Gehaltstransparenz bei Innogames: "Erwartungsmanagement auf beiden Seiten"

Als erste große Spielefirma legte Innogames Gehälter offen. HR-Chef Andreas Lieb hat mit heise online über Transparenz und Kritik aus der Branche gesprochen.

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Meeting-Raum bei Innogames.

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Ein Junior-Entwickler verdient bei Innogames 48.000 bis 58.000 Euro im Jahr, ein Regular Game Designer startet bei 42.000 Euro, ein Senior System Admin kann bis zu 98.000 Euro verdienen. Im vergangenen Sommer ist das Hamburger Entwicklerstudio den für die Branche einzigartigen Schritt gegangen, die Gehälter seiner Mitarbeiter zu veröffentlichen.

In der notorisch verschwiegenen Spielebranche müssen Angestellte die Gehaltsdebatte üblicherweise in Eigenregie führen. Die Offenheit von Innogames, mit 430 Mitarbeitern der viertgrößte Gaming-Arbeitgeber in Deutschland, war ein Tabubruch. Nachahmer gibt es bis heute nicht. Dabei hat die Tochter der schwedischen MTG Group gute Erfahrungen gemacht: 19 offene Vollzeitstellen waren nach der Gehaltsveröffentlichung flott besetzt, auch das große Medienecho dürfte Innogames gefallen haben.

Als Leiter der Personalabteilung von Innogames hat Andreas Lieb die Entscheidung, mit den Gehältern an die Öffentlichkeit zu gehen, entscheidend mitgetragen. Auf der Hamburg Games Conference diskutiert Lieb am 2. März über die Vorzüge der Gehaltstransparenz. Heise online hat mit ihm im Vorfeld über neidische Konkurrenten, das "Kitzeln" an anderen Branchen und die Vier-Tage-Woche gesprochen.

Dr. Andreas Lieb

Dr. Andreas Lieb leitet die HR-Abteilung des Hamburger Spieleunternehmens Innogames. Vorher war er im Management von Unify und Siemens tätig.

Herr Lieb, mit der Veröffentlichung der Gehälter hat Innogames im vergangenen Sommer für ordentlich Wirbel in der deutschen Spielebranche gesorgt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Am Anfang war das ein internes Thema, wir haben uns schon seit Jahren mit dem Thema Fair Payment beschäftigt. Mit der Unterstützung externer Partner haben wir schließlich Gehaltsbänder gemäß den Marktgegebenheiten ausgearbeitet und unsere Mitarbeiter darin untergebracht. Wir haben diese Gehaltsbänder zuerst in unserer Firma veröffentlicht und nach den Rückmeldungen noch ein paar Anpassungen vorgenommen.

Nachdem die Gehaltsbänder standen, haben wir uns entschieden, auch öffentlich darüber zu sprechen. Die Frage nach den Gehältern wird im Bewerbungsprozess sowieso immer gestellt. Wenn wir sie von Anfang an beantworten, haben wir weniger Abbrüche im Bewerbungsprozess. Transparente Gehälter bedeuten Erwartungsmanagement auf beiden Seiten, auf Augenhöhe. Wir wollten unsere offenen Stellen so schneller besetzen – auch mit Personen, für die die Spielebranche vorher nicht infrage kam. Uns war es außerdem wichtig zu zeigen, dass es bei uns kein Gender-Pay-Gap gibt.

Auch intern haben die Gehaltsbänder sicher für Gesprächsstoff gesorgt.

Grundsätzlich gab es erst mal eine positive Rückmeldung. Dann hatten wir natürlich schon den einen oder anderen, der berechtigte Rückfragen hatte: "Warum ist denn der Artist in diesem Gehaltsband? Und warum ist der Game Designer so bewertet, wie kommt das?" Wir haben also schon noch etwas Erklärungsarbeit geleistet.

Was standen die Mitarbeiter zur Entscheidung, mit den Gehältern an die Öffentlichkeit zu gehen?

Da gab es keine Gegenwehr. Wir hatten im Rahmen unserer regelmäßigen internen Q&A-Sessions und Feedback Circles darüber gesprochen, dass wir uns das vorstellen können. Da hat sich niemand dagegen ausgesprochen, obwohl es die Option gegeben hätte. Extra noch mal abgefragt haben wir das vor der Veröffentlichung deswegen nicht.

Kritik kam aber aus der deutschen Spielebranche.

In Summe war das Feedback aus der Branche gemischt. Es gab einen Teil, der das mutig und toll fand, dass wir diesen Schritt gegangen sind. Manche haben uns gesagt, dass sie darüber auch schon intern diskutiert hatten. Andere haben die veröffentlichten Gehaltsbänder als reine Marketing-Maßnahme abgetan.

Und dann gab es noch Unternehmen, die ausdrücklich Kritik geübt haben. Das waren besonders kleinere Spieleunternehmen, die sich unter Druck gesetzt fühlten, weil sie selbst nicht so viel zahlen können.

Viele andere deutsche Spielefirmen können also weniger zahlen als Innogames. Gehen junge Menschen jetzt mit falschen Gehaltsvorstellungen in die Spieleindustrie?

So pauschal würde ich das nicht sagen. Einerseits hängt das Gehalt natürlich immer von der Größe des Unternehmens ab. Wenn ich jetzt das Unternehmen verlassen und in einen Konzern gehen würde, könnte mein Gehalt auch noch einmal ganz anders aussehen. Man muss sich eben mit Unternehmen in der gleichen Größenordnung vergleichen.

