Gegrillte Mäuse, fliegende Turbinen

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Auftraggeber für solche Untersuchungen ist nicht allein das Mutterhaus Allianz – mit ihm macht das AZT nicht einmal die Hälfte des Umsatzes -, sondern auch andere Unternehmen und Konkurrenten aus der Versicherungsbranche. Dabei begeben sich die Gutachter stets in einen Interessenkonflikt zwischen der Wahrheitsfindung und den wirtschaftlichen Interessen des Geldgebers. Dass sich daraus "versicherungsfreundliche Gutachten unter Vernachlässigung der Fakten" ergeben, will Peter Schildhauer, Brandsachverständiger am AZT, zwar "nicht grundsätzlich ausschließen"; vor Gericht werde aber ein schwaches Gefälligkeitsgutachten sehr schnell als solches erkannt.

Viele AZT-Instrumente treten ohnehin bereits in Aktion, bevor der erste Schaden auftritt. Über zehn Jahre hinweg haben AZT-Ingenieure beispielsweise die Vibrationen der Turbine eines Kernkraftwerkes gemessen. Dabei lernten sie das Aggregat so gut kennen, dass sie allein anhand veränderter Schwingungen 19 verschiedene Probleme diagnostizieren können. So kann die Maschine gewartet werden, bevor größere Schäden auftreten. Eine mobile Version der Schwingungsdiagnostik passt in einen Reisekoffer und kann ambulant Hinweise auf das Innenleben der Maschine geben, ohne dass sie auseinandergenommen werden muss.

Etwa die Hälfte aller Schäden, schätzt das AZT, entsteht aus dem Zusammenspiel von Mensch und Technik. "Durch den Personalabbau treten in den letzten Jahren plötzlich wieder Schäden auf, die wir schon glaubten im Griff zu haben", sagt Industrie-Chef Cleemann. Deshalb nimmt das AZT bei der Risikobewertung auch die Firmenstruktur in Augenschein. Wenn etwa der Sicherheitschef dem Produktionsleiter unterstellt ist, sei das schon einmal kein gutes Zeichen – "das letzte Wort darüber, ob ein Kessel abgeschaltet wird oder nicht, darf nicht der Produktionsleiter haben". Eine weitere Fehlerquelle sind ungeschriebene Regeln, die aus praxisfremden Vorschriften entstehen. Wenn die AZT-Berater einen Betrieb besuchen, versuchen sie, durch Interviews solche ungeschriebenen Regeln zu entdecken. Als wichtigstes Handwerkszeug, solche Schwachstellen aufzudecken, nennt Cleemann "Checkliste und Intuition". In den frühen 1970er-Jahren stand die Versicherungswirtschaft wieder vor einem ähnlichen Problem wie nach dem Ersten Weltkrieg. Dieses Mal war der Verursacher nicht die Industrie, sondern die Autobranche. Mangels Herstellervorgaben wurden die Reparaturkosten "relativ üppig kalkuliert", wie es die AZT-Chronik formuliert.

Die Folge: 1970 erreichten die Schadenshöhen einen historischen Höchststand, der der Kfz-Sparte der Allianz 154 Millionen Mark Verlust einbrachte. 1971 wurde deshalb der Automobilbereich als zweite Säule des AZT ausgegliedert. Das wichtigste Arbeitsmittel von AZT Automotive befindet sich im Keller. Dort ist eine Crashbahn, die Autos mit 15 km/h und 40 Prozent Überdeckung gegen eine Barriere fährt. Damit sollen typische Auffahrunfälle im Stadtverkehr simuliert werden. Anschließend werden die Wagen in der AZT-eigenen Werkstatt streng nach Herstellervorgaben repariert und lackiert, wobei genau über Arbeitszeit und Ersatzteilkosten Buch geführt wird. Das Ergebnis entscheidet mit darüber, in welche Kasko-Typenklasse ein neu auf den Markt gekommenes Auto eingestuft wird. Diese Zuordnung ist ein mächtiger Hebel, mit dem die Versicherungswirtschaft Einfluss auf die Autobauer nehmen kann. "Wer in Deutschland Autos baut, kommt am AZT nicht vorbei", sagt Christoph Lauterwasser, Leiter von AZT Automotive, selbstbewusst, "die Hersteller müssen Versicherungskosten genauso optimieren wie ein Bauteil."

Der AZT-Crashtest wurde vom Research Council for Automobil Repairs, einem internationalen Zusammen- schluss der Versicherungs-Forschungszentren, als Standardverfahren übernommen. Dieser Erfolg erwies sich allerdings als Bumerang, denn die Autohersteller haben seitdem ihre Konstruktion genau auf diesen Test optimiert – schon leicht abweichende Auffahrunfälle lassen die Reparaturkosten in die Höhe schießen. Das AZT hat deshalb zusammen mit anderen Instituten einen realistischeren Test entwickelt, bei dem die Autos nicht mehr gegen eine hüfthohe Barriere gefahren werden, sondern gegen die Nachbildung einer Stoßstange in genau definierter Höhe.