Jagd auf die Gedanken

Seite 3: Neue Technologien ins Gehirn

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Nun könnten neue Technologien diese Hindernisse durchaus beseitigen. Doch der Traum vom Gedankenlesen wirft noch eine viel grundlegendere Frage auf: Gibt es überhaupt eine universelle Sprache des Gehirns? Sind die Signale für Worte und Bilder von einem Menschen zum anderen übertragbar? Für ein EEG scheint das nicht uneingeschränkt zu gelten. "Wenn Sie und ich an das Wort Katze denken, sind die Signale teilweise ähnlich, allerdings auch verschieden", sagt Neuroforscher Haynes. "Wenn Sie also mein Gedankenmuster für Katze präzise erkennen wollen, wäre es am besten, wenn Sie das System mit meiner Gehirnaktivität kalibrieren." Anders sieht es mit der fMRI aus. Tatsächlich konnten die Carnegie-Mellon-Forscher die Wortsignale auch bei Testpersonen identifizieren, auf die das System nicht kalibriert worden war.

Wissenschaftlern vom California Institute of Technology in Pasadena gelang kürzlich sogar noch ein Schritt mehr. Sie konnten aus Gehirnsignalen von Makaken rekonstruieren, welche Menschen die Tiere zuvor neu auf Fotos gesehen hatten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Mai im renommierten Fachjournal "Cell". Allerdings war es dafür notwendig, das fMRI mit implantierten Elektroden zu kombinieren. Per fMRI grenzten die Wissenschaftler zunächst die für die Gesichtserkennung verantwortlichen Gehirnbereiche ein. Mit feinen Elektroden identifizierten sie anschließend 200 einzelne Zellen, die jeweils auf ein Gesichtsbereich-Charakteristikum wie den Augenabstand spezialisiert sind. Die Gesichter, die sie aus den Zellsignalen mithilfe von Maschinenlernen wieder zusammensetzten, ähnelten den Fotovorlagen frappierend.

Mit dieser direkten Verkabelung des Gehirns sind aber noch ganz andere Dinge möglich. Viele Forscher haben mittlerweile gezeigt, dass sich so Roboterarme steuern oder Wörter schreiben lassen. Im Rahmen einer klinischen Studie des BrainGate-Programms an der Stanford University pflanzten Forscher etwa einer gelähmten Patientin einen Sensor mit 100 Elektroden ein. Er ermöglicht ihr, sich wieder verständlich zu machen. Die Frau leidet an der neurodegenerativen Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die ihre Muskeln nach und nach gelähmt hat. Nun leitet der Sensor im motorischen Kortex ihres Gehirns die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen an einen Computer weiter. Um Wörter zu formen, stellt sich die Frau vor, dass sie ihre rechte Hand zu einem bestimmten Buchstaben des gitterförmig angeordneten Alphabets bewegt. Von Gedankenkraft gesteuert, setzt sich der Cursor in Bewegung. Buchstabe um Buchstabe erscheint auf dem Bildschirm.

Stanford-Bioingenieur Krishna Shenoy zufolge schaffen die Probanden mithilfe der Gehirn-Computer-Schnittstelle – auch Brain Computer Interface (BCI) – bis zu 40 Buchstaben pro Minute. Das entspricht sechs bis acht Wörtern. Für Ge-sunde mag das zwar langsam klingen, aber für die bisherigen drei Probanden der Pilotstudie kommt es ziemlich nah an die Geschwindigkeit heran, die sie sich selbst wünschen. Tatsäch-lich ist es das schnellste Tippergebnis, das bislang mit einer BCI erreicht wurde, urteilt Biomedizin-Ingenieurin Jennifer Collinger von der University of Pittsburgh, die nicht an der Studie beteiligt war.

Die dafür notwendige Operation ist allerdings ein immenses Hindernis. In größerem Umfang dürfte sich die Methode daher erst dann nutzen lassen, wenn es auf nichtinvasivem Weg möglich wird, die maßgeblichen Hirnbereiche auszuhorchen. Absehbar ist eine solche Technik derzeit allerdings noch nicht. Allein per EEG, das Signale außen am Kopf aufnimmt, lassen sich viele Anwendungen heute noch nicht steuern, betont Haynes. Selbst Wörter aus den Signalen herauszulesen "ist nicht ohne großen Aufwand möglich", sagt der Neurowissenschaftler. Ohnehin gebe es dafür schnellere Möglichkeiten wie Blickverfolgung oder das Anspannen eines Muskels.

"Die meisten Gelähmten haben noch eine Restkontrolle über bestimmte Muskeln. Stephen Hawking kommuniziert zum Beispiel mit einem Wangenmuskel", sagt Haynes. "Für ihn wäre eine EEG-Schnittstelle gar nicht so nützlich." Selbst Facebook-Forscherin Regina Dugan weiß, dass ihre Ideen noch Zukunftsmusik sind. Die benötigte Technologie, um Worte aus dem Sprachzentrum mithilfe von Lichtpartikeln und Maschinenlernen auslesen zu können, müsse erst noch entwickelt werden, sagt sie. Selbst wenn es sie irgendwann gäbe, könnte man nicht unbedingt gleich ganze Gedankengänge abgreifen. Haynes hält es sogar für unmöglich, dieses Ziel zu erreichen. Denn Gedan-ken seien weiträumig über das Gehirn verteilt, und mit implantierten Elektroden "erreicht man nur einzelne Zellen oder Zellgruppen".

Trotzdem versuchen sich einige Forscher daran. Sie träumen von Schwärmen winziger Elektroden, die das Gehirn direkt auf der Oberfläche belauschen könnten. Dazu gehören die Entwickler von Elon Musks Firma Neuralink. Der Gründer von Tesla und SpaceX taufte die Sensoren bereits "Neuro-Staub".

Einen ersten Achtungserfolg auf dem Weg dahin haben inzwischen Jose Carmena und Michel Maharbiz von der University of California in Berkeley erzielt. In einer von der Darpa, dem Forschungsarm des US-Militärs, finanzierten Studie, pflanzten sie Laborraten nur ein Millimeter große Sensoren ein und verankerten sie an Muskeln sowie peripheren Nerven im Körper. Wie sie 2016 im Fachjournal "Neuron" schrieben, brauchen die Sensoren weder Kabel noch Batterien. Sowohl die Stromversorgung als auch das Auslesen der Messdaten erfolgt per Ultraschall.

Ein solches System könnte Patienten die Kontrolle über ihre Blase wiedergeben. Die Forscher wollen die Sensoren noch weiter auf 50 Mikrometer verkleinern. Erst dann wären sie klein genug für einen Einsatz im menschlichen Gehirn, zum Beispiel um eine Prothese zu steuern. Völlig offen ist jedoch, wie sie an die richtigen Stellen im Gehirn kommen sollen – und wie sich verhindern ließe, dass sie verrutschen oder das Gehirn verletzen. "Noch sind wir nicht ganz da", gibt Carmena zu. "Aber wenn die klinische Machbarkeit erreicht ist, wird der Neuro-Staub die Elektroden mit Kabeln ersetzen. Dann heißt es, sobald man den Schädel zumacht – ein für alle mal fertig." (bsc)