zu machen, dass man sich Bewerbungen von Frauen und diversen Personen wünscht, die eine Herausforderung in der neuen Rolle suchen, auch wenn sie noch nicht 100 Prozent aller Kriterien erfüllen.
Auch bei Beförderungen innerhalb eines Unternehmens werden Männer häufig nach ihrem Potenzial, Frauen hingegen nach "Erfüllen aller Kriterien" berücksichtigt. Transparente und klar definierte Kriterien für Beförderungen sind daher eine entscheidende Voraussetzung, um ein Mindestmaß an Fairness zu gewährleisten.
Auch in diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, dass Frauen sich oft erst bei mehr als 100 Prozent Erfüllung der Auswahlkriterien zutrauen, sich auf offene (interne) Stellen zu bewerben, während Männer in der Regel schon ab 60 Prozent ihr Interesse anmelden (Confidence Gap). Es sollte daher erklärtes Ziel sein, Frauen zu ermutigen, sich intern auf Stellen zu bewerben, die sich für sie selbst noch als "zu groß" anfühlen. Führungskräfte müssen dazu auch die eigene Einstellung regelmäßig hinterfragen, um nicht unbewusst der Annahme zu verfallen, das Potenzial der Frauen im eigenen Team reiche nicht, um den nächsten Karriereschritt zu gehen.
Mentorship- und Sponsorship-Programme, die gezielt Zugang zu Mentoren und Mentorinnen sowie Sponsoren und Sponsorinnen innerhalb des Unternehmens bieten, können Karrierechancen erheblich verbessern. Solche Programme sollten formell etabliert und regelmäßig evaluiert werden, um ihre Effektivität sicherzustellen. Dabei kann man besonders darauf achten, ob weibliche Angestellte diese Angebote auch wahrnehmen. Wenn nicht, gilt es herauszufinden, warum – idealerweise durch direktes Befragen der Frauen im eigenen Unternehmen.
Wer darf im Unternehmen mitgestalten und mitentscheiden?
Frauen wollen und verdienen gleichberechtigten Zugang zu strategisch wichtigen Projekten und Entscheidungsprozessen. Oftmals werden Frauen diese Gelegenheiten nicht angeboten oder zugetraut, was ihre Karriereentwicklung behindert.
Im Kern geht es hier um Macht. Wer darf entscheiden? Wer hat Zugriff auf Ressourcen? Wer darf Budget vergeben? Ein Blick auf die Entscheidungsprozesse und die dazugehörigen Organisations-Charts ist da oft sehr erhellend: Sind in den mächtigsten Stellen zu Budgetverantwortung und strategischen Entscheidungen Frauen oder Männer platziert? Sind Principal Engineer, CTO oder Head of Engineering Männer oder Frauen? Am Ende haben diese Positionen mehr Einfluss, Macht und Entscheidungsbefugnisse als andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Team.
Wie lässt sich sicherstellen, dass die Vergabe von Projekten transparent und nachvollziehbar ist? Werden Frauen aktiv ermutigt, sich auf diese Projekte zu bewerben? Gibt es eine offene Kommunikation über verfügbare Projekte und die Qualifikationen, die für diese benötigt werden? Oder werden Entscheidungen bei einem Feierabendbier in kleiner Runde getroffen, zu der die Frauen im Unternehmen entweder nicht eingeladen werden oder an denen sie aus zeitlichen Gründen nicht teilnehmen können?
Wie kann sichergestellt werden, dass Frauen in wichtigen Entscheidungsprozessen vertreten sind? Welche sind überhaupt die wichtigen Entscheidungen, die es zu treffen gilt? Wo, wann und von wem wird entschieden? Gerade in traditionell hierarchischen Unternehmen mit wenigen Frauen in der Rolle einer CEO, CTO oder CFO oder einer Ebene darunter in Rollen wie eines VP Engineering oder einer Tech-Teamleitung sind oft nicht genug Frauen vertreten, um weibliche Perspektiven in Entscheidungen einfließen zu lassen. Hier lohnt es sich, Wege zu finden, Frauen trotzdem an diesen Entscheidungsprozessen zu beteiligen – um so direkt einen Zugang und Interesse für die Führungsrollen zu wecken, die diese Entscheidungen am Ende zu verantworten haben.
Das könnte zum Beispiel im Rahmen eines Pairing mit einer Führungskraft geschehen. Das lehnt sich an die Ideen des Pair Programming an, in dem ein klarer Vorteil ist, dass zwei Köpfe Probleme besser lösen als einer allein. Diese Pairings lassen sich bewusst so gestalten, dass Frauen von Männern und Männer von Frauen als Mentorinnen und Mentoren begleitet werden. Und falls es im betreffenden Unternehmen nicht genug weibliche Matches gibt, lassen sich diese alternativ extern finden – etwa über den womentech Career and Talent Hub oder den Women In Tech Hub.