Klimaneutralität: Wie Deutschland die grüne Null erreichen kann

Seite 4: Straße und Ernährung

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28 bis 40 Millionen batterieelektrische Autos erwarten die Studien bis 2050 auf deutschen Straßen. Verbrennungsmotoren, Plug-In-Hybride und Brennstoffzellen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Das UBA skizziert die Entwicklung so: "Ab 2040 werden nur noch Elektro-Pkw neu zugelassen. 2050 gibt es in den Städten keinen signifikanten Pkw-Besitz mehr.“ Insgesamt gehe die Anzahl der Privatwagen – einschließlich Sharing-Fahrzeuge und Taxis – um circa zwei Drittel zurück." Ursachen dafür seien unter anderem eine "dichtere Besiedlung" und eine "geänderte Verkehrsmittelwahl".

Die Agora Energiewende sieht das ebenso: "Die persönliche Mobilität bleibt vollständig erhalten, aber sie verändert sich. Die Menschen fahren deutlich mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie dem Rad und gehen zu Fuß."

Wie realistisch sind solche Verzichtsszenarien? Einen Hinweis darauf könnten die Autozulassungen liefern. Schon seit Mitte der Neunziger steigt Jahr für Jahr der Marktanteil von Stadt-Geländewagen (SUVs). Mittlerweile liegt er bei knapp 24 Prozent. Sämtliche Klimadebatten und Fridays-for-Future-Demonstrationen haben den Trend nicht brechen können. Kleinere und sparsamere Autos würden zwar keinerlei Einschränkung des Nutzwerts und der persönlichen Bewegungsfreiheit bedeuten. Doch großen Teilen der Bevölkerung ist eine etwas höhere Sitzposition offenbar wichtiger als ein niedriger CO2-Ausstoß.

Das Fraunhofer ISE setzt in seinem Suffizienz-Szenario zudem einen Rückgang der „Tonnenkilometer“ im Güterverkehr um 21 Prozent voraus. Angesichts des wachsenden Online-Handels erscheint es ebenfalls wenig plausibel, warum sich der Trend zum stetig wachsenden Güterverkehr umkehren sollte. Weitgehende Einigkeit herrscht in den Szenarien jedenfalls darüber, dass an flüssigen Brennstoffe beim Güterverkehr sowie bei Schiffen und Flugzeugen kein Weg vorbeiführt. Im 95-Prozent-Szenario des BDI sind 2050 etwa ein Drittel der LKW mit Batterie oder Brennstoffzellen, der Rest mit Verbrennungsmotoren, die überwiegend mit synthetischem Sprit gefüttert werden. Das sehen die anderen Studien ähnlich. Lediglich das Fraunhofer ISE erwartet eine "Power-to-Fuel"-Quote von lediglich 12 Prozent (neben 49 Prozent aus fossilen Quellen und 39 Prozent aus Biomasse).

Eine wichtige Rolle sehen sowohl BDI, UBA als auch Agora Energiewende in Oberleitungen für Lkw. "Trotz der erforderlichen Infrastrukturinvestitionen ist diese Option aktuell der kostengünstigste Weg zur Treibhausgas-Reduktion", heißt es in der BDI-Studie. 8.000 Kilometer würden rund 91 Prozent des heutigen Güterverkehrs auf Autobahnen abdecken.

Auf einen besonderen Aspekt des Flugverkehrs machen die Scientist for Future aufmerksam: „Er verursacht insbesondere durch verstärkte Wolkenbildung einen deutlich höheren Treibhausgaseffekt als durch die reinen CO2-Emissionen. Aus diesem Grund kann eine Reduktion des Flugverkehrs durch gute Alternativangebote überproportional zum Klimaschutz beitragen. Eine rein CO2-neutrale Herstellung von synthetischem Kerosin führt nicht zur Klimaneutralität.“

2050 batterieelektrische Autos
Agora 30 Millionen
BDI 28 Millionen
ISE 40 Millionen

