Wie sich das Kino gegen die Streaming-Konkurrenz wehrt

Nicht nur die Pandemie hat den Kinos zugesetzt. Die Lichtspielhäuser stecken in einem strukturellen Problem. Da sind neue Konzepte fürs Überleben gefragt.

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Die Redewendung „auf die Leinwand bringen“ stimmt in diesem Fall nicht mehr: Der Film läuft auf großen, randlosen Displays von Samsung., Foto: Pavel Losevsky/Samsung

Die Redewendung „auf die Leinwand bringen“ stimmt in diesem Fall nicht mehr: Der Film läuft auf großen, randlosen Displays von Samsung.

(Bild: Pavel Losevsky/Samsung)

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Udo Flohr
Inhaltsverzeichnis

Das lineare Fernsehen, Videostreaming-Plattformen und soziale Netzwerke ringen in Zeiten des medialen Überangebots um die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Die Einbindung der Inhalte von TV-Kanälen auf Streaming-Plattformen sorgen für weitere Verzahnungen im Medienangebot. So hat etwa YouTube USA damit begonnen Nutzern Fernsehkanäle mit Filmen und Fernsehserien mit Werbeeinblendungen kostenlos zur Verfügung zu stellen. In diesem Gemengelage hat jedoch besonders das Kino eine schwierige Position.

Seit Jahrzehnten nimmt die Gesamtzahl der Kinozuschauer in Europa und Nordamerika ab. Seinen Höhepunkt erlebte das deutsche Kino in den 1960er-Jahren. Durch Preiserhöhungen und Multiplex-Kinos konnte die Branche ihren Gesamtumsatz bisher zwar weitgehend konstant halten, und auch der Kino-Boom in Asien half, den Abwärtstrend zu bremsen. Doch Corona brachte dieses trügerische Gleichgewicht ins Wanken. Die Umsätze brachen um rund 70 Prozent ein. In Deutschland und den USA gelang es noch, nicht zuletzt dank großzügiger staatlicher Hilfen, Schließungen zumindest bei kleineren Kinos weitgehend zu vermeiden. Doch der mit rund 10.000 Kinos weltgrößte Betreiber AMC hielt sich nur mit Überbrückungskrediten über Wasser und steht womöglich vor dem Konkurs. Anderen Ketten geht es ähnlich.


Dieser Text erschien erstmals in der Ausgabe 1/2022 von MIT Technology Review unter dem Titel "Schwimmen gegen den Stream" (im heise shop bestellen). Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle frei lesbar.


"Wir haben es mit einer strukturellen Krise des Kinos zu tun", sagt Lars Henrik Gass, Chef der Kurzfilmtage Oberhausen, "nicht mit einer temporären, pandemiebedingten." Bereits 2017 hatte etwa Stefan Paul, Betreiber des Tübinger "Arsenal"-Kinos, Alarm geschlagen: "Die junge Generation haben wir schlichtweg verloren." Der Kulturort Kino gehe selbst in seiner kulturorientierten Stadt "an der Studentenschaft vorbei".

Veränderte Gewohnheiten, aufkommende Streaming-Dienste, und jetzt auch noch Corona – über der Kino-Branche braut sich offenbar so etwas wie ein perfekter Sturm zusammen. Gefühlt war die Geschichte des Kinos allerdings von Beginn an eine des Totgesagtwerdens. Filmemacher und Kritiker sahen schon die Anfänge des "Sprechfilms" als Entzauberung: "abgefilmtes Theater", wetterte Medienwissenschaftler Rudolf Arnheim seinerzeit; lediglich den Stummfilm hielt er für Filmkunst in reinster Form.

Gleichzeitig veränderte der Wegfall von Piano-Begleitung oder gar Live-Orchestern den Erlebnischarakter des Kinos. Schien es zunächst angetreten, um Theater, Oper und Konzert das Wasser abzugraben, sah es sich bald selbst unter Druck. Die Kino-Wochenschau musste zunehmend mit anderen Nachrichtenmedien wie Radio und Fernsehen konkurrieren, später kamen Videokassette, DVD und Blu-ray hinzu.