Ist die Telekom noch zu retten?

Seite 3: Ist die Telekom noch zu retten?

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BREITBAND WIRD ZUM POLITIKUM

Dass es bald wieder abwärts gehen könnte, glauben mittlerweile nicht wenige professionelle Beobachter, allen voran Daiwa- Analyst Enck. Von seinem Großraumbüro im Londoner Finanzbezirk aus warnt er seit Jahren vor dem Untergang von ehemaligen Telecom-Größen weltweit – in Studien für Kunden und auch in einem frei verfügbaren Blog. Die T-Aktie habe er lange Zeit als relativ attraktiv angesehen, sagt Enck – auch weil sie in den vergangenen drei Jahren an der Börse noch schwächer abgeschnitten habe als der gesamte geplagte Sektor. Mit dieser Einschätzung fühle er sich aber immer weniger wohl, denn im Vergleich zu Konkurrenten wie France Telecom oder Telecom Italia reagiere die Telekom langsamer und weniger koordiniert auf die VoIP-Bedrohung.

Und während das disruptive Potenzial von VoIP zumindest in der Theorie seit Jahren bekannt ist, bahnt sich bei der Infrastruktur laut Enck eine weitere beunruhigende Entwicklung an: „Breitband wird immer weniger als Markt angesehen denn als Mittel zur gesellschaftlichen Entwicklung. 2006 dürfte das Jahr werden, in dem dieses Thema politisch hoch akut wird.“ Er verweist auf Initiativen wie in Amsterdam, wo die Stadtverwaltung zusammen mit Wohnungsgesellschaften und Investoren ein Glasfasernetz bis in die Haushalte (fiber to the home – FTTH) aufbaut. Bewohner des Londoner Bezirks Shoreditch werden derzeit sogar mit Geld der britischen Regierung ins Glasfaser-Zeitalter geholt. Ein ähnliches Projekt läuft in der nordrhein-westfälischen Stadt Schwerte (s. TR 3/06), in Köln plant der kommunale Stadtnetzbetreiber Netcologne ebenfalls Glasfasern bis ins Haus.

Bei den deutschen Projekten findet Enck vor allem die Eigentumsverhältnisse interessant: Neben der Stadt selbst ist über Beteiligungen in beiden Fällen auch der Energieriese RWE mit von der Partie – just der Konzern also, der bis vor vier Jahren mit der Powerline-Technologie sein Stromnetz datenfähig machen und damit ins Internet-Geschäft einsteigen wollte. Diese Pläne wurden wegen technischer Schwierigkeiten begraben – kommt jetzt der nächste Diversifizierungsversuch über Glasfaser-Internet bis ins Haus? „Sie haben Bagger, sie haben Rohre, sie haben Interesse, und sie haben jede Menge Geld“, gibt Enck zu bedenken.

Nach Aussage eines intimen Branchenkenners haben mindestens zwei Stromkonzerne FTTH-Projekte bereits durchrechnen lassen; ihre Umsetzung sei allerdings in näherer Zukunft nicht zu erwarten, unter anderem weil – gebranntes Kind scheut das Feuer – die Technologie als noch nicht ausgereift angesehen werde. Doch selbst wenn RWE & Co. noch lange bei ihren Leisten bleiben, dürften die restlichen Konkurrenten bald behördliche Schützenhilfe bekommen: „Wir stehen in Deutschland noch davor, bestimmte Regulierungseingriffe zu machen, die den Wettbewerbern helfen, eine stärkere Position zu beziehen“, sagt WIK-Geschäftsführer Neumann. Konkret denkt er dabei an den so genannten Bitstrom-Zugang, bei dem alternative Anbieter die DSL-Infrastruktur der Telekom mieten und so umfassendere Angebote machen können. Bislang sind sie zumeist darauf beschränkt, mit Flatrates oder Volumentarifen nur den Datentransfer zu übernehmen, während die DSLGebühr komplett an die Telekom geht. Nach Auskunft der BNetzA dürfte der Bitstrom-Zugang, in Spanien, England oder Frankreich längst Realität, in diesem Sommer auch hierzulande eingeführt werden.

Dass die Telekom auf die wachsenden Bedrohungen nicht reagieren würde, kann man beim schlechtesten Willen nicht behaupten. Ricke und seine Vorstandskollegen verweisen mittlerweile bei jeder Gelegenheit auf die enormen Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben. Der jeweils aufgezeichnete Ausweg: Innovation, Innovation, Innovation. Der Konzern leistet sich seit kurzem sogar ein luxuriöses Labor in Berlin, wo in Zusammenarbeit mit Forschern aus Universitäten die lukrativen Dienste der Zukunft ersonnen werden sollen (s. S. 36).

T-MOBILE GEGEN T-COM

Die Versuche, schon heute die Angreifer auszumanövrieren, wirken allerdings in vielen Fällen etwas hilflos. So startete T-Mobile Anfang des Jahres das Produkt T-Mobile@home, bei dem Handykunden im Umkreis ihrer Wohnung zu annähernd Festnetztarifen telefonieren können und unter einer für den Anrufer billigen Festnetznummer erreichbar sind; Konkurrent O2 hat so etwas seit Jahren. Auf der 3GSMKonferenz stellten T-Mobile und andere große Mobilfunker Pläne für kostenpflichtiges Instant Messaging (IM) vor.

