Deiche am Ende? Neue Konzepte für den Hochwasserschutz müssen her

Seite 3: Dem Fluss wieder mehr Raum geben

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In den Niederlanden experimentieren Wissenschaftler des Meeresforschungsinstituts NIOZ mit Schlickgras. Diese in Europa einst eingeschleppte Salzwiesenpflanze gilt als besonders ausdauernd. Das Institut hat unter anderem einen transportablen Wellenkanal gebaut, der direkt an der Salzwiese verankert wird. So testen die Forscher, wie sich Wellen auf das Schlickgras auswirken – und unter welchen Bedingungen Sedimente abgetragen werden. Am unteren Rand der Salzwiese, der täglich überflutet wird, können nur wenige Pflanzen überleben. Um ihre Wurzeln zu stabilisieren, legen die Forscher ein wabenartiges Gerüst aus abbaubarer Kartoffelstärke aus – womöglich ein Modell für die Zukunft.

Auch im Ahrtal wollen Naturschützer zunächst die nach der Flutkatastrophe neu entstehenden Auenlandschaften erhalten, um dem Fluss wieder mehr Raum zu geben. Dort könnten sich dann auch wieder seltene Tierarten wie die Flussuferwolfspinne ansiedeln. Wichtiger Raum für den Fluss und damit für den Hochwasserschutz gehe jedoch bereits wieder verloren, sagt Schüttrumpf. Dabei braucht es Flächen wie Wälder, die das Wasser aufnehmen: "Der Forst wirkt wie ein Schwamm." Das allein reiche aber nicht. Entscheidend sei eine Kombination aus technischem und natürlichem Hochwasserschutz, etwa in Form leistungsfähiger Rückhaltebecken.

Da Hochwasserschutz nicht unbegrenzt finanziert werden kann, sind auch bessere Messdaten wichtig, um im Ernstfall rechtzeitig evakuieren zu können. Im Binnenland ist das umso komplizierter, je hügeliger das Gelände ist. In den Hängen des Ahrtals forscht man derzeit an einer ungewöhnlichen Messmethode. Michael Dietze von der Uni Göttingen und Rainer Bell von der Uni Bonn haben hier, rund einen halben Meter unter der Erde, Erdbebensensoren installiert. Damit können sie auch die Abflussmengen der Ahr messen. Je höher die Amplituden ihrer Aufzeichnungen ausschlagen, desto mehr Wasser fließt im Fluss. Bis zu eineinhalb Kilometer flussaufwärts konnten sie so zum Beispiel das Hochwasser von 2021 erkennen. Bei einer Fließgeschwindigkeit von rund einem Meter pro Sekunde ließe sich so immerhin eine knappe halbe Stunde vor dem Eintreffen einer Flutwelle warnen. Die Sensoren sind allerdings so sensibel, dass sie auch ein vorbeifahrendes Auto oder fallende Regentropfen registrieren. Diese Störsignale müssen erst herausgefiltert werden.

Dann können die Erdbebensensoren vor allem dort helfen, wo sich die Wasserstände nicht mit einem klassischen Wasserstandspegel messen lassen: in Engtälern, Wildbächen in den Alpen, entlegenen Tälern des Himalaya – oder eben im Mittelgebirge. Als der Höchststand im Ahrtal erreicht war, waren die Pegel dort längst von den Wassermassen weggerissen worden.

Mit den Sensoren lässt sich aber auch die Durchweichung von Deichen erkennen. So kann man die betreffenden Stellen verstärken, bevor sie brechen. Gleiches gilt für Hangrutschungen, erzählen die Forscher. Im Ahrtal sind noch immer, viele Monate nach dem Hochwasser, durch den Fluss erodierte Hangbereiche nicht zur Ruhe gekommen und stellen eine Gefahr dar.

An besseren Prognosen forscht auch Sven Tomforde, Professor für Intelligente Systeme an der Uni Kiel. Er verlässt sich ganz auf die Kraft von Daten und Künstlicher Intelligenz. "Die Vorhersage von Pegelständen ist für uns technologisch sehr spannend", sagt er. Diese würden schließlich unter hochgradiger Unsicherheit getroffen, müssten aber gleichzeitig sehr exakt sein. Und gerade bei Extremereignissen wie lokalem Starkregen würden klassische hydrologische Modelle oft versagen. Denn im Gegensatz zu einer KI sind diese statisch: Sie sind nicht in der Lage, aus realen Erfahrungen zu lernen.

Tomforde und sein Team arbeiten mit dem in Schleswig-Holstein für den Hochwasserschutz zuständigen Landesamt für Umwelt zusammen. "Wir schauen uns für bestimmte Pegelstellen an, welche Daten für die Vorhersage besonders aussagekräftig sind", sagt er. Dann nehme man eine Gewichtung vor – und entwickle ein System, das mit der Zeit immer bessere Prognosen treffen könne.

Es habe sich gezeigt: "Besonders relevant sind Prognosedaten zur lokalen Niederschlagswahrscheinlichkeit." Und auch das vergangene Wetter spielt eine Rolle: "Wenn der Boden nach mehreren Regentagen bereits gesättigt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen."