Gegrillte Mäuse, fliegende Turbinen

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Ab 2010 soll dieser sogenannte Bumper- Test in die Typenklassenzuordnung einfließen. Das wird einen unmittelbaren Einfluss auf die Fahrzeugkonstruktion haben: Der Test ist nur zu bestehen, wenn die sogenannten Crashboxen – austauschbare Elemente aus vorgefalztem Blech, die möglichst viel Energie aufnehmen sollen – erstens auf einer einheitlichen Höhe angebracht sind und zweitens durch einen Querträger verbunden sind. Dass Letzteres heute keineswegs selbstverständlich ist, zeigt Lauterwasser in der Werkstatt. Dort wird gerade an einem seiner Heckschürze beraubten Nissan Qashqai herumgeschraubt – seine Crashboxen ragen als kleine Höcker einsam aus dem Blech.

Auf dem Weg zur Kostenoptimierung macht das AZT auch vor sehr detaillierten Anweisungen nicht halt. So haben seine Ingenieure gemeinsam mit anderen Experten eine "Ausbeulformel" entwickelt, nach der sich berechnen lässt, bei welcher Dellengröße etwa das Ausbeulen einer Tür preiswerter ist als ihr Austausch. Da solche Formeln in die Software einfließen, mit der Sachverständige den Schaden kalkulieren, können Werkstätten sich den Vorgaben kaum entziehen. "Wir arbeiten mit den Werkstätten zusammen, wir wollen nicht das Minimum herauskitzeln", beteuert Lauterwasser. Prinzipiell lobt auch der Zentralverband des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes in Person seiner PRReferentin Claudia Schiffer den "kollegialen Dialog", schränkt aber ein: "Natürlich war nicht alles, was vom AZT ausging, im Sinne des deutschen Kfz- Gewerbes." Um dem Vorwurf zu ent- gehen, Preisdrückerei auf Kosten der Sicherheit zu betreiben, fährt das AZT stichprobenartig gerade wiederhergestellte Autos erneut gegen die Wand. Das Ergebnis laut Lauterwasser: Durch eine fachgerechte Reparatur leidet die Festigkeit der Karosserie nicht.

Den enormen Einfluss der zerstörerischen Allianz-Techniker belegt auch die Tatsache, dass es das Kürzel des Zentrums bis in den deutschen Fahrzeugbrief geschafft hat – "Anerkannte Wegfahrsperre gemäß AZT/TUEV" ist dort unter Ziffer 34 zu lesen. Die Vorgeschichte: "In den neunziger Jahren ging die Diebstahlquote durch die Grenzöffnungen im Osten hoch. Dadurch stiegen die Vollkaskoprämien etwa für den Golf GTI über die Schmerzgrenze", erzählt Lauterwasser. Das AZT konterte mit der Forderung nach einer elektronischen Wegfahrsperre, die sich ohne Zutun des Fahrers aktiviert. Gegen den Widerstand der Autoindustrie setzten die Versicherungen das System durch, indem sie einen zehnprozentigen Abschlag für die Wiederbeschaffung von Fahrzeugen ohne eine solche Wegfahrsperre einführte; Neuwagen ohne dieses System wurden dadurch praktisch unverkäuflich.

Seit 1998 ist die elektronische Wegfahrsperre Pflichtausstattung für alle Neufahrzeuge innerhalb der EU. "Heute sind wir wieder auf dem Diebstahlniveau der achtziger Jahre", freut sich Lauterwasser. Dürfen Autofahrer also mit sinkenden Prämien rechnen? Lauterwasser möchte sich da nicht festlegen. Einerseits widerspricht er dem Eindruck, moderne Autos seien durch große, in Wagenfarbe lackierte Kunststoffschürzen zu Parkrempler- Mimosen geworden. Im Gegenteil: "Tendenziell sind die Reparaturen preiswerter geworden, weil die Schäden nicht mehr so tief in die Struktur gehen." Um das zu belegen, hat das AZT einen Golf II aus den achtziger Jahren und einen aktuellen Golf V unter identischen Bedingungen gegen die Wand gefahren. Die Reparatur des Golf II schlug mit 5800 Euro, die des neuen Modells mit 2600 Euro zu Buche.

Andererseits gibt es auch gegenläufige Trends, die Reparaturen verteuern: modisch kurze Radüberhänge, teure Einparkhilfen und Abstandsradars in den Front- und Heckschürzen sowie neue, hochfeste Werkstoffe, die die Reparatur verkomplizieren. "Die Unfallfrequenz wird sinken, die Schadenshöhe wird durch komplexere Fahrzeuge konstant bleiben oder leicht sinken", wagt Lauterwasser eine Prognose. Auch sein Industrie-Kollege Cleemann sieht den Ausblick auf die Risikolandschaft zwiespältig.

Zwar sei das Risikomanagement der Unternehmen in den letzten Jahren professioneller geworden, doch ein zunehmendes Problem seien nichtlineare Risiken wie Terroranschläge und Naturkatastrophen: Die Wahrscheinlichkeit, von einem solchen Ereignis unmittelbar betroffen zu sein, sei zwar relativ gering, doch die Folgen könnten eine ganze Volkswirtschaft erschüttern. "Um solche Risiken zu erfassen, spielen Kreativität und Fantasie eine große Rolle. Das größte Defizit bei Unternehmen ist mangelndes Vorstellungsvermögen", sagt Cleemann. Insgesamt aber sei der Umgang mit Technik deutlich sicherheitsbewusster geworden "So etwas wie Asbest", sagt er optimistisch, "würde sich heute nicht wiederholen." (bsc)