James Lovelock, Umweltforscher und Vertreter der Gaia-These, ist tot

James Lovelock ist im Alter von 103 Jahren verstorben. Im TR-Interview mit ihm im Jahr 2016 erklärte der Brite, dass er beim Klimawandel falsch gelegen hat.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 17 Kommentare lesen

(Bild: Illustration Jack Hudson / © Taschen)

Lesezeit: 10 Min.
Inhaltsverzeichnis

James Lovelock war schon immer ein Außenseiter: Mit einem selbst entwickelten Detektor wies der Chemiker und Biophysiker als einer der Ersten erhöhte Konzentrationen von Fluorchlorkohlenwasserstoffen in der Atmosphäre nach – und gab damit einen entscheidenden Hinweis auf die Mechanismen, die zur Entstehung des Ozonlochs führten. Lovelock selbst hielt die FCKW zunächst für ungefährlich, warnte aber bereits in den 1960ern vor den Folgen des Klimawandels. Er beschrieb die Erde als einen einzigen großen Meta-Organismus, der sich selbst gegen Instabilität wehrt.

Dass diese "Gaia-Theorie" als esoterische Spinnerei abgetan wurde, hinderte Lovelock nicht daran, sich immer wieder mit radikalen ökologischen Positionen in die wissenschaftliche Debatte einzumischen. Später verärgerte der mittlerweile 97-Jährige seine ehemaligen Mitstreiter, weil er sich für Kernkraft aussprach und den Klimawandel mit Geoengineering aufhalten wollte. Nun ist der Brite im Alter von 103 Jahren verstorben. MIT Technology Review veröffentlicht aus diesem Anlass das Interview, das TR-Redakteur Wolfgang Stieler 2016 mit ihm führte. Damals hatte Lovelock gerade sein Buch "Die Erde und ich" veröffentlicht. Darin tritt eine neue Bedrohung an die Stelle der Erderwärmung: die künstliche Intelligenz.

TR: Mr. Lovelock, 2006 haben Sie in Ihrem Buch "Gaias Rache" noch geschrieben, der Klimawandel könnte dazu führen, dass die Menschheit nahezu ausstirbt. Jetzt schreiben Sie das nicht mehr. Warum?

Ich habe etwa 2005 angefangen, "Gaias Rache" zu schreiben. Nahezu alle Wissenschaftler haben damals ein sehr düsteres Bild der Zukunft gezeichnet. Meine Freunde vom Hadley Center für Klimaforschung haben mir gesagt: Was du geschrieben hast, ist nur ein bisschen drastischer als das, was wir auch gern sagen würden. Mit anderen Worten: Ich habe nichts anderes getan, als eine generelle Einschätzung der beteiligten Wissenschaftler aufzuschreiben – auch wenn ich dabei vielleicht ein bisschen energischer war.

Nun haben Sie offenbar Ihre Einschätzung geändert. Was hat Sie dazu gebracht?

Ja, ich habe eine andere Position dazu. Warum auch nicht? Wenn Sie ein Wissenschaftler sind, müssen Sie die Tatsachen beachten. Und es ist ziemlich offensichtlich, dass der Klimawandel sich nicht so abspielt, wie die Modelle ihn vorhergesagt haben. Eine der besten Erklärungen dafür hat Kevin Trenberth geliefert, ein Wissenschaftler am NCAR, dem Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in den USA. Trenberth hat darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Rolle der Weltmeere für das Klima zu verstehen. Die Ozeane speichern 90 Prozent der Energie, die von der Sonne kommt. Die Klimamodelle, die um 2005 gerechnet worden sind, haben die Weltmeere kaum abgebildet – hauptsächlich, weil wir nicht viel darüber wissen.

Für Klimaskeptiker ist Ihr Sinneswandel ein gefundenes Fressen...

Ich habe keinen Zweifel daran, dass die ansteigende Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre einen Wandel des Klimas verursacht. Was jedoch die Geschwindigkeit und die Auswirkungen angeht, was den Verlauf des Klimawandels angeht, haben wir falsch gelegen.