Für das Fraunhofer ISE bleibt Biomasse eine wichtige Säule der Energieversorgung. Im "Suffizienz"-Szenario beträgt der Anteil von Biogas im Gasnetz 47 Prozent, der von Biosprit bei den flüssigen Treibstoffen 39 Prozent. Allerdings solle diese Biomasse für genau definierte Anwendungen reserviert werden, für die es wenige praktikable Alternativen gebe. Zum Heizen oder zur Warmwasserbereitung spiele Biomasse im Jahr 2050 "nahezu keine Rolle" mehr. "Aus systemischer Sicht erscheint es kostengünstiger, die Biomasse für die Bereitstellung von Prozesswärme und zur Herstellung von flüssigen Kraftstoffen oder Biogas einzusetzen", argumentiert das ISE. Auch die BDI-Studie spricht sich dafür aus, Biomasse vor allem für die Prozesswärme in der Industrie einzusetzen. Dort könne sie "mit hohem Wirkungsgrad am effektivsten umgesetzt werden".

Die Agora sieht eine besondere Rolle für Biomasse in Verbindung mit der CO2-Einlagerung vor (BECCS, "Bioenergy with carbon capture and storage"): Wird sie zur Energiegewinnung verbrannt und das dabei entstehende Kohlendioxid aufgefangen und eingelagert, ist das Ganze nicht nur CO2-neutral, sondern CO2-negativ – es werden also langfristig Treibhausgase aus der Atmosphäre entnommen. "Gerade die hohen kontinuierlichen und räumlich konzentrierten Wärmebedarfe der Stahl- und chemischen Industrie bieten hier die Möglichkeit, Biomasse in großem Stil einzusetzen", heißt es in der Agora-Studie.

Umweltbundesamt und Scientist for Future sehen Biomasse hingegen eher kritisch. "Der Ausstieg aus der energetischen Nutzung von Anbaubiomasse hat mittelfristig zu erfolgen, um Umwelt, Natur und Biodiversität zu stärken", schreibt das UBA. Stattdessen seien verstärkt "biogene Abfall- und Reststoffe" zu nutzen. Die Scientists for Future argumentieren: "Biomasse in Form von Energiepflanzen zu nutzen, ist ineffizient und steht im Konflikt mit anderen Arten der Landnutzung" – etwa dem Anbau von Nahrungsmitteln, dem Naturschutz und der CO2-Senke. Aus anderen Ländern sollte nur Biomasse aus kontrolliert nachhaltigem Anbau importiert werden.

Das aber erfordere "extrem große Investitionen im Ausland". Biomasse sei eine "ungesicherte Option auf die Zukunft", folgern die Scientists for Future, und könne "voraussichtlich nur in geringem Ausmaß zur klimaverträglichen Deckung des globalen Energiebedarfs beitragen". Für die Energieerzeugung hätten Wind- oder Solarparks eine "wesentlich höhere Flächennutzungseffizienz". Biomasse solle deshalb hauptsächlich als Rohstoff für die Baubranche oder die chemische Industrie benutzt werden.

Alle Studien sind sich einig, dass die Tierhaltung reduziert werden muss, um die Klimaziele zu erreichen. Was das für den Fleischkonsum des einzelnen bedeutet, hat das Umweltbundesamt konkretisiert: Im GreenSupreme-Szenario setzt es für den Fleischkonsum wöchentlich 300 Gramm Fleisch pro Person an. Das entspricht zwei bis drei Hamburgern – mehr nicht. Zudem soll 15 Prozent weniger Frischmilch getrunken werden, da sich mehr Menschen vegan ernähren.

Auch die BDI-Studie hält eine rund 30-prozentige "Reduzierung von Emissionen im Tierbestand" bis 2050 für nötig. Zusätzlich macht sie sich auch Hoffnung auf Futtermittelzusätze, die den Methanausstoß von Rindern um etwa 30 Prozent senken könnten ("Methanpille"). "An solchen Zusätzen wird derzeit aktiv geforscht", heißt es in der Studie. "Sie sind jedoch nicht in allen Fällen mit dem EU-Recht konform."