Jagd auf die Gedanken

Geräte messen schon heute unsere mentalen Zustände. Die Hersteller versprechen, dass wir mit ihrer Hilfe konzentrierter und entspannter werden. Künftig wollen Forscher noch viel tiefer in unsere Gehirne eindringen.

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Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
  • Christian Wolf
Inhaltsverzeichnis
8/2017

Geht es nach Facebook, können wir künftig 100 Wörter pro Minute per Gedankenkraft tippen. Wir würden dafür weder Implantate noch Kabel benötigen. Das wäre fünfmal schneller als eine manuelle Eingabe und auch Spracherkennung. Als Regina Dugan, Leiterin von Facebooks Hardware-Entwicklungsabteilung "Building 8", im April von entsprechenden Forschungen berichtete, war das Medienecho groß. Lange schon geistert der Traum durch die Labore der Hirnforscher und die Fantasie der Menschen. Nun also steckt eine der großen Digitalfirmen Geld und mit 60 Entwicklern auch einiges an Manpower in seine Verwirklichung. Viele sehen darin den besten Beweis für konkrete Fortschritte – zumal in den vergangenen Jahren Geräte auf den Markt gekommen sind, die ein erster Schritt in diese Richtung zu sein scheinen.

Hirnzellen kommunizieren über elektrische Ströme – und die lassen sich durch die Schädeldecke messen. Das Headset MindWave von der amerikanischen Technologiefirma NeuroSky beispielsweise analysiert sie und will dem Nutzer helfen, die Hirnwellen zu beeinflussen. Das Gerät besteht aus einem Kopfbügel, einer Elektrode in Form eines Ohrclips und einer weiteren Elektrode auf der Stirn. MindWave erstellt aus den Hirnströmen ein Elektroenzephalogramm (EEG) und überträgt die Daten per Bluetooth zur Auswertung auf ein Tablet. Per App bekommt der Nutzer eine grafische Rückmeldung über seine Hirnströme in Form von Buttons, die den Grad der Aufmerksamkeit und das Meditationslevel anzeigen. Das Ziel dieses sogenannten Neurofeedbacks ist, entweder aufmerksamer zu werden oder sich zu entspannen.

Auch andere Anbieter haben diesen Markt entdeckt. Die amerikanische Bioinformatikfirma Emotiv preist ihr Gerät Epoc etwa zum Stimulieren und "Tunen" der Hirnaktivität an, während das EEG-Headset Muse des kanadischen Unternehmens Interaxon verspricht, die mentale Fitness zu steigern und Stress zu reduzieren. "Die Verkäufe für das MindWave liegen in Deutschland bei 5000 bis 7000 Stück pro Jahr, weltweit bei schätzungsweise 45000. Muse erreicht ungefähr die Hälfte davon", sagt Hans-Georg Bieschke, Geschäftsführer von Titan Commerce, dem deutschen Vertriebspartner der beiden Firmen.

Die Verfahren haben tatsächlich eine wissenschaftliche Basis. Hirnströme können grundlegende mentale Zustände verraten. Thetawellen gehen mit tiefer Entspannung und Tagträumen einher. Die schnelleren Betawellen hingegen zeugen von Aufmerksamkeit und Wachheit. Der Nutzer probiert verschiedene Strategien zur Entspannung oder Aufmerksamkeitssteigerung aus und bekommt Rückmeldung, ob die jeweilige Taktik aufgeht.

Am besten untersucht ist das Training bei Menschen mit ADHS. Dabei versuchen die Betroffenen mehrere Wochen hindurch beispielsweise, die "konzentrierten" Betawellen zu steigern und die "verträumten" Thetawellen zu reduzieren. In einigen Studien verbesserten solche und andere Programme die Aufmerksamkeit. "Unterm Strich würde ich sagen, dass Neurofeedback bei ADHS eine spezifische und wirksame Therapie ist", sagt Ute Strehl, Psychologin am Uniklinikum Tübingen. Gesunde Probanden schnitten nach einem Neurofeedback-Training bei Aufmerksamkeitstests ebenfalls zum Teil besser ab. "Die entsprechenden Geräte können verschiedene Hirnwellen messen und rückmelden", ist auch Thilo Hinterberger überzeugt, Physiker und Neurowissenschaftler am Universitätsklinikum Regensburg. Anhand bestimmter Algorithmen ließen sich sogar mit einiger Vorsicht Aussagen über Wachheit oder Entspannungszustände machen.

Doch es ist eine Sache, Neurofeedback im Labor anzuwenden, wo Dutzende Elektroden an genau definierten Stellen auf der Kopfhaut angebracht werden. Etwas anderes ist es, auf dem heimischen Sofa mit der Technik zu experimentieren. Je einfacher die Geräte es dem Nutzer machen wollen, umso skeptischer sollte er die Resultate betrachten. "Geräte mit nur einer Elektrode hinter dem Ohr und einer auf der Stirn sind nicht sonderlich brauchbar", sagt Hinterberger. Zwar könne man auch mit einer derart reduzierten Ausstattung Hirnwellen messen und grafisch oder akustisch anzeigen. Doch die Messungen seien anfällig für Störeinflüsse. Zum Beispiel messe man an der Stirn nicht nur Hirnwellen. Vielmehr könnten Muskelspannungen der Gesichtsmuskulatur, ausgelöst durch das Runzeln der Stirn, das EEG-Signal dominieren.

Bei MindWave sollen die Muskelbewegungen laut Hersteller korrigiert werden. "Aber viele kommerzielle EEG-Feedbackgeräte leisten das nicht", sagt Hinterberger. Geräte wie Epoc setzen indes mehr als ein Dutzend Elektroden ein, um an gezielten Punkten über die Großhirnrinde verteilt Signale abzunehmen. "Solche Geräte sind im Vorteil", sagt Hinterberger. "Allerdings besteht hier die Herausforderung darin, die Elektroden an den richtigen Stellen anzubringen." Ob das bei den Heimanwendungen geschehe, sei fraglich.

Es gibt darüber hinaus noch weitere Haken. So können die gemessenen Hirnwellen vieldeutig sein. Thetawellen können nicht nur bei Schläfrigkeit auftreten. Sie tauchen auch an der Schädeloberfläche über dem für das Gedächtnis wichtigen Hippocampus auf, wenn die Denkzentrale neue Informationen speichert. Außerdem kennen die Forscher bislang keine eindeutigen Entsprechungen für meditative Phasen. Von einem EEG-Signal auf einen einzelnen mentalen Zustand zu schließen, ist demnach gar nicht so einfach.