Ihr neuestes Buch "Die Erde und ich" ist nicht nur versöhnlicher. Es sieht auf den ersten Blick auch aus wie ein Kinderbuch. Was wollen Sie damit bewirken?

Das Magazin "Science" hat mich vor langer Zeit gebeten, einen Artikel darüber zu verfassen, wie die Menschheit nach einer Katastrophe wieder auf die Beine kommen könnte. Ich glaube, das war 1996. Ich habe damals geschrieben, das Beste in solch einer Situation wäre ein Buch, das in jedem Haushalt zu finden sein müsste. Ein Buch, das die wesentlichen wissenschaftlichen Grundlagen enthält, die die Menschheit im Lauf der Jahrhunderte erarbeitet hat. Es sollte nichts Kompliziertes enthalten, sondern nur die Grundgedanken. Wenn es eine Seuche gibt, dann müsste in diesem Buch stehen, dass die Ursache dafür keine göttliche Strafe ist, sondern die Ausbreitung von Bakterien oder Viren. Es müsste erklären, wie man mitten im Winter im Wald ein Feuer anbekommt und so weiter – alles, was nötig ist, um die Zivilisation neu zu starten. Marlene Taschen vom Taschen-Verlag hat diesen Text gelesen und mich gefragt, ob ich Interesse hätte, solch ein Buch zu produzieren.

Wenn der Klimawandel nicht die größte Gefahr ist, worauf müssen wir uns dann vorbereiten? Am Schluss des Buches spekulieren Sie über "künstliche Lebensformen", die der Mensch hervorbringen wird.

Das passiert in gewisser Weise bereits. Ich denke, als Computer aufgehört haben, als reine Von-Neumann-Maschinen zu arbeiten, wurde eine Grenze überschritten. Die Von-Neumann-Architektur beruht im Wesentlichen darauf, Probleme Schritt für Schritt abzuarbeiten. Logisch und rational – von der Ursache zur Wirkung. Der aktuelle Ansatz in den Computer-wissenschaften ist aber, neuronale Netze zu verwenden, die aus Erfahrungen lernen können. Kürzlich haben Haitham Baomar und sein Kollege Peter Bentley vom University College London einen Autopiloten für Flugzeuge mit neuronalen Netzen entworfen. Der könnte mitfliegen und so lernen, wie man sich beispielsweise in einem Sturm verhält. Die europäischen Luftfahrt-Aufsichtsbehörden haben darüber diskutiert, lehnen solche Systeme aber ab, weil sie dem menschlichen Piloten zu viel Kontrolle wegnehmen. Also wird das System wahrscheinlich zunächst in militärischen Drohnen erprobt. Ich denke, das ist der erste Schritt. Computer übernehmen die Kontrolle.

Und das halten Sie für gefährlich?

Sie erinnern sich vielleicht noch daran, wie es war, als die Diskussion um Gefahren der künstlichen Intelligenz aufkam. Die Leute haben gelacht und gesagt, wenn eine KI nicht macht, was wir wollen, dann können wir immer noch den Stecker ziehen. Aber wie wollen Sie bei einer militärischen Drohne den Stecker ziehen, die 10.000 Meter hoch über ihren Köpfen fliegt, bis an die Zähne bewaffnet ist und tausendmal schneller denken kann als ein Mensch?

Sie halten es also tatsächlich für wahrscheinlich, dass Maschinen die Kontrolle über uns Menschen übernehmen?

Ich kann Ihnen nicht sagen, was passiert. Natürlich kann man versuchen, die Computer so zu programmieren, dass sie Menschen gegenüber immer freundlich sind. Aber diese Entwicklung öffnet die Tür für den mächtigen Prozess der natürlichen Auslese, kombiniert mit Moores Gesetz. Ein Prozess, der unabhängig von uns Menschen stattfindet.