Doch alles, was man für dieselbe Funktionalität schon heute braucht, ist ein Datentarif und eines der vielen Telefone, auf dem die Mobilgerät-Varianten der weit verbreiteten IM-Programme wie ICQ oder Skype laufen; bezahlen muss man dafür nicht. T-Com-Chef Walter Raizner wiederum wirbt für seinen neuen Dienst T-One: Spezielle Handys sollen im Festnetz, über WLAN und in Mobilnetzen funktionieren und jeweils automatisch die billigste Variante auswählen – im Fall von WLAN sogar VoIP. Gut für den Kunden, schlecht für die Schwester: Tatsächlich soll ein T-Com-Manager auf einer Konferenz gesagt haben, mit dem „dual phone“ werde man T-Mobile „außer Gefecht setzen“. Es sei denn, das besorgt gleich ein konzernfremder Anbieter wie Sipgate, der Internet-Provider Freenet oder die Festnetz-Firma Arcor, die auf der Cebit ebenfalls Kombi-Handys für WLAN und Mobilfunk präsentierten.

In seiner Berliner Rede verwendete Vorstandschef Ricke viel Zeit darauf, für die geplante Aufrüstung der eigenen DSLZugänge zu werben: 50 größere Städte sollen mittels Glasfaserleitungen bis nah ans Haus in den Genuss der VDSL-Technologie kommen, die Datenraten beim Endnutzer von bis zu 50 Megabit pro Sekunde ermöglicht – weitaus langsamer als direkte Glasfaser-Anschlüsse, aber immer noch etwa zehnmal so viel wie die schnellsten heute verbreiteten Zugänge. Die dafür vorgesehenen drei Milliarden Euro sind nach Telekom- Angaben die höchste Investition in der Firmengeschichte. Sie sollen den Ex-Monopolisten ins Internet-Zeitalter bringen, in dem interaktives Fernsehen laut T-Com-Chef Raizner ein „wichtiges Thema“ ist. Zur Cebit nutzte er die Gelegenheit, die getriebene Telekom endlich mal als Angreifer darstellen zu können: Das lineare TV von heute sei „Schnee von gestern“, mit dem Internet komme jetzt ein „vierter Verbreitungsweg für TV-Programme“ auf den Markt. Übertragungen von Spielen der deutschen Fußball-Bundesliga und vielleicht schon der Fußball-WM sollen dabei helfen, Kunden auf die neue Plattform zu locken. Doch Fernsehen über Internet muss erst einmal richtig laufen lernen. So verzögerte sich sein Start in der Schweiz, ursprünglich geplant für den vergangenen Sommer, wegen technischer Probleme auf unbestimmte Zeit.

Immerhin: Digitales Fernsehen gilt als echter Wachstumsmarkt. Bis 2010 werde es in 60 Prozent aller europäischen Haushalte verfügbar sein, prognostiziert die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Die Telecoms hätten dabei eine „privilegierte Startposition“, denn die nötigen hohen Investitionen könnten sie aufgrund ihrer Größe und Finanzkraft leichter stemmen als die Kabel-TV-Anbieter. Aber so recht scheint die Telekom der Schlagkraft der geplanten neuen Angebote selbst nicht zu trauen: Das VDSLNetz will sie nur dann weiter ausbauen, wenn es von der im restlichen Festnetzmarkt üblichen Aufsicht befreit wird, sodass sie es nicht zu regulierten Preisen anderen Anbietern zur Verfügung stellen muss. Bundeskanzlerin Angela Merkel signalisierte auf der Cebit Unterstützung für dieses Ansinnen. Das letzte Wort hat in dieser Angelegenheit allerdings die Europäische Union – und die hat in Gestalt der Medien-Kommissarin Viviane Reding bereits klargemacht, dass sie wenig davon hält.

Die Konkurrenten laufen ohnehin Sturm gegen Rickes Forderung, weil sie ein neues Infrastruktur-Monopol fürchten, und auch neutrale Beobachter wie der WIK-Geschäftsführer Neumann können nicht recht folgen. Er macht den Vorschlag, das Netz selbst wie gehabt zu regulieren, weil es keinen qualitativen Sprung darstelle, sondern eben nur schneller sei. Einzig die Inhalte stellten tatsächlich den von der Telekom beschworenen „neuen Markt“ dar. Rickes Forderung nach einer Total-Freistellung erscheine ihm wie ein „Rückschritt in Denkstrukturen, die eigentlich schon überwunden schienen“.

10 000 JOB-STREICHUNGEN PRO JAHR

Den allerdings kann sich die Telekom ganz bestimmt nicht erlauben: „Viele andere Ex-Monopolisten haben sich schneller bewegt“, merkt der bloggende Analyst Enck an. Als Schrittmacher sieht er die holländische KPN, die seit vergangenem Sommer ein aggressives VoIP-Angebot vermarktet und als Eigentümer hinter dem deutschen Mobilfunk-Preisbrecher E-Plus steckt. Die Zahl der Jobs bei KPN ist seit 2001 von fast 50.000 auf unter 30.000 gesunken; bis 2010 sollen 8000 weitere Beschäftigte gehen. Auch die Telekom hat laut der Gewerkschaft Verdi seit ihrer Privatisierung jedes Jahr durchschnittlich 10 000 Stellen im Inland gestrichen. Trotzdem, sagt Enck, sei sie so groß, dass sie nicht einmal als Übernahmekandidat in Frage kommt – noch jedenfalls.

(Entnommen aus TR 04/2006 – das Heft kann man hier nachbestellen) (wst)