Kernfusion: Wie Start-ups die Kraft der Sonne zähmen

Seite 3: Praktische Umsetzung

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Damit die Laserleistung eines CPA-Lasers das Verstärkermedium eben nicht zerstört, wird der Laserpuls zeitlich gedehnt und dann wieder gestaucht, indem man die verschiedenen Frequenzbestandteile des Pulses mit Hilfe optischer Gitter verschieden lange Wege zurücklegen lässt. Das hat zur Folge, dass Licht mit kurzer Wellenlänge vom Licht der jeweils anderen Frequenzen getrennt verstärkt wird. Die Intensität dieses Lichtes bleibt jeweils unter dem Schwellwert, der das Verstärkermedium zerstören würde und am Schluss – für den Schuss – werden alle Frequenzen wieder zusammengesetzt.

Ein Laserspuls (1) wird durch Beugungsgitter (2) zeitlich gedehnt. Die unterschiedlichen Frequenzen des Pulses werden nacheinander verstärkt (3) und durch ein zweites Paar optischer Gitter (4) wieder komprimiert.

(Bild: ©Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)

Was auf dem Papier simpel aussieht, ist es in der Praxis leider nicht. Korn weiß das, denn er hat mitgeholfen, einen der leistungsstärksten Pulslaser der Welt zu bauen. 15 Kilometer südlich von Prag, im ELI Beamlines-Forschungszentrum – ELI kürzt das europäische Forschungsprojekt "Extreme Light Infrastructure" ab – steht ein Laser, der einen Puls mit zehn Petawatt Leistung von etwa 100 Femtosekunden Länge hervorbringt. Peta steht für 1015 – eine Million Milliarden, Femto steht für 10-15, das Millionste Teil eines Milliardstels – also ungeheuer viel Energie in unvorstellbar kurzer Zeit.

Petawatt-Laser: Am ELI-Forschungszentrum im rumänischen Mgurele hat Thales den stärksten Laser der Welt aufgebaut. Diese dritte Verstärkerstufe hier im Bild verstärkt das Licht auf 340 Joule. Der Laserpuls hat danach eine Leistung von zehn Petawatt.

(Bild: Lawrence Livermore National Laboratory)

"Wenn Sie eine Taschenlampe anknipsen, läuft das Licht dieser Lampe in einer Sekunde von der Erde zum Mond", sagt Korn. "Wenn sie die Lampe zehn Femtosekunden lang anmachen, bewegt sich der Puls nur um Haaresbreite. Das ist eine Scheibe aus Licht, ein paar zehn Mikrometer dick." Es sind diese extremen Eigenschaften, die solche Laserpulse zu spannenden physikalischen Instrumenten in der Materialforschung, Medizin, Plasmaphysik aber auch der physikalischen Grundlagenforschung machen. Im Verbundprojekt ELI entstehen insgesamt vier Forschungszentren, die sowohl extrem schnelle Vorgänge im Bereich von Attosekunden beleuchten, als auch physikalische Phänomene unter bisher nicht gekannten Energiedichten. "Durch so einen fokussierten Laserpuls entstehen Feldstärken, mit denen können Sie jedes beliebige Material ionisieren", sagt Korn. "Damit können wir irgendwann vielleicht sogar das Vakuum selbst aufbrechen" – und so vielleicht neue Erkenntnisse über die Struktur unseres Raumzeitgefüges gewinnen.

Georg Korn, der Laserspezialist von Marvel Fusion, hat am ELI in Tschechien einen Petawatt-Laser mit aufgebaut.

(Bild: Marvel Fusion)

Korn und seine Kollegen haben aber ein mehr praktisches Interesse. Sie wollen nun einen ganz ähnlichen Laser wie den bei Prag bauen – nur noch ein bisschen besser, denn der ELI-Laser kann nur einmal pro Minute feuern. Ihr neuer Laser soll am besten zehn Schuss pro Sekunde abfeuern können. In "drei bis fünf Jahren" soll die Test Facility stehen, sagt Korn. Erst dann wird Marvel Fusion in Experimenten final zeigen können, ob die Idee hinter ihrem Reaktor wirklich funktioniert. Denn bislang wurden die dafür benötigten Quanteneffekte nur in Computersimulationen nachgewiesen. Allerdings, betont Schlesinger, in zwei voneinander komplett unabhängigen Simulationen, die auf unterschiedlichen physikalischen Annahmen und Gleichungen beruhen.

