Hitzewellen: Wenn es zu heiß zum Überleben wird

Im Zuge des Klimawandels entstehen auf der Erde immer mehr Zonen, in denen Menschen ohne technische Hilfsmittel nicht überleben können – vor allem in Südasien.

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(Bild: Ajit Sandhu / Unsplash)

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"Menschen interessieren sich nicht für Durchschnittstemperaturen", schreibt der Klimaforscher Steven S. Sherwood im Wissenschaftsmagazin "Science". "Aber die Vorhersagen der Klimamodelle zeigen, dass in den meisten Regionen der Erde mit der Jahresmitteltemperatur auch die Extremwerte ansteigen." Dass extreme Hitze schwere gesundheitliche Folgen haben kann, ist keine wirklich neue Erkenntnis – in den vergangenen Jahren setzte sich aber unter Fachleuten immer stärker die Erkenntnis durch, dass diese Folge des Klimawandels bislang nicht genügend berücksichtigt worden ist – und dass bei der Gesundheitsgefährdung durch extreme Hitze nicht nur die Temperatur wichtig ist, sondern auch die Luftfeuchtigkeit. Modellrechnungen gehen davon aus, dass solch eine – potenziell tödliche – Kombination in Zukunft immer größere Regionen der Erde und damit auch immer mehr Menschen treffen wird. Vor allem in Südasien.

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Für eine Studie, die 2017 in "Nature Climate Change" veröffentlicht wurde, analysierten Camilo Mora, Klimaforscher an der Universität von Hawaii, und sein Team Hunderte von extremen Hitzeereignissen auf der ganzen Welt, um festzustellen, welche Wetterbedingungen am wahrscheinlichsten tödlich sind und wo diese Bedingungen in Zukunft wahrscheinlich auftreten werden. Sie fanden heraus, dass bereits heute etwa 30 Prozent der Weltbevölkerung an mindestens 20 Tagen im Jahr einer gesundheitsgefährdenden Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Dieser Prozentsatz wird nach den Berechnungen der Forschenden bis zum Jahr 2100 auf fast die Hälfte ansteigen – selbst bei einer drastischen Verringerung der Treibhausgasemissionen.

Was aber macht die Kombination aus Wärme und Feuchtigkeit so ungesund? Als warmblütige Säugetiere versuchen wir Menschen, eine konstante Körpertemperatur von ca. 37 Grad zu halten. Wenn die Kerntemperatur zu heiß wird, reagiert der Körper mit Gegenmaßnahmen. "Wenn der menschliche Körper Hitze ausgesetzt ist, löst der Hypothalamus eine kardiovaskuläre Reaktion aus, die die Blutgefäße erweitert, um das Blut vom Kern in die Peripherie umzuleiten", schreiben Camilo Mora und Kollegen. Wird dieses System der Wärmeabfuhr zu lange überlastet, führt die "kompensatorische Umleitung von Blut" zur Haut "zu einer unzureichenden Durchblutung anderer Organe. Ischämie und nachfolgende Hypoxie (Sauerstoffmangel)" – was wiederum die Organe schädigt. Insgesamt listen die Forscher "27 Wege" auf, über die zu viel Hitze Menschen töten kann. Darunter Nieren- und Herzprobleme und sogar Hirnschäden, sagt Liz Hanna, eine ehemalige Forscherin für öffentliche Gesundheit an der Australian National University, die sich mit extremer Hitze beschäftigt.

Einige Klimamodelle sagen voraus, dass wir bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts Kühlgrenztemperaturen von über 35 Grad erreichen werden. Andere Forscher glauben, dass wir diese Temperaturen bereits erreicht haben. In einer Studie vom Mai 2020 wies Colin Raymond von der NASA anhand der Analyse von Wetterdaten nach, dass an einigen Orten, in Südasien, dem Nahen Osten und dem Südwesten der USA, bereits solche Bedingungen aufgetreten sind – allerdings nur für jeweils ein bis zwei Stunden pro Tag.

Der Klimawandel wird bewirken, dass sich diese Zonen immer mehr ausweiten und immer mehr Menschen in Gebieten leben, die zu heiß sind. Bereits jetzt, schreiben Dawei Li von der Rutgers University und Kollegen, seien bereits 275 Millionen Menschen an mindestens einem Tag im Jahr einer Kühlgrenztemperatur von 33 Grad ausgesetzt. Bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 1,5 Grad werden es rund 500 Millionen sein – nach den Berechnungen der Forscher vor allem in Südasien, wenn dort die Luftfeuchtigkeit aufgrund gestiegener Regenmengen stark zunimmt.

