Grüner Wasserstoff könnte nur ein Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken
Ein neues Szenario zeigt, dass grüner Wasserstoff weltweit noch lange rar bleibt: Erst 2035 wären ein Prozent erreicht. Staaten müssen enorm investieren.
- Jan Oliver Löfken
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Grüner Wasserstoff und darauf basierende synthetische Treibstoffe haben ein großes technisches Potenzial, fossile Energieträger in Industrieprozessen und im Verkehrssektor zu ersetzen. So verweisen etwa Kreuzfahrt-Reeder oder Fluglinien allzu gerne auf die kommenden „Electrofuels“, um damit rasch klimaneutral zu werden.
Doch das ist aus heutiger Sicht innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre womöglich kaum durchführbar: Denn grüner Wasserstoff, der über die elektrolytische Wasserspaltung unter Einsatz von Strom aus Wind- und Solarparks erzeugt werden soll, bleibt weltweit mindestens bis Mitte der 2030er Jahre ein sehr knappes Gut. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine kritische Analyse der aktuellen Situation.
Kurzfristige Knappheit, langfristige Unsicherheit
Die Studie von Forschenden um Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) besagt: Selbst wenn die Elektrolysekapazitäten in Zukunft so schnell wachsen würden wie in der Vergangenheit Wind- und Solarenergie, gebe es deutliche Hinweise auf eine kurzfristige Knappheit und eine langfristige Unsicherheit bei der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff. Beides hemme Investitionen in Infrastruktur und Anwendungstechnologien, was das Potenzial verringere und die Klimaziele gefährde.
Luderer und Kollegen extrapolierten den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf der Grundlage von ökonomischen Modellen für neue Technologien. Das Wachstum beschreibt dabei nahezu immer eine S-Kurve mit großen Wachstumsraten auf niedrigem Niveau zu Beginn gefolgt von einem schnellen Ausbau in den Folgejahren. In der Schlussphase dagegen flacht das Wachstum mit einsetzender Marktsättigung wieder ab und nähert sich langsam einem Höchstwert. Übertragen auf die Erzeugung von grünem Wasserstoff mit Elektrolyseuren befinden wir uns heute in der Anfangsphase mit gerade einmal 600 Megawatt Leistung (2021) und kleinen Anlagen von bis zu zehn Megawatt.
Um mit grünem Wasserstoff auf den Pfad des Klimaziels des Pariser Abkommens zu kommen, müsste die Elektrolyse-Kapazität bis 2050 um das 6000- bis 8000-fache ansteigen. Parallel müssten sich die Kapazitäten für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen etwa verzehnfachen. Mit den derzeit verfolgten Ausbauplänen der Wasserstofferzeugung wird die Europäische Union bis 2030 höchstens ein Prozent des Gesamtenergiebedarfs mit grünem Wasserstoff decken können. Weltweit rückt dieses Ziel sogar erst 2035 in Reichweite. Erst ab 2040 könne ein signifikanter Anteil von 3,2 bis 11,2 Prozent in der EU und 0,7 bis 3,3 Prozent weltweit erreicht werden.
"Notfallähnliche politische Maßnahmen" könnten helfen
Dieses aus heutiger Sicht ernüchternde Szenario zeigt, dass kurzfristig grüner Wasserstoff sehr knapp und die Versorgung auch langfristig mit noch großen Unsicherheiten behaftet sein könnte. Nach Aussage der Forscher sind daher wirksamere politische Rahmenbedingungen nötig. „Historische Analogien deuten darauf hin, dass notfallähnliche politische Maßnahmen zu wesentlich höheren Wachstumsraten führen könnten, was den Durchbruch beschleunigen und die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Verfügbarkeit von Wasserstoff erhöhen würde“, sagt PIK-Forscher Falko Ueckerdt.
An Beispielen für ein solches Engagement nennt er etwa die Mobilisierung in Kriegen wie beim Aufbau der US-Liberty-Flotte im 2. Weltkrieg oder massive öffentliche Investitionen mit zentraler Koordinierung wie der Bau des Schnellbahnnetzes in China.
Diese Analyse des Hochlaufs der Wasserstoffversorgung zeigt, dass allein die Kräfte eines freien Marktes kaum zum Erreichen der Klimaziele etwa im Schiffs- und Flugverkehr ausreichen werden. So dürfe Wasserstoff nach Aussage der Forscher nicht als Vorwand dienen, um die Einführung anderer, leicht verfügbarer sauberer Optionen wie Elektromobilität oder Wärmepumpen zu verzögern. Um den Ausstoß von Treibhausgasen wirksam zu reduzieren und die Klimarisiken zu begrenzen, müssten sämtliche wichtigen kohlenstofffreien Technologien gleichzeitig und mit voller Kraft eingesetzt werden.
(bsc)