Deiche am Ende? Neue Konzepte für den Hochwasserschutz müssen her

Seite 2: Gegen die Fluten anbauen

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Im Unterlauf der Elbe, der sogenannten Tideelbe, treffen Fluss und Meer aufeinander. Zweimal täglich rollt die Flutwelle der Nordsee flussaufwärts. Wegen der Trichterwirkung des Flussbetts ist der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser im Hamburger Hafen sogar deutlich höher als auf dem offenen Meer.

Die dunkel markierten Küstenabschnitte liegen tiefer als zehn Meter über dem Meeresspiegel und sind besonders gefährdet.

(Bild: CORRECTIV / searise.correctiv.org/de/explore)

Schon nach der Hamburger Flutkatastrophe von 1962, bei der über 300 Menschen starben, wurden die Deiche dort massiv erhöht. Für die kommenden Jahrzehnte sei die Stadt gut geschützt, sagt Peter Fröhle, Professor für Wasserbau an der TU Hamburg. Doch Fröhle blickt schon bis ins Jahr 2200. Im Projekt TideelbeKlima, das er leitet, simulieren Forscher Szenarien für Wasserstände an Nordsee und Elbe – und deren Wirkung auf Schutzbauwerke. Am Rechner lösen sie Sturmfluten aus, lassen Deiche virtuell brechen oder erhöhen sie.

Und sie experimentieren mit neuen Bauwerken: So wird seit Jahren über ein gewaltiges Sperrwerk im Mündungsbereich der Elbe diskutiert. Seit den neunziger Jahren schützt ein ähnliches Sperrwerk mit zwei jeweils über 200 Meter langen, schwenkbaren Toren den Großraum Rotterdam. "Die Elbe ist allerdings noch einmal deutlich breiter als die Hafeneinfahrt von Rotterdam", sagt Fröhle. Denkbar sei etwa, den Fluss durch zwei Dämme künstlich zu verengen und in der verbleibenden Öffnung in der Flussmitte ein Sperrwerk zu installieren.

Das Maeslant-Sperrwerk bei Rotterdam besteht aus drei Mal so viel Stahl wie der Eiffelturm. Seit Inbetriebnahme 1997 musste es bisher nur zu Testzwecken geschlossen werden.

(Bild: Swart/Hollandse Hoogte/laif)

Fröhle und sein Team sollen in ihrer vom Bundesumweltministerium geförderten Studie neben anderen technischen Lösungen auch die Machbarkeit eines Sperrwerks ausloten. Sie testen virtuell verschiedene Standorte, wägen mögliche Kosten und Nutzen ab. "Wir sehen die Schutzwirkungen, aber auch einen Rückstau auf der dem Meer zugewandten Seite." Der Rückstau der Elbe auf der Binnenseite sei hingegen – auch wegen der bereits jetzt hohen Schutzanlagen – wenig kritisch. Allerdings könne allein die Planung für so ein gigantisches Vorhaben mehrere Jahrzehnte dauern. Zudem warnen Umweltverbände vor ökologischen Folgen.

Küstenschutz und die Bewahrung von Ökosystemen müssen aber keine Gegensätze sein. Forscher Schlurmann fordert einen Paradigmenwechsel: Zwar seien massive Schutzbauwerke unverzichtbar – doch moderner Küstenschutz müsse zusätzlich die Natur für sich nutzen.

Etwa die Salzwiese: Dieses Biotop aus salzwasserresistenten Pflanzen liegt an der Nordsee zwischen Deich und Wattenmeer und wird bei höheren Fluten überspült. "Dass die Salzwiese die Energie der einlaufenden Wellen dämpft, ist bekannt", sagt Schlurmann, der im Rahmen des Projekts "Gute Küste Niedersachsen" unter anderem im ostfriesischen Neßmersiel die Renaturierung einer Salzwiese untersucht. "Wir wissen aber noch nicht, wie hoch die Dämpfung genau ist und wie viele Kosten sich dadurch etwa beim Deichbau einsparen lassen." Um das in Zukunft quantifizieren und bei der Planung berücksichtigen zu können, untersuchen die Forscher etwa die Widerstandskraft der Pflanzen gegenüber Strömungen sowie die Verankerung ihrer Wurzeln im Boden.

Mit Salzwiesen im Vorland müssen Deiche weniger hoch sein, und sie halten länger. Eindeichungen haben in der Vergangenheit vielerorts Salzwiesen zerstört. "In Zukunft könnten wir gezielte Anpflanzungen vornehmen", sagt Schlurmann. Man teste auch neues Saatgut zur Bepflanzung des Deiches selbst: Eine vielfältigere Vegetation auf dem Deich könnte zum einen die Wellen stärker ausbremsen, zum anderen den Deich durch tieferes Wurzelwachstum stabilisieren und im Sommer weniger austrocknen lassen.