Zwar kann sich der menschliche Körper mit der Zeit an die Hitze gewöhnen, ähnlich wie er sich an den niedrigeren Sauerstoffgehalt in großer Höhe akklimatisieren kann. Menschen, die sich besser an die Hitze akklimatisiert haben, schwitzen mehr und ihr Schweiß ist verdünnter, was bedeutet, dass sie weniger Elektrolyte über den Schweiß verlieren. Dies kann den Körper vor Dehydrierung und Herz- und Nierenproblemen schützen, sagt Forscherin Liz Hanna.

Der Akklimatisierung sind jedoch Grenzen gesetzt, wie Hanna betont. Wir werden nicht in der Lage sein, uns über die Bedingungen hinauszuentwickeln, die der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich mit sich bringen wird. Sie sagt auch, dass physiologische Grenzen zwar wichtig sind, wir aber auch andere Faktoren wie Verhalten und Infrastruktur berücksichtigen müssen. Wenn man sich im Freien bewegen oder dort arbeiten muss, können auch geringere Temperaturen bereits gefährlich werden. Denn der Gesamtenergie, die Sie für eine Aufgabe verbrauchen, egal ob Sie rennen oder Geschirr spülen, gehen 20 Prozent in die Bewegung Ihrer Muskeln und die anderen 80 Prozent werden in Wärme umgewandelt. Mehr Bewegung bedeutet also, dass Ihr Körper mehr Wärme loswerden muss.

Der so unweigerlich entstehende Hitzestress mindert nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit. In einem Experiment ließen Yuta Masuda von der internationalen Naturschutzorganisation Nature Conservatory und Kollegen 2019 indonesische Landarbeiter 90 Minuten lang im Wald und in einer entwaldeten Umgebung arbeiten, um sie danach standardisierten Kognitions- und Gedächtnistests zu unterziehen. Die Gruppe, die in der heißeren Umgebung gearbeitet hatte, schnitt in den Tests signifikant schlechter ab. Da Hanna in Australien lebt, weiß sie besonders gut, wie sich extreme Hitze auf Menschen und Gemeinden auswirkt. "Die Welt erwärmt sich", sagt Hanna, "und diese Erwärmung wird über das hinausgehen, was die normale Physiologie verkraften kann".

Selbst wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Temperaturmittel begrenzt werden kann – was zurzeit längst nicht klar ist – drohen also drastische Hitzefolgen. International diskutieren Mediziner, Klimawissenschaftler aber auch Stadtplaner deshalb vermehrt über Schutz- und Gegenmaßnahmen, die punktuell in einigen besonders betroffenen Regionen bereits umgesetzt werden.

Nach einer Hitzewelle im Jahr 2010, bei der mehr als 1300 Menschen starben, organisierten die Behörden im indischen Ahmedabad mit rund sieben Millionen Einwohnern beispielsweise ein Frühwarnsystem, das an zahlreichen öffentlichen Orten warnt, wenn die Temperaturen in den nächsten sieben Tagen 41 Grad übersteigt. Stadtplaner propagieren die Bewässerung und Begrünung urbaner Flächen, viele Städte in den USA, wie etwa Los Angeles, unterstützen das Streichen von Flachdächern mit weißer Farbe.

Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass die Folgen der Erwärmung vor allem die Armen des globalen Südens treffen werden. "Der hervorstechendste Aspekt der prognostizierten Auswirkungen extremer Hitze – und eine besondere Herausforderung aus politischer Sicht – ist die Tatsache, dass sie in hohem Maße regionaler Natur sind, wobei schwere oder lebensbedrohliche Auswirkungen an einigen Orten in scharfem Kontrast zu harmlosen Auswirkungen an anderen stehen", schreiben Colin Raymond und Kollegen im "Oxford Handbook of Planning for Climate Change Hazards". In tropischen und subtropischen Ländern werde, obwohl sie voraussichtlich die geringste absolute Erwärmung erfahren werden, die Belastung durch Hitzestress am stärksten zunehmen.

"Künftige extreme Hitze wird die Fähigkeit zum kollektiven Handeln und zur Anpassung vieler (vielleicht der meisten) Gesellschaften auf der ganzen Welt auf die Probe stellen", schreiben die Autoren. Die bisherige Erfahrung mit weltweiter Klimapolitik vermittelt allerdings nur begrenzten Optimismus, dass die Welt dieses – zusätzliche – Problem besser in den Griff bekommt als die anderen gravierenden Auswirkungen des Klimawandels.

(wst)