KI soll uns zu einem erfüllten Arbeitsleben verhelfen

Seite 3: Störungen der Serotonin-Aktivität

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Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse suchen die Ulmer Hirnforscher nach Wegen, um depressiven Patienten den Flow-Zustand wieder zu ermöglichen, darunter eine gezielte Modulation der beteiligten Hirnregion mit Gleichstrom. Denkbar sei auch ein Medikament, das die Serotonin-Aktivität erhöht.

Zu solch drastischen Maßnahmen wollen die KIT-Forscher nicht greifen. Ihnen schwebt lediglich eine KI vor, die Arbeit möglichst "flow-konform" strukturiert. Der Ethiker Oliver Zöllner von der Hochschule der Medien in Stuttgart steht aber bereits solchen Visionen kritisch gegenüber. "Die Flow-Messung am Arbeitsplatz reiht sich ein in Versuche, den Mitarbeiter überwachbar zu machen, um den Leistungsoutput zu kontrollieren", sagt der Leiter des Instituts für Digitale Ethik. "Vordergründig heißt es dann, das sei zum Wohle des Mitarbeiters, damit der weder unterfordert noch überfordert ist." Doch das Versprechen, mehr aus dem Potenzial von Mitarbeitern herauszuholen, bedeutet ihm zufolge in Wahrheit: noch mehr Output rausholen.

Mädche widerspricht: "Wir wollen nicht nur die Performance der Mitarbeiter optimieren, sondern wissen, in welchen Umgebungen Menschen überhaupt in den Flow kommen können." Der Zustand sei ein starker Indikator dafür, dass Mitarbeiter ihre Aufgaben als sinnvoll erleben. Das könne die Arbeit mit Informationssystemen für viele Menschen angenehmer und erfüllender machen, sagt er. Mädche verweist auf die Feldstudie bei SAP. Dort trugen Programmierer eine Woche lang einen Sport-Brustgurt und füllten zwischendurch immer wieder Flow-Fragebögen aus. Im Nachgang der Studie wurde den Mitarbeitern auf einem "Flow-Dashboard" gezeigt, bei welchen Aufgaben ihre Fragebogen-Antworten einen Flow nahelegten. Das hätten die Mitarbeiter selbst als sehr nützliches Feedback für ihre Arbeit empfunden. Selbst der Betriebsrat bei SAP habe die Flow-Messung als Chance verstanden.

Denn kein Flow bedeutet oft auch: Unterforderung. Csíkszentmihályi zufolge verlangt der Zustand eine Aufgabe, an der man seine Leistung stetig steigern kann. "Wenn die Aufgabe es nicht mehr zulässt, dass man die Anforderungen immer wieder etwas höher legt, dann wandert man irgendwann in den Bereich der Unterforderung und damit der Langeweile und der grübelnden Selbstreflexion", betont Georg Grön. Das sei ein Grund dafür, warum etwa Sportler oder Musiker seit jeher häufig vom Flow berichten. Das hat allerdings einen Preis: Im Flow geht auch eine Quelle der Kreativität verloren: das "produktive Tagträumen", wie Grön es nennt, das manchmal zu Heureka-Momenten führe. Statt permanent im Flow zu sein, brauche es deshalb ein Wechselspiel zwischen Problemlösung und optimaler Performance.

Ich bin eindeutig beim Problemlösen hängen geblieben. Die Auswertung meiner Herzrhythmusdaten und Fragebogenantworten hat ergeben, dass ich zwar 10 von 13 Aufgaben korrekt erledigt habe. Aber im Fragebogen habe ich nur 2,5 von 7 möglichen Punkten erreicht und lag damit deutlich unter dem mittleren Flow-Wert (4,41) der anderen Teilnehmer. Meine HRV-Daten dagegen waren nicht auswertbar, weil ich Aussetzer im Herzschlag (Extrasystolen) hatte, was viele Menschen haben. Es gibt also noch Raum zur Optimierung. "Wir müssen das System jetzt erst mal so weit kriegen, dass es den Flow zuverlässig misst", betont Mädche. Wie es dann eingesetzt wird, müsse natürlich auch unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden.

Bislang sind Messungen physiologischer Daten ohne explizite Zustimmung des Betroffenen nur zulässig, wenn sie zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken bei der Arbeit dienen. Seit Mai 2018 ist zudem auch die Datenschutz-Grundverordnung zu beachten. Der Sorge vor einem Missbrauch der erhobenen Daten begegnen die Karlsruher Forscher mit dem Hinweis, dass individuelle Flow-Daten bisher nur den Mitarbeitern selbst zugänglich sind. Mögliche teamweite Analysen müssten dagegen anonymisiert werden. Mario Nadj betont, dass das KIT bei Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen ein besonderes Augenmerk auf den Datenschutz und die Anonymisierung der Daten legt.

In Karlsruhe sind weitere Feldstudien geplant, unter anderem beim Medizinbedarfsunternehmens B. Braun Melsungen. In Zukunft könnten dabei auch physiologische Flow-Signale genutzt werden, wie Hautleitfähigkeit, oder auch EEG und Eyetracking (allerdings nicht bei B. Braun). Finanziell gefördert wird Professor Mädches Gruppe dabei unter anderem vom Projekt Kern des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Unter den richtigen Rahmenbedingungen kann selbst Oliver Zöllner sich mit einer Flow-Messung anfreunden. Er plädiert aber dafür, den Fokus künftig weniger auf die Optimierung des Menschen zu legen. "Wir sollten aufhören, Langeweile und Tagträumen am Arbeitsplatz immer als negativ zu bewerten", sagt er. "Ganz alltäglicher Langeweile entspringen immerhin manchmal die besten Ideen."

(wst)