Ist das Kraftwerk von Marvel Fusion also nur eine kühne Vision? Nein, denn tatsächlich ist es russischen Physikern bereits 2005 zum ersten Mal gelungen, eine Proton-Bor-Fusion mit Hilfe von Lasern im Labor zu zünden. Ein Team von Forschern um Vadim Belyaev vom Zentralen Forschungsinstitut für Maschinenbau in Korolev beschoss dafür Bor-haltige Polyethylen-Pellets mit Laserpulsen, die etwas mehr als eine Billionstel Sekunde dauerten. Seitdem haben auch andere Forscher in gut einer Handvoll Fälle Protonen und Bor verschmolzen und die Ausbeute an Alphateilchen jedes Mal gesteigert. Zuletzt berichtete ein internationales Team Mitte 2020 darüber.

Was genau sich im Inneren des Pellets abspielt, ist jedoch noch immer nicht komplett verstanden. Nach aktuellen Computersimulationen sieht das Drehbuch etwa wie folgt aus: Ist der Laserpuls schnell und intensiv genug, beschleunigt sein elektrisches Feld Elektronen im Pellet. Diese Ladungsverschiebung wiederum erzeugt selbst ein starkes elektrisches Feld, das Protonen von der Pelletoberfläche nach innen schubst, während die Bor-Kerne sich wegen ihrer hohen Masse kaum bewegen. Ist die Intensität des Laserpulses hoch genug, bekommen die Protonen genug Energie, um die Abstoßung der Bor-Kerne zu überwinden und mit ihnen zu fusionieren.

Heiße Zeiten: Fusionsenergie

Das kanadische Unternehmen General Fusion will Plasma mit einem Kompressor aus flüssigem Metall verdichten, um eine Fusion zu zünden. Nach eigenen Angaben ist ihnen dies in ersten Versuchen bereits gelungen.

(Bild: General Fusion)

Jahrzehntelang galt die Nutzung von Fusionsenergie als kühne aber ferne Zukunftsvision. Doch viele Unternehmen setzen darauf, dass diese Zukunft schneller kommen könnte als bisher gedacht.

Fusionsenergie? War das nicht diese Fata Morgana der Energiezukunft? Eine nahezu unerschöpfliche, saubere Energiequelle – die aber frühestens in 50 Jahren zur Verfügung steht? Falsch, sagen immer mehr Forschende – und Unternehmen. So erarbeiteten hunderte von Wissenschaftlern in den USA einen technischen und organisatorischen Zeitplan, eine „Roadmap to Fusion Energy“, die im März 2020 veröffentlicht wurde.

Der Optimismus, der darin zum Ausdruck gebracht wird, hat einen soliden, technisch-wissenschaftlichen Hintergrund, denn in den vergangenen Jahren konnte die Fusion beachtliche Fortschritte verzeichnen. So gelang es beispielsweise im November 2020 Wissenschaftlern am koreanischen KSTAR-Reaktor (Korea Superconducting Tokamak Advanced Research) 20 Sekunden lang ein Plasma mit einer Temperatur von über 100 Millionen Grad aufrechtzuerhalten.

Hätten die koreanischen Forscher ihren Reaktor mit Deuterium und Tritium gefüllt, hätte das mit Sicherheit genügt, um eine spektakuläre Fusionsreaktion zu zünden. Der KSTAR ist darauf jedoch nicht ausgelegt. Im Europäischen Forschungsreaktor JET soll genau das noch in diesem Jahr allerdings tatsächlich passieren. Die Forscher dort wollen zum einen die sichere Handhabung von Tritium üben. Tritium, radioaktiver Wasserstoff mit einem Proton und zwei Neutronen im Kern, ist nicht nur extrem selten und teuer – das Gas kann auch in Atombomben als Verstärker verwendet werden und unterliegt deshalb einer strengen Kontrolle. Zum anderen wird die Wand eines Fusionsreaktors durch das Neutronen-Bombardement während der Fusion extrem belastet und radioaktiv. Das Experiment soll testen, ob die Reaktorwand den enormen Belastungen wirklich Stand hält.

