Fruchtbarkeits-CEO testet ihr eigenes Medikament für schnellere Eizell-Reifung

Seite 2: Von wollhaarigen Mammuts zu weichhäutigen Babys

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Ebenso wichtig für Church war ein zweites Forschungsprojekt: Ein Student hatte damit begonnen, Wollhaarmammut-Gene in Elefantenzellen einzuschleusen. Church will die ausgestorbenen Dickhäuter wiederauferstehen lassen, doch dazu wären möglicherweise Tausende von Elefanten-Eizellen erforderlich. Der einzige Weg, um sie zu bekommen, war ihre Herstellung.

Das hat sich für Säugetier-Eizellen allerdings als äußerst schwierig erwiesen. Gelungen ist es bisher nur bei Mäusen, sonst aber noch bei keiner anderen Tierart. Ein Teil der Schwierigkeit liegt in der schieren Größe der Eier, die etwa 8.000-mal größer sind als ein weißes Blutkörperchen. 2022 gelang es dem Church-Labor allerdings, aus Stammzellen verschiedene Bestandteile des Eierstocks herzustellen: insbesondere Granulosazellen, die jede Eizelle in ihrem Eibläschen umgeben, Östradiol ausschütten und eine Schlüsselrolle bei der Übermittlung von Reifungssignalen an die Eizelle spielen.

Wie sich herausstellte, benötigte Gameto genau diese Technologie, um Eizellen in einer Petrischale reifen zu lassen. Also lizenzierte das Unternehmen die Patentrechte von Harvard und stellte auch einen von Churchs Studenten, Christian Kramme, als Vizepräsident für Zelltechnik und für die Leitung der wissenschaftlichen Bemühungen ein.

Radenkovic zufolge wird das Fertilo genannte Produkt des Unternehmens im Wesentlichen ein Röhrchen mit gefrorenen Granulosazellen sein, die um eine Eizelle herum gestreut werden können und dessen Entwicklung unterstützen. Wie das Gameto-Team in der Fachzeitschrift "Human Reproduction" berichtet, hatte die Zugabe dieser Zellen zu einer Petrischale signifikante positive Auswirkungen auf die Eizellen, so dass mehr von ihnen erfolgreich heranreiften.

Fotografien des Prozesses zeigen Eikomplexe (so genannt, weil sie noch von schützendem Gewebe umhüllt sind) mit den Granulosazellen, die wie kleine Satzzeichen um sie herum erscheinen. Obwohl die Details der Funktionsweise nicht ganz klar sind, scheint es, dass der molekulare Austausch zwischen diesen Stützzellen und den Eizellen dazu beiträgt, dass sie ihre Reifung in geordneter Weise beenden.

Radenkovic hat selbst an der Studie teilgenommen, um zu sehen, wie sie sich mit ihrem beruflichen Zeitplan vereinbaren lässt. "Ich werde es niemandem als Wellness-Tag empfehlen; es ist immer noch ein medizinisches Verfahren", sagt sie. "Aber ich hatte das Gefühl, dass ich es in meinen vielbeschäftigten Lebensstil als Geschäftsführerin eines Start-ups, die sehr viel arbeitet, integrieren kann."

Als Radenkovic sich vor einem knappen Jahr der Behandlung unterzog, hatte sie gerade wichtige Meilensteine für ein junges Unternehmen erreicht und eine neue Führungskraft geworben: Sie hatte einen Beirat eingestellt und Investorengelder eingeworben. Doch so einige ihrer Kontakte wussten nicht, dass sie zur selben Zeit an dem Experiment teilgenommen hatte, und hatten das Instagram-Selfie nicht bemerkt, das sie lächelnd und in einem Krankenhauskittel aus einem Behandlungszimmer gepostet hatte. "Das ist wie Elon, der in eine Rakete steigt. Das bedeutet, dass sie meiner Meinung nach ein knallharter Typ ist", sagt Joe Betts-LaCroix, ein Angel-Investor des Unternehmens, der das Biotech-Unternehmen Retro Biosciences leitet.

