Kampf dem Verkehrsinfarkt

Seite 2: Kampf dem Verkehrsinfarkt

Inhaltsverzeichnis

Diesem Ansatz ähnlich ist ein Verkehrskonzept, das ein Team um den Informatiker Martin Middendorf von der Universität Leipzig für denkbar hält: So genannte Ameisen-Algorithmen könnten künftig helfen, den Verkehr besser im Fluss zu halten. "Diese Algorithmen beschreiben mathematische Optimierungsverfahren, die sich Lösungsstrategien zu Nutze machen, welche Ameisen bei der Futtersuche verwenden", erklärt Middendorf.

Bisher werden sie eingesetzt, um Routingpfade im Internet zu optimieren. Dazu werden beispielsweise spezielle Datenpakete, so genannte elektronische Ameisen, von einem definierten Anfangs- zu einem definierten Zielpunkt gesendet, stoppen ihre Laufzeit – und "laufen" den selben Weg wieder zurück, auf dem sie gekommen sind. Da jede Datenameise auf einem anderen Datenpfad vom Start zum Ziel gelangt, ergeben sich unterschiedliche Laufzeiten. Wie ihre realen Vorbilder markieren die programmierten Ameisen auf ihrem Rückweg nun jeden Router-Abzweig unterschiedlich stark mit so genannten elektronischen Pheromonen – abhängig davon, wie schnell sie waren.

Je stärker diese flüchtige künstliche Duftmarke ist, desto mehr ihrer Nachfolger erkennen, auf welchem Weg sie am schnellsten ans Ziel kommen – und wählen diesen so lange bevorzugt, bis sich dort ein Datenstau bildet. Da die elektronischen Ameisen auf diesem Weg nun länger unterwegs sind, wird er weniger markiert; die künstlichen Tierchen favorisieren einen anderen Pfad. Auf diese Weise pendelt sich nach einiger Zeit ein Gleichgewicht ein, das die Ameisen ohne Stau über jeweils unterschiedliche Routen zum Ziel schickt – und somit den schnellsten Gesamtdatenfluss gewährleistet.

"Über eine intelligente Infrastruktur, die den Autos per Funk sagen könnte, wo sie abbiegen sollen, wäre es in Zukunft vielleicht möglich, den Verkehr so zu steuern, dass Staus vermieden werden und alle auf dem für das Gesamtsystem schnellsten Weg ihr Ziel erreichen", hofft Middendorf.

An solcher Car-to-Infrastructure- und Car-to-Car-Kommunikation werde bereits geforscht, sagt BASt-Mann Rittershaus."Das wird kommen, die große Frage ist nur: wann?", sagt der Telematiker. In näherer Zukunft sollen zunächst so genannte "Floating Car Data"-Pakete die Streckenempfehlungen noch genauer machen. Die Idee dahinter: Jedes Fahrzeug funkt seine aktuelle Position und Geschwindigkeit per GPS-Sensor in eine Zentrale, um so den Verkehrsfluss in Echtzeit abzubilden. Dabei gebe es aber noch rechtliche Hürden, sagt TU Graz-Verkehrsexperte Fellendorf: Jeder Fahrer müsste bereit sein, zu jeder Zeit seinen aktuellen Standort preiszugeben. Außerdem ist völlig ungeklärt, wer diese Maßnahme zahlen würde.

Um diese Probleme zu umgehen, hat der bekannte Navigationsgerätehersteller TomTom vor kurzem im niederländischen Brabant einen Versuch durchgeführt, bei dem die Verkehrsdaten anonymisiert aus GSM-Rohsignaldaten von Handys ermittelt wurden. "In den Niederlanden wird diese Technologie bei den Navigationsgeräten bereits eingesetzt, auch für Deutschland soll in naher Zukunft eine Markteinführung folgen", sagt TomTom-Sprecherin Sarah Schweiger. "Floating Phone Data ist ein interessanter Ansatz, der auch in anderen Ländern bereits erprobt wurde", kommentiert Rittershaus.

Heute setze man vielfach noch auf Induktionsschleifen in der Straße. Diese Sensoren bauen ein Magnetfeld definierter Größe auf – fährt ein Auto darüber, wird das Feld gestört und das Fahrzeug somit detektiert. Zudem werden so genannte Überkopfsensoren eingesetzt, die an Verkehrsüberführungen oder Schilderbrücken angebracht sind und mit Hilfe von Mikrowellen, Radar- oder Lasersensoren den Verkehr überwachen.

Mit solch genaueren Daten versorgte Navigationsgeräte wären aber im Sinne zukunftsweisender Mobilität am wirksamsten, wenn sie gleichzeitig auch öffentliche Verkehrsmittel mit einbeziehen würden, sagt der Grazer Verkehrsexperte Fellendorf. Die Empfehlung, etwa besser die Bahn zu nehmen, müsse mit portablen Geräten passieren und zwar bevor man im Auto sitzt – sonst gewinnt die Bequemlichkeit. Unter dieser Voraussetzung kann auch TU Wien-Verkehrsexperte und erklärten Auto-Gegner Knoflacher dieser Technologie etwas Positives abgewinnen.

Sonst halte er die Entwicklung von noch mehr Navigationstechnik für einen Fehler. Sie erhöhe eher den Reiz zum Autofahren, da man sich in der falschen Sicherheit wiegt, schneller anzukommen. Fahren dadurch mehr Autos auf den Straßen, staue es sich zwangsläufig auch mehr. Die Lösung des Verkehrsproblems liegt für ihn die Einschränkung des Parkraumes: "Wenn die Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs nicht weiter entfernt liegen als der eigene Parkplatz und man auch nicht erwarten kann, am Zielort einen attraktiven, nahe gelegenen Haltepunkt vorzufinden, würde man sich automatisch intelligenter verhalten. Und die Bahn nehmen." (bsc)