Das heißt, Sie glauben an die Singularität, den Punkt, an dem wir die Maschinen nicht mehr kontrollieren können, weil sie sich selbst verbessern?

Sie meinen die Idee von Ray Kurzweil, der jetzt bei Google arbeitet? Ich denke, Kurzweil hat konventionelle Computer gemeint, die Von-Neumann-Architektur, über die wir gesprochen haben. Solch ein Computer kann niemals menschliche Fähigkeiten erreichen. Warum nicht? Weil wir Menschen nicht so denken. Wir denken zum großen Teil intuitiv. Die aktuelle Entwicklung in der Computerwissenschaft macht Kurzweils Idee von der Singularität jedoch sehr viel wahrscheinlicher. Das ist eine echte Gefahr.

Sie sind einer der wenigen Wissenschaftler, der ausdrücklich von sich sagt, er denke überwiegend intuitiv und nicht analytisch. Warum ist das so?

Neuronen transportieren Signale 30 Zentimeter weit in einer Millisekunde. Das ist eine Million Mal langsamer als Elektronen in einem Draht. Verglichen mit Computern sind wir also enorm im Nachteil. Aber diese langsame Signalübertragung wird dadurch ausgeglichen, dass Signale über Millionen von Kanälen übertragen werden. Das Gehirn ist ein massiv-paralleles System, das nicht mit einer Abfolge logischer Schlüsse arbeitet. Ich bin ein Erfinder. Mir passiert es immer wieder, dass Leute zu mir kommen und sagen, wäre es nicht toll, wenn es eine Maschine gäbe, die dies oder jenes kann. Und wenn ich denke, das ist interessant, habe ich plötzlich eine Idee, wie das gehen könnte. Wo kommt diese Idee her? Aus ganz vielen Informationen, die ich im Laufe der Jahre aufgenommen habe. Daran ist nichts Übernatürliches. Das Gehirn speichert wichtige Informationen und kann diese über seine parallele Verarbeitung sehr schnell und effektiv miteinander kombinieren. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein steinzeitlicher Jäger und Sammler. Sie sind im Wald, und plötzlich taucht ein Tiger auf. Dann haben Sie keine Zeit, um lange nachzudenken. So hat sich unsere Fähigkeit entwickelt, intuitiv zu reagieren. Aber natürlich braucht man Jahre, um all die Informationen anzusammeln, aus denen spontane Ideen und Problemlösungen entstehen. Ich kann Ihnen das aus eigener Erfahrung sagen, weil ich das mein ganzes Leben lang getan habe.

Verlieren wir diese Fähigkeit, wenn das Internet zur dominierenden Informationsquelle wird? Dort kann man alles nachschlagen, muss also unter Umständen weniger wissen.

Glauben Sie mir, es kann verdammt viel Zeit kosten, etwas nachzuschlagen. Ich denke grundsätzlich, dass man sich den Kopf mit Informationen vollstopfen sollte, jedenfalls solange man jung ist. Kinder sollten die grundlegenden Fakten lernen, bevor sie die Pubertät erreichen. In dieser Zeit saugt das Gehirn Informationen auf wie ein Schwamm. Sie müssen nicht alles verstehen, solange sie sich die Fakten merken. Das Verständnis kommt später, wenn sie es brauchen. Ihr Gehirn wird dafür sorgen. Zumindest bei mir hat das immer so funktioniert.

Letzte Frage: Sie haben mit über 90 noch einen Flug bei SpaceX gebucht. Wollen Sie den immer noch wahrnehmen?

Wie Sie wissen, hat SpaceX Probleme. Nach dem letzten Unfall hat die zuständige Aufsichtsbehörde gesagt, es würde sicherlich noch zwei oder drei Jahre dauern, bis man eine Starterlaubnis für bemannte Flüge erteilen könnte. Dann bin ich 100. Ich fürchte, die werden mich dann nicht mehr als Passagier akzeptieren. Ich würde gern fliegen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich mitnehmen.

(jle)