Kraftwerk mit Doppelherz

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Natürlich, meint der Erfinder, das sei eines der Grundkriterien gewesen. Schließlich solle sein Kraftwerk nicht der ökonomischen Entwicklung und vermehrten Einbindung von erneuerbaren Energien im Weg stehen. Ein GuF-Kraftwerk mit einer Leistung von 500 Megawatt (MW) könne innerhalb von rund zehn Minuten mit voller Leistung einspeisen – und damit sogar die bereits sehr flinke GuD-Konkurrenz hinter sich lassen. Und dann wäre da noch die Möglichkeit, Stromüberkapazitäten aus Windkraftwerken aufzunehmen, als Druckluft zu speichern und mit 86 Prozent Wirkungsgrad nach Bedarf wieder ins Netz abzugeben. Westmeier weiß natürlich, dass sich alle Vorteile zusammen zu gut anhören, um nicht angezweifelt zu werden. "Ich lasse mein Konzept gern jederzeit prüfen", sagt der Physiker. Nicht nur er selbst, auch sein Unterstützer Matthias Krause, habilitierter Kraftwerksexperte und Technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Halle, habe es unzählige Male durchgerechnet. Bis heute hätten beide keinen grundsätzlichen Fehler entdecken können. "Da ist kein Trick – im Prinzip habe ich nur bekannte Technologien, leicht modifiziert, neu miteinander verknüpft."

Wie bei einem konventionellen GuD-Kraftwerk produziert auch bei Westmeier zunächst eine mit Erdgas befeuerte Gasturbine Strom. Anders als üblich, will er für die Verbrennung reinen Sauerstoff einsetzen und, damit die Flamme nicht zu heiß wird, 80 Prozent CO2 beimischen. "Da der Stickstoffanteil der Luft ersetzt wird, können giftige und klimaschädigende Stickoxide (NOx) gar nicht erst entstehen", erklärt Westmeier. Das Abgas besteht fast nur noch aus CO2 und Wasser. Letzteres könne durch Abkühlung des heißen Volumenstroms weit- gehend auskondensiert werden, so der Erfinder, "das verbleibende CO2 wird verflüssigt, komprimiert und unter der Erde, etwa in einer Salzkaverne, zwischengespeichert."

Aus diesem unterirdischen Reservoir entnimmt das GuF-Kraftwerk das CO2 als Arbeitsmedium für seinen nachgeschalteten Dampfkreislauf. Es wird vom Abgasstrom der Gasturbine auf rund 600 Grad Celsius erhitzt, treibt eine weitere Turbine an, die wiederum elektrische Energie produziert und die Stromausbeute weiter steigert. Dass der Gesamtwirkungsgrad des GuF-Kraftwerks dabei, zumindest rechnerisch, astronomische 86 Prozent erreicht, liegt vor allem an den Eigenschaften des Kohlendioxids. "Es nimmt im Dampfkreislauf den thermodynamisch sehr günstigen überkritischen Zustand ein", sagt Westmeier. Will sagen: In diesem Zustand hat das CO2 zwar eine ebenso hohe Dichte wie eine Flüssigkeit, aber einen ähnlich niedrigen Fließwiderstand wie ein Gas bei zugleich hoher Wärmekapazität – es kann somit besonders viel Wärmeenergie aufnehmen und transportieren. Wegen dieses reibungsarmen Zwitterverhaltens könne der CO2-Dampfkreislauf auch schneller hochgefahren werden als der korrespondierende GuD-Prozess, sagt Westmeier. Wasser erreiche vergleichbar gute thermodynamische Eigenschaften erst bei Temperaturen um 1700 Grad, dieser Höllenhitze widerstehe aber kein bekannter Werkstoff länger als einige Minuten.

Allerdings birgt der Einsatz von Kohlendioxid auch einen gravierenden Nachteil: CO2 kondensiert bei den im GuF-Kraftwerk herrschenden niedrigen Drücken erst bei Temperaturen von minus 56,6 Grad Celsius. Genau hierin lag das Schlüsselproblem für das GuF-Konzept. Schließlich kam der Tüftler auf die Idee, eine Luftzerlegungsanlage in sein Konzept zu integrieren um den für die Gasverbrennung benötigten reinen Sauerstoff zu produzieren. Die Anlage arbeitet bei minus 186 Grad Celsius. "Das ist mehr als kalt genug, um CO2 zu kondensieren", so der Physiker.

Die Luft und die Energie für die Luftzerlegung kommen aus einem unterirdischen Druckluftspeicher, der ebenso zum Gesamtkonzept gehört wie ein Erdgaslager. "Ein GuF-Kraftwerk benötigt daher geeignete geologische Formationen für die unterirdischen Speicher, etwa in der Norddeutschen Tiefebene", sagt Westmeier. Dort ist auch die Windkraft nah. An Tagen mit starkem Wind könne die Stromüberproduktion dann die Kompressoren antreiben, die den GuF-Druckluftspeicher füllen. "Für das CO2 aus der Erdgasverbrennung muss man sich noch etwas einfallen lassen, denn irgendwann ist der Speicher natürlich voll", so der Entwickler. Er denke zum Beispiel an die Produktion von Chemikalien, für die das Gas infrage komme. Ein weiterer Vorteil für die Effizienzsteigerung der GuF-Anlage sei, dass der Kohlenstoff bereits im unterirdischen Speicher Wärmeenergie aus dem Untergrund aufnehmen kann.

Während Westmeiers GuF-Kraftwerk seinen Effizienzvorteil in der Praxis noch beweisen muss und diesen selbst bei einer sofortigen Umsetzung in frühestens zehn Jahren ausspielen könnte, sind die Vorteile heutiger GuD-Kraftwerke bereits nutzbar. Seit Mitte Mai 2011 hält Irsching 4, das modernste GuD-Kraftwerk von Siemens, mit einem Wirkungsgrad von 60,75 Prozent den unangefochtenen Effizienz-Weltrekord. Das Herzstück der Anlage, die Gasturbine vom Typ SGT5-8000H, ist so groß wie ein Mehrfamilienhaus und soll eine Stadt von der Größe Berlins mit Strom versorgen können. Über 400 Tonnen wiegt der Koloss, und seine Herstellung kostete eine halbe Milliarde Euro. Das Aggregat erzeugt 400 MW im reinen Gasturbinenbetrieb und rund 600 MW im GuD-Betrieb. Doch der Konzern will nicht nur alle bisherigen Rekorde in Bezug auf Leistung und Wirkungsgrad in den Schatten stellen, sondern auch die Betriebsflexibilität auf ein neues Niveau hieven. So kann Irsching mit einer Leistungszunahme von 35 MW pro Minute stabil hochgefahren werden und erreicht eine Kapazität von mehr als 500 MW in nur einer halben Stunde.