Die Resultate sind nicht nur essenziell für das internationale Forschungsprojekt ITER, bei dem 2020 nach langer Verzögerung mit dem Bau des eigentlichen Reaktors begonnen wurde und der frühestens 2035 den Betrieb aufnehmen soll. Von den Erkenntnissen werden auch zahlreiche kleinere Unternehmen profitieren, die kleine Reaktoren entwickeln und sehr viel schneller zum Ziel kommen wollen.

Der Vorteil kleiner Anlagen ist, dass sie schneller neue technische Entwicklungen nutzen können – wie zum Beispiel Hochtemperatur-Supraleiter für kompakte, aber extrem starke Magnete, die das Plasma einschließen. Das britische Unternehmen Tokamak Energy, das bis 2025 einen funktionierenden Fusionsgenerator vorweisen will, hat in seinem kompakten Generator „ST40“ einen Hochtemperatur-Supraleiter-Magneten eingebaut, der mit 24 Tesla eine Weltrekord-Feldstärke erreicht.

Auf supraleitende Spulen mit extrem starken Feldern setzen auch die Entwickler bei Commonwealth Fusion System (CFS), einem Spin-off des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Forscher wollen bereits in vier Jahren ein Forschungszentrum errichten und haben dafür 300 Millionen Dollar von Investoren wie Bill Gates und Jeff Bezos eingesammelt.

Dazu kommen diverse Unternehmen, die auf andere, exotischere technische Ansätze setzen. Das US-Unternehmen Trip Alpha beispielsweise – mittlerweile TAE – will Wasserstoff und Bor verschmelzen, weil dabei keine Neutronenstrahlung entsteht. Dazu will TAE Plasmaringe erzeugen, die sich mit ihren eigenen, selbst erzeugten Magnetfeldern stabilisieren. Und das kanadische Unternehmen General Fusion will Plasma mit Schockwellen so verdichten, dass dabei eine Fusion zündet. All diese Ansätze sind zwar noch einige Jahre von funktionierenden Prototypen entfernt. Dass private Investoren in diese Technologie so viel Geld pumpen, gibt jedoch Anlass zu Optimismus.

Das klingt zunächst gut, ist jedoch nur die halbe Miete – gewissermaßen ein kleines Fusions-Flämmchen, das nach einigen Nanosekunden wieder erlischt, denn die bei der Fusion entstehenden Alpha-Teilchen fliegen auseinander und tragen ihre Energie mit sich aus dem System. Einige Forscher wie der mittlerweile emeritierte israelische Laserforscher Shalom Eliezer glauben, dass man unter günstigen Bedingungen dafür sorgen kann, dass diese frei werdenden Alpha-Teilchen weitere Fusionsreaktionen auslösen – eine Art Kettenreaktion.

Diese Theorie werde jedoch "von vielen Wissenschaftlern nicht akzeptiert", schreibt Eliezer. Das australische Unternehmen HB11 Energy, das vom deutsch-australischen Plasmapyhsiker Heinrich Hora gegründet wurde, setzt trotzdem darauf, will das gezündete Plasma mit einem Magnetfeld eindämmen, um die Energie im Plasma zu behalten. Andere Forscher setzen auf zwei schnelle Pulse, die sie dicht hintereinander abfeuern wollen. Marvel Fusion bringt an dieser Stelle sein "nanostrukturiertes Target" ein, will aber wegen Schutz des geistigen Eigentums nicht mehr verraten. Doch auch die "Prozesse aus dem Inneren einer Supernova" auf die Schlesinger sich dabei beruft, sind noch immer nicht vollständig verstanden.