Fairerweise muss man auch sagen, dass am Ende auch das Gesamtpaket zählt, nicht nur das Gehalt. Da spielen viele andere Aspekte mit rein: In welcher Industrie will ich arbeiten? Welche Spiele will ich entwickeln? Welche Benefits gibt es? Wenn ich in einem kleineren Unternehmen arbeite, so bis 30 Leute vielleicht, dann habe ich vielleicht ein paar Euro weniger. Aber dafür habe ich vielleicht mehr Einfluss und andere Gestaltungsmöglichkeiten als bei einem größeren Haus, wo es mehr Struktur gibt. Oder ich fühle mich in einem kleinen Team einfach wohler. Das kann man mit Geld nicht aufwiegen.

Sie wollen auch Menschen für sich gewinnen, die die Spielebranche bisher gar nicht auf dem Schirm hatten. Also auch Angestellte von den großen Tech-Firmen wie Google, Meta oder Amazon?

Wir wollen die besten Tech-Leute haben. Also schauen wir nicht nur auf die Gamesbranche, sondern auch darauf, wie wir Leute von Google oder Meta oder irgendwelchen anderen Tech-Unternehmen zu uns locken können. Viele Leute spielen, kommen aber vielleicht gar nicht auf die Idee, sich im Spielebereich selbst zu bewerben. Mit unserer Gehaltstransparenz können wir uns auch für diese Leute attraktiv machen und ein bisschen an den anderen Industrien kitzeln.

Viele der angesprochenen großen Tech-Firmen haben jetzt Mitarbeiter entlassen, vorrangig in den USA. Sieht man das in Deutschland schon auf dem Bewerbermarkt?

Auch die Tech-Industrie, die in Deutschland sitzt, hat aktuell ihre Herausforderungen. Durch Corona ist man in den Boom gekommen, war auf einem sehr hohen Niveau. Und alle senken sich jetzt wieder ein wenig ab. Das ist einfach dieser Zyklus, der jetzt entsteht. Und der trifft die gesamte Tech-Industrie. Das heißt: Ja, es kommen jetzt wahrscheinlich mehr Bewerber an den Markt, aber keines der Tech-Unternehmen saugt diese Bewerber im Moment auf.

Kalifornische Firmen müssen seit Kurzem Gehälter in Stellenausschreibungen angeben. Die Spannen für einzelne Jobs sind dabei oft sehr weit gefasst. Auch bei Innogames ist die Bandbreite innerhalb der Gehaltsbänder sehr groß. Sind sie so überhaupt aussagekräftig?

Meistens, und so ist es auch bei uns, stecken hinter den Gehaltsspannen Karrieremodelle. Sie haben also unterschiedliche Stufen. Wenn Sie mal in den Tarifvertrag der IG Metall reingehen und sich dort bestimmte Gruppen ansehen, finden Sie dort auch riesige Gehaltsbänder. Wir haben so etwas auch: Junior, Regular, Senior und noch verschiedene Unterstufen. Da spiegelt sich dann auch ein gewisses Erfahrungs-, Wissens- und Leistungsniveau wider.

Die Inflation ist weiter vorangeschritten, seitdem Sie die Gehaltsbänder veröffentlicht haben. Haben Sie die Gehälter seitdem nach oben korrigiert?

Wir haben bei zwei oder drei Gehältern ein halbes Jahr nach Veröffentlichung noch mal eine Anpassung vorgenommen. Grundsätzlich sehen wir uns jedes Jahr die Marktdaten an und planen unser Budget entsprechend. Wir sehen also, ob die Gehälter am Markt steigen oder sinken. Unsere Entscheidung war, dass wir die Gehaltsbänder im Moment nicht anpassen müssen, weil die anderen Firmen auf dem Markt auch nicht mehr zahlen.

Bei Ubisoft in Paris wurde jüngst gestreikt. Eine der Forderungen: die Vier-Tage-Woche.

Wir haben eine Schwesterfirma innerhalb der MTG-Gruppe namens Hutch, die im UK sitzt und sich entschieden hat, testweise in die Vier-Tage-Woche zu gehen. Sie hat dann festgestellt, dass die Vier-Tage-Woche mit einigen Ausnahmen tatsächlich das Richtige für die eigene Unternehmenskultur ist. Wir selbst beobachten das Thema natürlich auch und haben uns die Erfahrungen von Hutch angeschaut.

Im Moment hat das Thema bei uns aber keine Priorität, wenn wir ehrlich sind. Es gibt zwar Anfragen von Mitarbeitern, aber aktuell sehen wir weder die Notwendigkeit noch den Mehrwert der Vier-Tage-Woche.

In den USA entstehen erste Betriebsräte und Gewerkschaften bei Spielestudios, in Deutschland schreitet die Organisation kaum voran. Haben Sie bei Innogames zumindest einen Betriebsrat?

Stand heute haben wir keinen Betriebsrat. Wenn die Belegschaft den Wunsch nach einem Betriebsrat äußern würde, dann würden wir bei Innogames dem natürlich folgen und vollumfänglich mit ihm zusammenarbeiten. Wir wissen nicht, ob das passiert oder nicht.

Wir versuchen unabhängig davon immer, den Notwendigkeiten unserer Mitarbeiter gerecht zu werden. Wir wollen zu jedem fair sein, auch zu den Mitarbeitern außerhalb Deutschlands. Denen könnte ein Betriebsrat vielleicht gar nicht so sehr helfen, weil so etwas eher ein deutsches Thema ist. Zu unseren Unternehmenswerten zählt davon abgesehen auch der offene Informationsaustausch. Bei uns können Mitarbeiter alle Daten sehen und alle Fragen stellen. Und wenn Mitarbeiter berechtigte Kritik haben, dann korrigieren wir das auch.

(dahe)