Ist die Telekom noch zu retten?

Der Ex-Monopolist sucht politischen Schutz bei der Bundesregierung. Doch auch wenn die Telekom für den VDSL-Ausbau Sonderkonditionen bekommt, löst das ihre strukturellen Probleme nicht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 22 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

n Getreu hielt sich Kai-Uwe Ricke an sein Redemanuskript, aber von der Abrissbirne wollte er dann doch nicht sprechen: „Dieses Geschäftsmodell gehört der Vergangenheit an“, sagte der Vorstandschef der Deutschen Telekom vor Journalisten aus aller Welt, die zum alljährlichen Pressekolloquium der Telekom Anfang Februar in Berlin angereist waren. Von „gewaltigen Herausforderungen“ war dennoch gleich mehrfach die Rede und von der Gefahr, in „absehbarer Zeit vor dem unternehmerischen Abgrund“ zu stehen. Und selbstverständlich gab Ricke bei der Berliner Show auch seine Zuversicht zu Protokoll, die Situation meistern zu können.

Doch tatsächlich ist sein Unternehmen dem Abgrund schon näher, als er öffentlich zugeben möchte: Obwohl die Telekom noch immer von ihrer Position als Ex-Monopolist für alles Telefonieren in Deutschland profitiert, bricht ihr allmählich das Geschäft weg: Der Umsatz in der Festnetzsparte fällt trotz Millionen neuer DSL-Anschlüsse seit Jahren, 2005 sank er erstmals auch bei der deutschen Mobilfunk-Tochter. Rechnet man den teuer gekauften US-Mobilfunkarm heraus, ging sogar der Gesamtumsatz zurück. „Fast jeder Teil ihres Geschäfts kommt unter Beschuss. Es gibt einen tief greifenden Wandel, und er geht schnell voran. Man muss wirklich fragen, ob die Telekom es noch schaffen kann, sich rechtzeitig anzupassen“, sagt James Enck, langjähriger Telekom-Beobachter beim japanischen Brokerhaus Daiwa Securities.

Die grundlegendste technologische Bedrohung für das Wohlergehen der Telekom liegt in der Sprachübertragung über das Internet-Protokoll, im Tech-Jargon genannt Voice over IP oder kurz VoIP. Jetzt, im zweiten Anlauf (s. TR 2/04), hat diese Technologie an Glaubwürdigkeit, Nutzerfreundlichkeit und Breite gewonnen. Und ihre Bedeutung für die Telekom geht meilenweit über den möglichen Verlust von Festnetz- Telefonminuten an billigere Konkurrenten hinaus: VoIP hat begonnen, sich auch im Mobilfunk-Markt zu etablieren, wo die Gewinne – sowohl bei eingehenden als auch bei ausgehenden Gesprächen – noch immer enorm sind.

Zwei von den Leuten, die Ricke um die richtigen Worte kämpfen lassen, sind Thilo Salmon und Tim Mois vom Düsseldorfer Unternehmen indigo networks. Schnellsprechender Diplom-Mathematiker der eine, Dreitagebart tragender Fast- Betriebswirt der andere, haben sie mit Sipgate im Januar 2004 den ersten deutschen Anbieter gestartet, der VoIP-Gespräche von und zur eigenen Ortsrufnummer ermöglicht; ein Computer ist dafür nicht nötig, nur eine kleine Box, in der die Internet- Signale für die Nutzung mit einem normalen Telefon aufbereitet werden. Derzeit gewinnt Sipgate laut Salmon pro Monat „eine fünfstellige Zahl“ an neuen Kunden. Das klingt nicht nach viel. Doch Sipgate ist nur einer von Dutzenden VoIP-Anbietern auf dem deutschen Markt – und ein ansehnlicher Anteil der Internet-Telefonierer sagt der Telekom komplett „Auf Nimmerwiedersehen“. Insgesamt sank die Zahl der Telefonanschlüsse bei der Telekom 2005 um 1,5 Millionen.

Bislang konnte die Telekom Kunden zumeist getrost ziehen lassen, in dem Bewusstsein, dass auch deren neuer Telefon- Dienstleister in großem Maße Vorleistungen beim rosa Riesen beziehen wird: Wer Call by Call anbietet, muss für die Nutzung der Kupferleitung vom Hauptverteiler ins Haus sowohl beim Anrufer als auch beim Angerufenen bezahlen. Wer DSL-Anschlüsse vermarktet, kauft sie fast immer zu kaum niedrigeren Preisen bei der Telekom ein. Wer komplette Telefonanschlüsse verkauft, zahlt für die Leitung ins Haus eine monatliche Miete an die Telekom. Denn auf dieser „letzten Meile“ hat die Deutsche Telekom auch heute noch, zehn Jahre nach der offiziellen Marktöffnung, ein Quasi-Monopol.

„Es war in der Vergangenheit relativ problemlos, sinkende Gesprächsgebühren durch höhere Grundgebühren auszugleichen“, sagt Karl-Heinz Neumann, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK), das Unternehmen und Politiker berät.

SCHMUTZIGE KLEINE GEHEIMNISSE

Doch diese Zeiten gehen zu Ende: Da wären zum einen die Betreiber von TV-Kabelnetzen, die nach mehrjähriger Restrukturierung wieder Fuß gefasst haben und ihre Leitungen für Internet-Zugänge aufrüsten. Mittlerweile ist etwa jeder dritte der 20 Millionen deutschen Kabelhaushalte theoretisch auch Internet-fähig, 320 000 von ihnen nutzen Ende 2005 solche Angebote. Diese relativ niedrige Zahl hängt zusammen mit einem Letzte-Meile-Problem der anderen Art: Die Signalverteilung in die Häuser liegt meist nicht in der Hand der großen Kabelfirmen, sondern in der von hunderten kleinen Hausverwaltern, Wohnungsbaugesellschaften und anderen lokalen Anbietern. Mit diesem Gemisch ein durchgängiges Angebot zu gestalten ist schwer – doch es geht voran: „Wir gehen davonaus, dass wir Ende dieses Jahres mindestens eine Million Internet-Kunden haben werden“, sagt Carsten Engelke, Technischer Leiter beim Kabel-TV-Verband Anga. Telekom-Leitungen brauchen diese Leute dank VoIP nicht mehr.

Dazu kommt eine Konkurrenz, die in Teilen von der Telekom selbst ausgeht: die Handynetze. Lange Zeit war Mobil- Telefonieren in Deutschland so teuer, dass man von ihm keine Bedrohung für das Festnetz hätte erwarten wollen. Doch im August 2005 brach E-Plus aus dem stillschweigenden Preiskartell aus und startete unter der Marke Simyo den ersten Mobilfunk- Discounter Deutschlands; das brachte das Preisgefüge in der gesamten Branche ins Rutschen.