Während der Studie achtete Randenkovic besonders darauf, wie gut sich die Lösung von Gameto mit ihrer Arbeit und ihrer Zeit als Unternehmerin, die Vorträge hält und Seminare zum Thema Langlebigkeit leitet, vereinbaren lässt. Als Nachteile zählte sie eine tränenreiche, emotionale 24-Stunden-Phase auf, in der sie Sitzungen schwänzte, und ein Nachmittag mit Verstopfung, die durch die Medikamente ausgelöst wurde. Hinzu kam eine medizinische Prozedur im Krankenhaus, bei der ein Arzt mit einer Sonde die unreifen Eizellen abkratzte, was eine Betäubung erforderte und einen schmerzhaften nächsten Eisprung verursachte.

"Ich hatte also einen halben Tag Arbeitsausfall und einen Tag, an dem ich sagen würde, dass meine Produktivität bei der Arbeit nicht optimal war", bilanziert Radenkovic. "Deshalb glauben wir, dass diese Technologie, die eine IVF von zwei Wochen, hohen Kosten und medizinischen Risiken auf etwas reduziert, das man an einem Wochenende durchführen kann, ein großer Durchbruch ist."

Außenstehende Experten sind da weitaus vorsichtiger und mindestens einer hat Radenkovic für ihre übertriebenen Behauptungen gerügt. Dem Magazin "New Yorker" sagte sie, sie könne sich vorstellen, dass die Eizellentnahme irgendwann in einem "Kiosk zum Einfrieren von Eizellen" durchgeführt werden könnte. Im Moment ist das Gameto-Verfahren jedoch noch mit Medikamenten und Injektionen verbunden, es ist also eine Mischung aus der Reifung von Eizellen im Körper und im Labor.

Darüber hinaus ist die In-vitro-Eizellreifung keine neue Idee. Sie wird seit den 1940-er Jahren erforscht, und einige IVF-Kliniken verwenden sie meist für Patientinnen mit medizinischen Problemen, die sie daran hindern, eine vollständige Hormonbehandlung durchzuführen. Michel De Vos, medizinischer Leiter der belgischen Klinik BrusselsIVF, schätzt, dass die Labormaturation in weniger als einem von 20 IVF-Fällen angewendet wird.

Der Grund dafür, dass diese Methode nicht häufiger zum Einsatz kommt, liegt darin, dass sie bei der Babyzeugung einfach weniger effektiv ist – etwa 35 Prozent weniger. Denn das Verfahren, so wie es heute praktiziert wird, bringt tendenziell weniger Eizellen hervor, die sich dann seltener erfolgreich zu einem Embryo entwickeln.

Das System von Gameto sieht De Vos zufolge allerdings vielversprechend aus. Es übertreffe die Standardmethoden für die In-vitro-Reifung deutlich und entspricht anderen innovativen Techniken in der Entwicklung. Allerdings übertreffe es immer noch nicht die Standard-IVF-Methode, bei der die Eizellen im Körper eines Menschen heranreifen. "Ich denke, wir müssen die Effizienzlücke schließen, bevor wir über eine breite Anwendung sprechen können“, sagt De Vos. "Es sind noch viele Schritte zu tun, bevor dieses System in großem Maßstab eingesetzt werden kann."

Wenn es sich jedoch verbessert, sieht De Vos durchaus einen Markt für Frauen, die ihre Eizellen einfrieren, um die Chance auf eine spätere Schwangerschaft zu wahren. Das sind in den USA etwa 24.000 Frauen pro Jahr. Eine etwa gleich große Zahl erklärt sich bereit, ihre Eizellen zu verkaufen, damit andere Paare sie nutzen können – Spenderinnen, die De Vos als junge Frauen bezeichnet, "die bereit sind, sich einer Eizellentnahme zu unterziehen und dafür etwas Geld zu bekommen". Wobei sie hinzufügt, dass "der schwierigste Teil zwei Wochen Hormoninjektionen sind". Für beide Gruppen könnte ein vereinfachtes Verfahren attraktiv sein. "Bequemlichkeit – das ist es, was interessant ist", sagt De Vos.

Auch aus diesem Grund wettet Radenkovic darauf, dass Gametos Technologie auf dem wachsenden Markt für das Einfrieren von Eizellen "einflussreich" sein wird. "Wenn man sich als Frau einer IVF-Behandlung unterzieht, möchte man ein Baby haben. Man hat also einen starken Wunsch, selbst einen schwierigen Prozess zu durchlaufen. Dazu hat man oft, aber nicht immer, die emotionale und finanzielle Unterstützung eines Partners. Man nimmt es also irgendwie in Kauf", sagt sie. "Wenn man hingegen Eizellen einfriert, hält man sich alle Optionen offen."

In Gametos Studie wurden einige der entnommenen Eizellen auch mit Spermien aus einer Spenderbank befruchtet, um ihr Potenzial zur Bildung von Embryonen zu testen. Einige entstanden auch aus Radenkovics Eizellen. Obwohl sie nur aus ein paar hundert Zellen bestanden, waren sie technisch gesehen ihre Nachkommen, die später vernichtet wurden. Auf die Frage, ob sie persönlichen Gefühle für die Embryos hatte, antwortete Radenkovic nicht direkt. Aber sie stimmte zu, dass es ein wichtiges Thema sei.

Es sei um die Abwägung möglicher Schäden und Vorteile gegangen. Das Unternehmen musste mit einer Reihe von Tests nachweisen, dass die Embryonen gesund waren. Ohne diese Informationen wäre es nicht in der Lage, den nächsten Schritt zu tun: ein Baby entstehen zu lassen. Gleichzeitig seien aber so wenige Embryonen wie möglich hergestellt worden. Dieser Teil des Experiments wurde abgebrochen, sobald die gesammelten Daten die statistische Signifikanzschwelle überschritten. "Jetzt fühlen wir uns viel wohler", sagt Radenkovic. "Es ist so, dass die [Methode] kein Risiko für die Mutter oder ihre Nachkommen darstellt." Auch bei anderen Methoden der In-vitro-Reifung wurden keine schädlichen Auswirkungen auf die Kinder festgestellt, die damit geboren wurden.

Bisher scheinen nur wenige Experten wegen Fertilo besorgt zu sein. Durch das Hinzufügen von manipulierten Zellen hat Gameto jedoch einige neue Fragen aufgeworfen, warnt Paul Knoepfler, Stammzellenforscher an der Universität von Kalifornien in Davis. Es könnten unerwartete Veränderungen im Epigenom der Eizellen auftreten, also in jenem molekularen Steuerungsmuster für die Gene, das bei der Befruchtung teilweise zurückgesetzt wird. Auf die-Gameto-Art erzeugte Embryonen "scheinen in Ordnung zu sein, sind es aber möglicherweise nicht“, so Knoepfler. "Epigenetische Veränderungen könnten später zu gesundheitlichen Problemen führen." In der IVF-Industrie gibt es jedoch keine wirkliche Möglichkeit zu sehen, was passiert, außer Babys zu machen. "Um festzustellen, ob die Methode wirklich sicher ist, müsste man sie trotz aller Unwägbarkeiten irgendwann einfach ausprobieren", sagt Knoepfler.

Das wird wahrscheinlich sehr bald geschehen. Laut Radenkovic hat das Unternehmen Gespräche mit der US-Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) darüber aufgenommen, welche Studien für die Zulassung des Produkts in den USA erforderlich sind. In der Zwischenzeit arbeitet Gameto jedoch mit Ärzten außerhalb der USA zusammen. Eines der beteiligten Zentren in Übersee ist die Concebir-Pranor-Klinik in Peru. Sie spielte eine Rolle in der Eizellenstudie von Gameto und plant nun, Lebendgeburten mit Eizellen zu versuchen, die mit Fertilo behandelt wurden.

"Wir haben Patientinnen, die ihr Einverständnis gegeben haben, und prüfen, ob sie die Kriterien des Protokolls erfüllen", sagten Klinikärztin Silvia Ortiz und Embryologe Luiz Guzman in einer E-Mail an MIT Technology Review. "Wir planen, die ersten Transfers gegen Ende des Jahres durchzuführen."

Radenkovic hatte noch eine weitere Überraschung zu verkünden: die Nachricht über ihr eigenes Baby. Es hatte nichts mit dem Experiment des Unternehmens zu tun, aber im Frühsommer dieses Jahres erfuhr sie, dass sie schwanger war. Dazu war es auf die altmodische Art und Weise gekommen. Radenkovic befindet sich jetzt im zweiten Trimester. "Ich freue mich natürlich sehr darüber. Ich werde das und die Rolle als CEO unter einen Hut bringen“, sagt sie. "Ich möchte die weibliche Stimme sein, die es Frauen ermöglicht, nicht diesen Kompromiss zwischen Karriere und Kindern einzugehen."

(jle)